Aus für Intendant Lutz: Opernexperiment vor dem Ende

Die Amtszeit von Opernintendant Florian Lutz in Halle endet 2021.

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Die Amtszeit von Opernintendant Florian Lutz in Halle endet 2021. (Foto: xkn/Archiv)

Halle/StäZ – Am Ende fehlten wohl zwei Stimmen: Der Aufsichtsrat der Theater, Oper und Orchester GmbH (TOO) hat sich am Freitag gegen eine Vertragsverlängerung für Opernintendant Florian Lutz ausgesprochen. Bei der Abstimmung unter den neun Aufsichtsratsmitgliedern stimmten nach StäZ-Informationen nur drei für ein Nachfolgeengagement Lutz‘ von 2021 bis 2026 in Halle; fünf stimmten dagegen, ein Mitglied enthielt sich. Die Abstimmung war geheim. Damit läuft Lutz‘ Vertrag planmäßig 2021 aus. Der Opernchef zeigte sich in einer ersten Reaktion gegenüber der StäZ enttäuscht: „Ich hätte gerne ein klares Votum gehabt, denn eigentlich bräuchte man schon zehn Jahre, um das, was wir vorhatten, ordentlich umzusetzen. Aber wir werden natürlich bis 2021 hier weiter interessantes Theater machen.“

Die Entscheidung ist der vorläufige Endpunkt einer monatelangen TOO-internen Personaldebatte. Lutz hatte sich stetig wachsendem Druck ausgesetzt gesehen, zuletzt auch aus der Opernbelegschaft. Offenbar traute der Aufsichtsrat Lutz nicht mehr zu, die Konflikte um das Opernprogramm und innerhalb der Oper in absehbarer Zeit zu lösen. Solidaritätsbekundungen aus der städtischen Kulturszene und ein Aufruf in letzter Sekunde von Grünen-Stadträtin Inés Brock für Kontinuität in der Intendanz konnten die Entscheidung  nicht mehr beeinflussen.

Intendantenvergehen sollen in Zukunft arbeitsrechtliche Konsequenzen haben

Die Verlängerung der Verträge von Puppentheaterintendant Christoph Werner und nt-Intendant Matthias Brenner bekam dagegen eine Mehrheit. Bei Brenner soll sie mit nur einer Stimme Mehrheit ausgefallen sein. Die Verträge laufen nun, sollten die sich nun anschließenden Verhandlungen mit den Intendanten erfolgreich sein, bis 2026. Mehrere Aufsichtsräte geben auch Geschäftsführer Stefan Rosinski eine Teilschuld für den zugespitzten Theaterstreit. Bei ihm wird jedoch erst 2020 darüber entschieden, ob sein Vertrag verlängert wird. Lutz und nt-Intendant Brenner hatten sich mehrfach harsch gegen Rosinski gewandt, weil er sich in Intendantenbelange bei Oper und nt eingemischt habe. Der Aufsichtsrat soll den Intendanten jedoch einmal mehr die Leviten gelesen haben. Persönliche Auseinandersetzungen innerhalb der TOO würden nicht toleriert, teilte die Stadt am Abend per Pressemitteilung mit. „Dazu sollen dienstrechtliche Verfehlungen künftig konsequent arbeitsrechtlich geahndet werden“, heißt es von Seiten der Stadt.

Lutz war 2016 mit dem Auftrag angetreten, in Halle an der Oper neue Wege einzuschlagen. Mit Experimenten wie der Raumbühne erlangte das Team um Lutz und damit die Oper Halle deutschlandweite Aufmerksamkeit und holte auch den Theaterpreis Faust. Teile des Publikums brachen jedoch mit dem neuen Kurs. Die Erlöserwartungen mussten heruntergeschraubt werden. Die Oper erfüllte sie jedoch dann in den letzten beiden Jahren. Für die Kritiker offenbar nicht genug: Das Argument, dass die Oper nur aufgrund von starken Koproduktionen mit dem neuen theater wie der „Dreigroschenoper“ und der guten Besucherzahlen des Balletts noch halbwegs gut dastehe, Opernaufführungen dagegen in letzter Zeit stark an Zuspruch verloren hätten, war in letzter Zeit lauter geworden. Lutz konnte es offenbar am Freitag nicht mehr ausräumen.

Inés Brock: „Provinzposse und Katastrophe“

Grünen-Stadtratsfraktionsvorsitzende und TOO-Aufsichtsrätin Inés Brock sagte in einer ersten Reaktion zur Städtischen Zeitung: „Ich bin fassungslos, dass dem Aufsichtsrat der Mut gefehlt hat, sich auf dem eingeschlagenen Weg weiter zu bewegen. Für Halle ist die Entscheidung gegen Florian Lutz eine Katastrophe, und wenn man von außen auf die Stadt schaut, ist es eine Provinzposse.“

Am Abend veröffentlichte die Oper Halle eine Stellungnahme zu der Entscheidung im Aufsichtsrat. Darin heißt es, die Entscheidung gegen Lutz sei die Entscheidung für ein Generalintendantenmodell an den Bühnen Halle unter Leitung Rosinskis gewesen. Wir dokumentieren die Erklärung im Wortlaut:

Stellungnahme der künstlerischen Leitung der Oper Halle zur heutigen Entscheidung des Aufsichtsrates:

Im Vorfeld der heutigen Aufsichtsratssitzung der „Theater Oper und Orchester GmbH“(TOOH) haben wir für unsere bisherige künstlerische Arbeit in Halle beachtlich viel Zuspruch und Unterstützung aus der Stadtbevölkerung erfahren, von der „Gesellschaft der Freunde der Oper und des Balletts Halle“ bis zu stadtbekannten Akteuren der lokalen Kunstszene, von Mitarbeiter*innen der Kunsthochschule Burg Giebichenstein bis zum Kulturminister des Landes Sachsen-Anhalt. Überregional haben beeindruckend viele Intendant*innen und Geschäftsführer*innen von Berlin bis München, von Hamburg bis Zürich bekundet, dass sie die Oper Halle als einen „außergewöhnlichen Leuchtturm der Mitteldeutschen Kulturlandschaft mit bemerkenswerter deutschlandweiter Strahlkraft“ wahrnehmen, und sich gemeinsam mit vielen weiteren gewichtigen Stimmen des überregionalen Kulturbetriebs für die Fortführung unserer künstlerischen Arbeit eingesetzt. 

Wir möchten heute der Stadt Halle, den Mitarbeiter*innen unseres Hauses, den Betriebsrät*innen der TOOH, unserem Sänger*innenensemble, unseren Kooperationspartnern in der Stadt und insbesondere unseren Zuschauer*innen dafür danken, dass sie uns seit nun bald drei Jahren die Möglichkeit geben, an der Umsetzung einer Vision von Oper zu arbeiten, die für inhaltliche Relevanz und ästhetische Zeitgenossenschaft steht. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne unsere engen Partner in den anderen Sparten der TOOH, von denen an dieser Stelle Schauspielintendant Matthias Brenner und der bisherigen Leitung der Staatskapelle, Orchesterdirektorin Claudia Brinker und GMD Josep Caballé-Domenech, ausdrücklich gedankt werden soll. 

Wir freuen uns, dass es mit der künstlerische Neuausrichtung unseres Programmes gelungen ist, innerhalb von nur zwei Spielzeiten einen Großteil des Stammpublikums weiter an die Oper Halle zu binden und darüber hinaus viele neue Menschen für Musiktheater und Ballett zu begeistern. Angesichts des gewollten deutlichen ästhetischen Umbruchs waren Zuschauerrückgänge in den ersten Spielzeiten in gewissem Maße für jeden kulturpolitisch informierten Menschen zu erwarten. Nach unserer Einschätzung sind diese dennoch verhältnismäßig moderat ausgefallen: Vergleicht man die Gesamtzuschauerzahl unserer zwei bereits abgeschlossenen Spielzeiten mit den letzten beiden Spielzeiten unseres Vorgängers, ergibt sich ein Minus von etwa 9 %. In 2018 konnten deutlich über 57.000 zahlende Zuschauer allein in der Opern- und Ballettsparte gezählt werden. Mit gut 1.140.000 € Einnahmen wurden nach heutigem Stand 80.000 € mehr Erlöse erzielt als im Wirtschaftsplan vorgegeben. 

Künstlerischer Freiraum ist nach unserer Ansicht die zentrale Voraussetzung für ein plurales, wirkmächtiges und lebendiges Kunst- und Kulturangebot, das Fragestellungen und Visionen unserer Zeit einen Raum zur gesellschaftlichen Verständigung bietet. Die Geschäftsordnung der TOOH ist mit zahlreichen auch öffentlich diskutierten Widersprüchen versehen, deren Auswirkungen die Rückzüge unserer Vorgänger Axel Köhler und Klaus Froboese maßgeblich mitbegründet haben. Wir haben den Aufsichtsrat gemeinsam mit Schauspielintendant Matthias Brenner auf Grund der anhaltenden innerbetrieblichen Konflikte zwischen den künstlerischen Leitungen und Geschäftsführer Stefan Rosinski im Dezember gebeten, hier eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen und halten es für folgerichtig, dass er dieser Bitte am heutigen Tage nachgekommen ist.

Wir bedauern natürlich, dass heute in einer denkbar knappen Abstimmung die Entscheidung in Richtung eines Generalintendantenmodels unter der Leitung von Geschäftsführer Stefan Rosinski gefällt wurde. Wir hoffen inständig für die Kunst- und Kulturstadt Halle, dass dennoch die freie Entfaltung der Kunst mit allen dafür notwendigen Bedingungen – als dem eigentlichen Zweck einer subventionierten Kulturinstitution – auch in Zukunft die erste Priorität behalten kann. 

Unabhängig davon hoffen wir, dass wir uns ab heute für die kommenden zweieinhalb Jahre wieder voll auf die Kunst konzentrieren können. Voll Spannung erwarten wir die heutige Premiere von „Ariadne auf Naxos“ in der Regie von Paul-Georg Dietrich und freuen uns auf die bevorstehende Zusammenarbeit mit den Inszenierungsteams von Nanine Linning und Peter Konwitschny. Spannende Spielzeiten liegen vor uns und unserem Publikum! 

gez. Florian Lutz, Veit Güssow, Michael v. zur Mühlen

Wir werden den Beitrag noch aktualisieren, sobald neue Informationen vorliegen.

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Juliane Graichen
5 Jahre her

Ich bedauere diese Entscheidung gegen Florian Lutz sehr. Mein Freundeskreis und ich gehören zu dem neuen und jüngeren Publikum, dass wegen den spannenden, berührenden Inszenierungen in den letzten Jahren begeistert die Oper für sich entdeckt hat. Es ist traurig und beschämend für Halle, dass der Mut fehlt diesem Ansatz Vertrauen zu schenken und mehr Zeit zu geben.