Ein unvernunftbegabtes Wesen

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StäZ-Kolumnist Thomas Schied (Foto: Hannah Schied)

Ich habe vor fünf Jahren – aus gesundheitlichen Gründen – mit dem Rauchen aufgehört. Dies wird von weiten Teilen der Gesellschaft im Allgemeinen als eine sehr vernünftige Entscheidung betrachtet. Ich war zwei Jahre lang, zum Leidwesen der Raucher in meinem Umfeld, ein militanter Nichtraucher. Ich war, wie ich rückblickend zugeben muss, in dieser Zeit nicht immer ein angenehmer Gesprächspartner am freitäglichen Stammtisch. Denn dort sind die Raucher, entgegen dem allgemeinen Trend der Zeit, immer noch in der absoluten Überzahl. Es konnte so nicht weitergehen. Die fehlende Kompromissbereitschaft auf der einen Seite hatte zur Folge, dass ein entspanntes Gespräch beim Bier oft nicht mehr möglich war. Die Fronten waren verhärtet.[ds_preview]

Seit drei Jahren dampfe ich deshalb. Die E‑Zigarette ist eindeutig die gesündere Alternative zur Befriedigung der Nikotinsucht. Da ich aber immer schon eher zur Kategorie „Genussraucher“ gehört habe, kann von Nikotinsucht in meinem Fall überhaupt nicht die Rede sein. Ich bin wohl eher ein Fall von Genusssucht.

Nach acht Monaten hatte ich  zwanzig Kilo runter und meinen ersten Halbmarathon hinter mir.

Diese Form des Suchtverhaltens hatte unter anderem auch dazu geführt, dass ich in den Jahren zwischen meinem vierundzwanzigsten und vierundvierzigsten Geburtstag jedes Jahr ein Kilo mehr auf die Waage packen konnte. Ich war am Ende, fett und kurzatmig. Ich musste mein Leben ändern. Ich musste endlich Ernst machen mit den guten Vorsätzen, für deren Nichtumsetzung ich jedes Jahr immer wieder gute Gründe gefunden hatte. Es gab einfach keine Ausreden mehr. Manchmal kann es halt auch von Vorteil sein, wenn man kein Philosophiestudium absolviert hat.

Ich habe dann mit dem Laufen begonnen. Das Ganze ist eigentlich gar nicht so kompliziert. Man muss einfach nur endlich mal loslaufen. Am Anfang kann es sein, dass man, wie in meinem Fall, nach 200 Metern keuchend am Ende ist. Aber beim zweiten Mal muss man sich dann schon erst nach 210 Metern am Wegesrand übergeben. Nach acht Monaten hatte ich jedenfalls zwanzig Kilo runter und meinen ersten Halbmarathon hinter mir. Ich hatte meine Sucht endlich im Griff.

Das Laufen hat mein Leben verändert. Ich laufe seit fünf Jahren normalerweise jeden zweiten Tag und genieße das ungemein. Unterbrechungen gab es in dieser Zeit nur wegen eines fiesen Muskelfaserrisses und zweier Knieoperationen. Diese unfreiwilligen Pausen waren die einzigen Zeiten, in denen ich in meinen Läuferjahren Qualen ausstehen musste. Ich hatte wirklich schlimme Entzugserscheinungen.

Die letzte Knie-OP (Meniskus) hatte ich vor drei Wochen. Es ging mir diesmal relativ schnell wieder besser. Also habe ich meinen Physiotherapeuten nach zwei Wochen gefragt, ob ich denn vielleicht schon wieder mit dem Laufen beginnen könne? Seine Antwort war freundlich: „Vielleicht in vier Wochen und dann erst mal mit Gehpausen.“ Sein Blick aber sagte: „Bist du eigentlich noch ganz dicht?“

Die Bäume sind ein bisschen wie ich: Sie haben die besten Jahre hinter sich, sind nicht mehr ganz fit und stehen einer ökonomisch vernünftigeren Umgestaltung ihrer Umgebung im Wege.

Eine Woche habe ich noch durchgehalten, dann siegte die Unvernunft. Als meine seit einiger Zeit mitlaufende Ehefrau sich wieder mal ohne mich auf den Weg machen wollte, habe ich es nicht mehr ausgehalten: „Ich komme ein Stück mit, mache dann aber Gehpausen. Du kannst dann ruhig ohne mich weiterlaufen.“ Fazit: Das Wetter war großartig, es lief fast wie immer und Gehpausen einzulegen habe ich total vergessen. Ich habe die Dreiviertelstunde Peißnitz, Nordspitze, Amselgrund, Riveufer richtig genossen. Es ist aber auch wirklich schön dort. Wenn man zum Beispiel unter Richard Robert Rives Linden am Ufer der Saale entlang läuft, geht einem das Herz auf. Was für ein Genuss!

Das klingt vielleicht blöd, aber irgendwie sind mir diese Bäume sehr sympathisch. Sie sind ein bisschen wie ich: Sie haben die besten Jahre hinter sich, sind nicht mehr ganz fit und stehen einer ökonomisch vernünftigeren Umgestaltung ihrer Umgebung im Wege. Perspektivisch gesehen, fänden einige Entscheider in unserer Stadt es viel vernünftiger, wenn man sie alle abholzen würde.

Es stimmt. Es gibt wirklich vernünftige Gründe dafür, die ich mich hier aber aufzuzählen weigere. Ein Argument ist zum Beispiel, dass die Allee wohl in den nächsten Jahren einige Lücken bekommen wird. Das wird wirklich nicht zu vermeiden sein.

Wenn dann dort immer wieder in zeitlichen Abständen neue, junge Bäume gepflanzt werden…. „Wie sieht das denn aus?“ Das würde den Vorstellungen, die so mancher von einer Allee hat, krass zuwider laufen. Eine Allee hat aus gleich alten und gleich großen Bäumen, die schön in Reihe wachsen, zu bestehen. Wem das so wichtig ist, der sieht in seinen Träumen bestimmt auch den Alten Fritz auf seinem Pferd am Riveufer in den Sonnenuntergang reiten……..

Ich bin ja ansonsten eigentlich ein eher ziemlich vernünftiger Mensch. Aber manchmal überkommt es mich, dann kann ich nicht anders. Mein Hirn setzt aus, und die Unvernunft übernimmt das Kommando. Es tut mir leid, aber ich will, dass man die alten Bäume, die am Riveufer perspektivlos vor sich hin rotten, stehen lässt. Sollte trotzdem noch mal jemand an meine Vernunft zu appellieren versuchen:

 „Fuck me gently with a chainsaw!“

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siggivonderheide@me.com
5 Jahre her

ein schönes Plädouier für Verfall mit Genuss! Feingemacht!