ASB: Langer Streit um einen Tarifvertrag

0
Vertreter des ABS-Betriebsrats kämpfen für einen Tarifvertrag: Sven Domres, Angela Krumbein und Franziska Schied. (v.l.; Foto: xkn)

Halle/StäZ – Sie sind die, die sich um die wirklich schwierigen Fälle kümmern. Wenn das Kindeswohl gefährdet ist, wenn Kinder in Halle aus ihren Familien heraus und in Obhut genommen werden müssen, oder wenn Familien und Jugendliche in schwierigen Lebenslagen Unterstützung brauchen, dann sind in Halle Sozialarbeiter und ‑pädagogen verschiedener Träger zur Stelle. Darunter ist auch der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Doch beim ASB schwelt seit Jahren ein interner Konflikt zwischen Belegschaft und der Leitung des Trägers. Im Grunde ist es ein Tarifkonflikt, wenn es denn bereits einen Tarifvertrag gäbe. Genau das ist der Punkt: Seit Jahren verlangen die Mitarbeiter von ihren Chefs einen Tarifvertrag oder zumindest einmal Gespräche darüber zu beginnen. Es geht um Lohn, Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch, Schichtdienste. Vor allem aber geht es um Anerkennung. Die Führung des ASB aber weigert sich bisher beharrlich, einen Tarifvertrag mit ihren Mitarbeitern abzuschließen. Während eine ähnliche Konstellation derzeit im Land bei den Krankenhäusern eines privaten Betreibers hohe Wellen schlägt, bis hin in die Landespolitik, laufen die halleschen ASB-Einrichtungen offenbar unter dem Radar. Verantwortung für die ASB-Einrichtungen trägt zudem ausgerechnet eine frühere SPD-Abgeordnete. Die erklärt nun, Tarifverhandlungen zumindest vorbereiten zu wollen.

Mitarbeiter fühlen sich kurz gehalten

Konkret geht es um den „Kinder- und Jugendkreis“ des ASB in Halle. Dazu gehören die Jugendhilfestation „Über-Mut“, eine Kinderwohngemeinschaft, eine Mutter-Kind-Einrichtung und ein Haus für betreutes Wohnen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Halle-Neustadt. Auch der Bereich der ambulanten Erziehungshilfen des ASB gehört dazu, also Sozialarbeiter, die Familienhilfe leisten oder Erziehungsbeistand geben. Geordert werden diese Leistungen vom Jugendamt. Wer zuletzt den Film „Systemsprenger“ gesehen hat, bekommt einem Einblick in einen bestimmten Teil der Tätigkeiten. Zuständig für den „Kinder- und Jugendkreis“ ist der ASB-Landesverband, der seinen Sitz ebenfalls in Halle hat. Der ASB gilt als anerkannter Träger in Halle. Die Mitarbeiter und Einrichtungen werden oft für die besonders schweren Fälle angefordert.

Wer sich unter den Beschäftigten umhört – die Städtische Zeitung hat vertraulich mit mehreren ASB-Mitarbeitern und dem Betriebsrat gesprochen –, erfährt, dass es seit Jahren praktisch eingefrorene Gehälter für die rund 90 Mitarbeiter beim ASB gegeben hat. Erst 2019 wurde zum ersten Mal überhaupt seit über zehn Jahren die Entlohnung angehoben, als freiwilliger Akt der Geschäftsführung. Zuvor hatte es bereits rumort im Betrieb, hatten sich Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert. Und auch die Lohnerhöhung macht die Mitarbeiter nicht zufrieden. Denn die Vergütung liegt immer noch unter der vergleichbarer Träger, die zum Beispiel im Paritätischen Wohlfahrtsverband organisiert sind. Beim ASB, so ist zu hören, fühlt man sich schon lange als Sozialarbeiter zweiter Klasse. Und man fühlt sich ausgenutzt. Denn die Geschäftsführung setze darauf, dass die Sozialarbeiter nicht streiken. Denn das gehe sofort zu Lasten ihrer Klienten. „Weil wir Sozialarbeiter sind, lassen wir uns viel zu viel gefallen“, sagt eine ASB-Mitarbeiterin. „Wir machen gesellschaftlich sehr wichtige Arbeit, sind emotional und psychisch stark eingebunden. Trotzdem endet das später vielleicht mal in Altersarmut. Der ASB dagegen transportiert ein soziales Image nach außen, aber die eigenen Mitarbeiter werden kurz gehalten.“

Der ASB ist nicht in der Tarifgemeinschaft des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, die mehrere andere Träger vereint. Die Tarifgemeinschaft verhandelt mit den Gewerkschaften seit Jahren Tarifverträge. Es ist eine eingeübte Tarifpartnerschaft. Beim ASB dagegen fühlen sie sich ohnmächtig. Jahrelang werde praktisch das Gespräch zwischen Verbandsführung und Mitarbeitern über das Thema Tarifvertrag verweigert, auch mit gewählten Betriebsräten, heißt es aus der Belegschaft. Eingestuft und entlohnt wird stattdessen über sogenannte „Allgemeine Arbeitsbedingungen“. Das sind Arbeitsregeln und eine Lohntabelle, die allein von der Geschäftsführung festgelegt werden und die jede einzelne Mitarbeiterin mit ihrem Arbeitsvertrag unterschreiben muss. Die ASBler jedoch verlangen nicht nur bessere Löhne. Sie wollen feste Stellenbeschreibungen, um mehr Rechtssicherheit zu haben und beispielsweise auch vor Arbeitsgerichten eine Chance zu haben, falls es zu Auseinandersetzungen kommt. In einer internen Aufstellung, die der StäZ vorliegt, ist außerdem von diversen anderen Forderungen die Rede: zum Beispiel von Prämien, falls Mitarbeiter kurzfristig aus der Freizeit gerufen werden müssen – bei anderen Trägern gang und gäbe –; von Zeitzuschlägen für Schichtarbeiter und für Feiertagsarbeit – bisher zahlt der ASB eine niedrigere Schichtpauschale. Auch fehlen den ASB-Mitarbeitern im Schnitt zwei Urlaubstage gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen anderer Träger.

Manche Mitarbeiter hätten das Unternehmen in den letzten Jahren bereits verlassen, heißt es, vor allem wegen der schlechteren Arbeitsbedingungen. Der Arbeitsmarkt für Erzieher und Sozialpädagogen dagegen ist leergefegt. Ein Problem für den ASB und für die, die aus Gründen des Berufsethos noch bleiben. An ihnen bleibt noch mehr Arbeit hängen.

ASB erklärt, man sei Tarifvertrag nicht abgeneigt

Peggy Osadolor, Tarifsekretärin bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), vertritt die ASB-Mitarbeiterinnen. Mittlerweile sind über die Hälfte gewerkschaftlich organisiert. Doch auch gegenüber der Gewerkschaft blockt der ASB. „Wir reden hier von einem sozialen Träger, der sich weigert, das Gespräch über einen Tarifvertrag aufzunehmen. Das können wir nicht nachvollziehen“, sagt sie. Man könne im Prinzip sofort verhandeln, oder der ASB trete der Tarifgemeinschaft des Paritätischen bei. „Sozialpädagogen werden überall gesucht. Das macht es für uns noch unverständlicher, dass der ASB so widerwillig ist.“ Es müsse eigentlich in seinem Interesse sein, seinen Mitarbeitern gute Bedingungen zu bieten, so Osadolor. Sie fordert auch, dass die Stadtverwaltung in Zukunft die Zahlung von Fördermitteln wie der Hilfen zur Erziehung nur noch an tarifvertraglich gebundene Träger vergibt.

Landesvorsitzende des ASB, dem der „Kinder- und Jugendkreis“ direkt unterstellt ist, ist Krimhild Niestädt. Als ehemalige Landtagsabgeordnete der SPD hat sie vor Kurzem den Landesverdienstorden für außergewöhnliches Engagement im sozialen und gesellschaftspolitischen Bereich bekommen. Sie erklärte auf StäZ-Anfrage, von einer Tarifauseinandersetzung beim ASB sei ihr nichts bekannt. Der Landesverband stehe gleichwohl im engen Kontakt mit dem Betriebsrat und habe gegenüber der GEW auch betont, einem Tarifvertrag nicht entgegenzustehen. „Die Vorbereitungen und Beratungen sind für 2020 geplant, was der Betriebsrat und demnach die Mitarbeiter/innen wissen.“ Willkür sei allerdings schon jetzt ausgeschlossen, denn es würden ja die Allgemeinen Arbeitsbedingungen gelten.

Es könnte also sein, dass der jahrelange Kampf um einen Tarifvertrag beim ASB am Ende sogar Erfolg hat. Doch dass es einen Tarifvertrag gibt, glauben die Mitarbeiter erst, wenn er verhandelt und unterschrieben ist.

[bws_pdfprint display=„pdf,print“]
4 2 votes
Article Rating
Subscribe
Benachrichtigen Sie mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments