Auf einer Reise nach Jerusalem

Matthias Brenner inszeniert am neuen theater Wajdi Mouawads Stück „Vögel“.

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„Vögel“ von Wajdi Mouawad am neuen theater. Im Bild: Nils Andre Brünnig (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Halle/StäZ – Das neue theater in Halle befindet sich mit seiner jüngsten Premiere vom Freitag in bester Gesellschaft. Die „Vögel“ des 1968 im Libanon geborenen und heute in Paris lebenden Autors Wajdi Mouawad werden gegenwärtig an 14 Häusern gespielt! Im Programmheft sagt Mouawad, dass das Stück im Libanon keine Chance hätte, aufgeführt zu werden. Offenbar steckt allein in der Abbildung der Konflikte ein Sprengstoff, den man sich hierzulande nicht so recht vorzustellen vermag.

Konflikt zwischen Juden und Arabern. Vorn: Cynthia Cosima Erhardt, hinten: Nora Schulte (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Es geht um den Konflikt zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten. Hier haben sich Geschichte und Gegenwart, die Menschen vor Ort und fremde Mächte mit Vorherrschaftsambitionen so verhakt, dass nicht mal ein theoretischer Vorschlag zur Hand ist, wie man aus dieser Falle wieder heraus kommen könnte. Wirklich umgehen kann man damit wohl nur hoch philosophisch unter dem Patronat von Lessings Nathan. Oder auf der rein individuellen Ebene, wenn sich zwei junge Menschen verlieben, die es nach dem herrschenden Freund-Feind-Dogma nicht sollen. Dass die Deutschen, ganz gleich welcher Generation, in Stücken dieser Art immer mit von der Partie sind, versteht sich von selbst. Das gehört zu einem kollektiven Erbe, das sich mit Verdrängung oder Vogelschiss-Rhetorik nicht abschütteln lässt. Es kommt immer wieder hoch. Überall, wo ernsthaft nachgedacht wird. Oder in Fankurven, in denen überhaupt nicht gedacht wird.

Im Stück geht es um den Naturwissenschaftler Eitan und die Doktorandin Wahida. Die Vornamen verweisen auf seine jüdischen und ihre arabischen Wurzeln. Was für beide in New York, wo sie sich 2015  kennen und lieben lernen, keine Rolle spielt. Das Problem beginnt, wenn er sie zwei Jahre später endlich seinen Eltern vorstellen will. Obwohl schon lange in Deutschland lebend, ist sein Vater David ein erklärter Anhänger der herrschenden Mit-dem-Kopf- durch-die-Wand-Politiker im Israel von heute. Davids Mutter Norah war zunächst (als „Ersatz“ für ihre jüdische Herkunft) kommunistisch erzogen worden, und hatte dann, nach dem Zusammenbruch der DDR, sozusagen bewusst, die Konfession gewechselt. Beim Treffen in Jerusalem reagieren beide erwartungs- und klischeegemäß mit dem mehr oder weniger massiven Rat an ihren Sohn, seine arabischstämmige Freundin nicht zu heiraten.

Romeo-und-Julia-Konstellation mit Nathan-Hintergrund. Wolfgang Engel, Harald Höbinger, Harald Horvath, Elke Richter, Nils Andre Brünnig, Bettina Schneider (v.l.; Foto: Falk Wenzel/TOO)

Dass das im Raum stehende Familiengeheimnis, über das Eitan in Jerusalem auch etwas von seiner Großmutter erfahren will, darin besteht, dass Vater David eigentlich ein palästinensischer Bauernjunge ist, den der Großvater Etgar gerettet, als sein eigenes Kind ausgegeben und gemeinsam mit seiner Frau aufgezogen hat, ahnt man schon bald. Wenn der Großvater das dann endlich seinem Sohn erzählt, weil die Worte dafür nach vielen Jahrzehnten des Schweigens plötzlich da waren, wie er sagt, wird das zu einem berührenden Augenblick.

Erzählt man die Geschichte so, dann klingt das nach einer Vorlage, aus der man auch eine Komödie machen könnte. Die gibt es tatsächlich. In dem Film „Herbe Mischung“ (2015 das erste Mal in der ARD zu sehen gewesen) lösen sich so ähnlich gestrickte Konflikte in einem heiter verständnisvollen (und herzlich unrealistischen) Happy End auf. Auf dem Weg dahin gibt es jede Menge zu lachen.

Auch in Mouawads Stück kann man einige Male schmunzeln. Für die fein gesetzten, trockenen Pointen sind hier zumeist die großartige Elke Richter als Großmutter Leah und  Bettina Schneider als ihre Schwiegertochter Norah zuständig, vor allem wenn die Psychiaterin mit einem ihrer Künstler-Patienten telefoniert.

Bühnenbild mit Scheiben. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Jeder Anflug von Komödie hat sich aber mit einer Katastrophe erledigt. Wegen eines  Selbstmordattentates auf einer Brücke landet Eitan für ein paar Tage im Koma, was die Familie erneut zusammenführt. Nachdem aus David eine ziemlich unversöhnliche Suada gegen die Araber im Allgemeinen herausbricht, eröffnet ihm der Großvater endlich, dass er selbst eine palästinensische Mutter hatte. Den Schlaganfall, der David daraufhin ereilt, überlebt er nicht.

Das Ende dieser Romeo-und-Julia-Konstellation mit Nathan-Hintergrund endet entmutigend offen und traurig für alle Überlebenden. Ganz so wie die Wirklichkeit.

Matthias Brenner hat daraus Schauspielertheater vom Feinsten gemacht. Nicolaus-Johannes Heyse genügen zwei gewaltige Scheiben mit einer für die Schauspieler als Raum nutzbaren, panoramafenstergroßen Aussparung in der Mitte. Diese Scheiben, wie Mühlsteine am Hals der Geschichte, bewegen sich mal aufeinander zu, mal gleichgerichtet und dann wieder voneinander weg und lassen Assoziationen für alles mögliche zu. Ab und an sind sie die Projektionsfläche für Meer und Wellenvideos oder Textzeilen. Davor gibt es nur zwei Stuhlgruppen. Vom rechten Rand der Spielfläche sorgen Vahid Shahidifar und Radwan Alhalak live für orientalische Klänge.

Das ist der Rahmen für ein großartiges Ensemble!

Radwan Alhalak, Vahid Shahidifar sorgen für Live-Musik. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Eine besondere Freude ist Theaterlegende Wolfgang Engel. Der vom Schlaganfall genesene ist höchst glaubwürdig der Großvater Etgar. Ein Mann, der als Kind den Holocaust überlebte, Israel als Soldat diente, sich des verlorenen Neugeborenen annahm, um dann wieder nach Deutschland zurückzukehren. Gänzlich unprätentiös und mit lebensweisem, trockenem Humor, ist er eine Stimme der Vernunft, der unbewusst jede Menge Nathan verinnerlicht hat. An seiner Seite läuft Elke Richter als seine Ex-Frau zu Hochform auf. Bei ihr ist ein mit Zynismus gewürzter Humor der Schutzpanzer gegen die Einsamkeit, die sie überfiel, als sie mit dem Geheimnis der Familie und dem Sohn David vor der Nase nicht mehr gleichzeitig leben konnte und sich von Etgar und David trennte. Sie schafft es aber, dass man ihr die zur Schau gestellte Kälte nicht abnimmt, sondern alsbald die Schläge ihres gebrochenen Herzens vernimmt. Perfekt in der aktiven Lebensmitte angesiedelt spielen Harald Höbinger und Bettina Schneider das mittlere Paar David und Norah. Mit erfrischend jugendlichem Kontrast sind Cynthia Cosima Erhardts und Nils Andre Brünning das sympathische junge Paar Wahida und Eitan.  Nora Schulte bleibt als Soldatin, die Wahida ziemlich penetrant (aber ziemlich wirklichkeitsnah!) befragt und sich dann mit ihr anfreundet, im Gedächtnis.

Es ist ein langer, knapp dreistündiger Abend, der es in sich hat. Er ist als vielsprachig angekündigt, denn alle wechseln vom Deutschen (im Original war das Französisch) ins Englische, Arabische oder Hebräische. Dazu entsprechende Attentats-Meldungen als Einspieler.  Das sollte aber niemanden abhalten, sich darauf einzulassen, denn auch wenn anders als deutsch geredet wird, reißt in dieser poetisch präzisen Inszenierung nie der Verständnisfaden. Wenn man fremde Weltgegenden bereist, in denen man die Sprache vor Ort nicht beherrscht, dann hält man ja auch die Augen offen, versucht die Körpersprache zu verstehen oder den Klang der Worte. So ähnlich ist es hier auch. Die Dosierung stimmt. Und dann geht es ja im Stück auch um das gegenseitige Nichtverstehen. Ein Theaterabend, der sein Publikum ernst nimmt, herausfordert und zu packen versteht.

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