Des Pudels Kern

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Und mein Nachbar vorneweg
Freiheit, Freiheit,
Ist die einzige, die fehlt
(Mooarius)

StäZ-Kolumnist Thomas Schied, Foto: Hannah Schied

Seit meiner Kindheit ist das Bad mein bevorzugtes Lesezimmer. Ich habe stundenlang in der Badewanne gelegen, gelesen und immer wieder heißes Wasser nachlaufen lassen. Toilettengänge mit unzähligen Spülvorgängen wuchsen sich zu Marathonsitzungen aus, weil irgendeine spannende Geschichte noch zu Ende gelesen werden musste. Ich habe Unmengen Wasser verschwendet, und alle Erziehungsversuche meiner Mutter, die diese Marotte einzudämmen versuchten, waren vom Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich muss gestehen, dass meine Neigung zum Lesen im Badezimmer in Bezug auf umweltfreundliches Verbraucherverhalten als mein persönlicher ökologischer Super-Gau betrachtet werden muss, zumal ich damit auch bis zum heutigen Tage nicht aufgehört habe. Ich habe jahrzehntelang hektoliterweise heißes und kaltes Wasser verplempert. Seit siebenundzwanzig Jahren vor allem in Halle. Die Stadtwerke fahren Gewinne ein, und meine Macke ist einer der Gründe dafür. [ds_preview]

Man müsste das Ganze mal durchrechnen. Es sind zwar jedes mal nur Pfennigbeträge. Aber steter Tropfen höhlt den Stein! (Passt hier irgendwie.) Mir hat zum Beispiel bisher immer das nötige Kleingeld für ein neues, größeres Auto gefehlt. Meine Karre ist sechzehn Jahre alt und sieht auch so aus. Okay, meistens steht das Ding sowieso nur rum, denn im Alltag fahre ich mit dem Rad. Beim Fahrrad achte ich aber peinlich darauf, dass es noch älter als mein Auto aussieht, nachdem man mir in Halle vier Fahrräder – eins war sogar direkt vor einem Polizeirevier angeschlossen – geklaut hat. Ein neues Fahrrad kaufe ich mir ganz bestimmt nie wieder, selbst, wenn ich es mir leisten könnte! Dann vielleicht doch lieber ein neues Auto. Da mir das nötige Kleingeld aus den oben genannten Gründen aber leider fehlt, wird es wohl in absehbarer Zeit auch damit nichts werden.

Es wäre doch großartig, wenn ich im nächsten Sommer – er kommt ganz bestimmt irgendwann! – in einem fetten SUV oder Sportwagen ohne Dach, mit offenen Fenstern und aufgedrehter Anlage an den Cafés der Innenstadt vorbeifahren könnte. Ich bin ja inzwischen auch in einem Alter, in dem nicht wenige Männer solche Vorlieben entwickeln. Und dann ab auf die Autobahn und die Freiheit in vollen Zügen genießen. Das Leben ist noch lange nicht zu Ende!

Meinen Kindern habe ich mal erklärt, dass die Leute, die ein Cabrio fahren, nicht mehr genug Geld fürs Dach übrig hatten. Aber so richtig konnten sie über meinen Witzversuch nicht lachen. Wir hatten immer nur alte Autos. Letztens hat mein Sohn mir begeistert von der Fahrt zu einem Fußballspiel im Sportwagen des Vaters eines Mitspielers erzählt: „Zweihundertfünfzig!“ Wenn ich zu Auswärtsspielen fahre, berichten mir andere Spielerväter manchmal, wo sie mich auf der Autobahn überholt haben. Und dass alles nur, weil mein Geld zu den Stadtwerken fließt.

Wie wäre es denn, wenn man das Ganze mal von der anderen Seite betrachtet? Die Stadtwerke könnten ja auch die Preise senken? Was machen die eigentlich mit dem Gewinn, den sie dank mir erzielen? Ich habe mich mal umgesehen. Auf der Internetseite der Stadtwerke erhält man Antworten auf diese Frage. Unter „Sponsoring und Spenden“ findet man die Orte, zu denen mein Geld am Ende fließt. Da findet man unter anderem Tanz‑, Reit‑, Musik- und Karnevalsvereine, einen drittklassigen Fußballclub, ein Straßenbahnmuseum in Dresden und den Verein der Pudelfreunde Deutschland e.V.. Unglaublich, die Stadtwerke fördern mit meinem Geld einen Verein, der sich der Zucht des hässlichsten Hundes des Planeten verschrieben hat!

Das meiste Geld aber geht ganz woanders hin. An einen Ort, den man gut und gerne als das monetäre Schwarze Loch des Konzerns bezeichnen kann: Die HAVAG. Die Stadtwerke halten jährlich mit Millionenbeträgen in Halle den öffentlichen Personennahverkehr am Laufen. Mit meinem Geld kauft der Konzern unter anderem neue Straßenbahnen und Busse. Ich fasse es nicht! Mir werden die Mittel gekürzt, damit die Ökos mit der Straßenbahn durch die Stadt zuckeln können. Ich selbst aber bin zu arm, um mir ein neues Auto leisten zu können. „Autofahren sollte kein Privileg für Reiche sein. … Es ist nicht bloß das Von-hier-nach-dort-kommen. Es ist eine Freiheit, dorthin zu fahren, wohin man möchte, wann man möchte…..“ (Lütt, StäZ, 15.2.2018)

Im Namen der Freiheit habe ich beschlossen zurückzuschlagen. Ich hole mir mein Geld zurück!

Und das ist gar nicht mal so schwer. Die HAVAG hat nämlich einen Fehler gemacht. Sie bietet ihren Kunden ein Premium-Umwelt-ABO an. Für nur 2 Euro am Tag kann man damit den ÖPNV nutzen bis der Arzt kommt. Und das ist noch nicht alles: Man kann sogar noch drei Kinder kostenlos (Auf meine Kosten!!!) mitnehmen und ab 17:00 Uhr zusätzlich einen zweiten Erwachsenen. Das ist aber immer noch nicht alles: Am Wochenende können diese fünf Personen mit dem Ticket kostenlos (Naja.) im gesamten MDV-Gebiet herumfahren.

Ich habe so ein Premium-Abo abgeschlossen und nutze es jetzt exzessiv. Aber nicht nur ich allein. Meine Frau, meine Kinder, Freunde, Verwandte, Nachbarn, Bekannte können sich meine Umweltkarte auch borgen. Das Ding ist ja nicht personengebunden. Man kann damit in Halle zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Training, zur Vereinssitzung, zum Elternabend, ins Schwimmbad, ins Grüne, in die Kneipe, ins Konzert oder Sonstwohin fahren – am Abend sogar zu zweit. Am Samstag will meine Tochter zum Shoppen nach Leipzig, am Sonntag besuchen wir meine Eltern im Saalekreis, nächste Woche möchte ein Bekannter mit Frau und Enkelkind nach Naumburg fahren…

Wir nutzen das Premium-Abo im Nahverkehr, um dorthin zu fahren, wohin wir möchten und wann wir das möchten. Das können wir uns sogar leisten. Das ist kein Privileg für Reiche. Ich hole mir meine Freiheit zurück und nebenbei spare ich das ganze Geld, dass ich den Stadtwerken an anderer Stelle in den Rachen geworfen habe.

Peace!

PS: Man kann übrigens auch in der Bahn lesen. Und wenn wieder mal irgendeine spannende Geschichte zu Ende gelesen werden muss, fahre ich einfach bis zur Endhaltestelle und wieder zurück. Ich kann mir das leisten.….

PS Nr.2: Lieber Siegfried, bevor Du hier jetzt einen Leserkommentar schreibst: Du weißt schon, dass ich Dir meine Abo-Karte auch borgen würde?!

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siggivonderheide@me.com
6 Jahre her

Lieber Thomas, ich fahre in der Stsdt mit dem Rad und lese auf dem Sofa. Sollte es wieder schlechteres Wetter geben führe ich gern mit deiner Abo-karte zur Arbeit. Ich bin inzwischen wasserscheu geworden und hoffe das die Karte gegen 13.00 verfügbar ist.
P.S. Ich mag den Schreibstil, liegt wohl auch daran das ich deine Sprechstimme dabei höre. Selbstreflektion im Detail, Hut ab.

Dirk Dirot
6 Jahre her

Endlich mal eine Kolumne die informativ und witzig ist- auch wenn ich nicht so oft Bahn fahre, auch eher Rad und ja leider auch Auto (zweimal die Woche). Finde ich erfrischend, wenn man Freiheit eben nicht mit motorisierten Individualverkehr verwechselt wie deine Stätz-Kolumnen Kollegin.