Kommentar: Das digitale Gewerbegebiet

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Mal eine Gedankenübung: Es gibt da ein Gewerbegebiet, auf dem eine Stadt Flächen zur Ansiedlung von Unternehmen ausweist. Die Stadt geht in Vorleistung beim Kauf des Grundstücks, entwickelt es mit einer leistungsfähigen Infrastruktur, so dass die Firmen, die sich ansiedeln wollen, leichtes Spiel haben, einen Standortvorteil. Der Lohn für die Stadt: Einnahmen aus den Grundstücksverkäufen oder ‑verpachtungen, Arbeitsplätze, Steuereinnahmen.

Felix Knothe ist Gründer der Städtischen Zeitung.

Klar: Der Star-Park an der A14 entwickelt sich prächtig, so gut, dass Oberbürgermeister Bernd Wiegand schon nach neuen Flächen fahndet, die als Gewerbeparks ausgewiesen werden können. Einer anderen Gewerbefläche hat er nun jedoch kühl eine Abfuhr erteilt: der Internetendung „.halle“. Dabei wäre eine eigene Internetendung für Halle genau das: ein Gewerbegebiet, nur eben in der digitalen Welt. Im Vergleich zu herkömmlichen Gewerbegebieten wäre es sogar sehr günstig, was Erwerb und Entwicklung angeht. [ds_preview]

Man kann den Vorschlag, den der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Kleinwächter vor knapp drei Wochen in der Städtischen Zeitung gemacht hatte, sicher kontrovers diskutieren. Zu aufwendig, zu teuer, zu weit hergeholt das Ganze – all das wären zumindest Argumente gewesen, mit denen man sich in einer ordentlichen Debatte hätte auseinandersetzen können. Den Vorschlag gar nicht zu diskutieren und ihn, wie es Wiegand nun gemacht hat, einfach abtropfen zu lassen, zeugt jedoch nicht davon, dass die Stadtspitze die Tragweite, die Chancen und die Risiken abgewogen hätte. Vielmehr zeugt es davon, wie einseitig im Rathaus derzeit Wirtschaftspolitik verstanden wird – und wie viel seit Wiegands Amtsantritt auf der Strecke geblieben ist vom Versprechen auf Aufbruch und Erneuerung.

Bei der OB-Wahl 2012 präsentierte sich der damalige Dezernent den Wählern als zupackender und auch visionärer Kandidat, der nicht davor zurückschreckte, Themen zu setzen und zu unterstützen, von denen die Praktiker der Macht lieber die Finger ließen, weil sie utopisch schienen oder kaum eine Lobby hatten. Der Saale-Elster-Kanal zwischen Halle und Leipzig war so ein Projekt, mit dem Wiegand sich schmückte. Auch um die Stimmen im Lager der mittelständischen und der Kreativwirtschaft buhlte der Kandidat. Es braucht daher nicht viel Vorstellungskraft, um sagen zu können: Wäre noch Wahlkampf, hätte sich Wiegand die Idee „Internetendung .halle“ ohne Weiteres zueigen gemacht. Dass die Idee nicht aus den etablierten Wirtschaftsstrukturen selbst kommt, hätte sie wohl noch geadelt. Dass sie ein potenzielles Paradeprojekt für die Zusammenarbeit in der Metropolregion Mitteldeutschland wäre, hätte ihr das Sahnehäubchen verliehen.

Und es spricht ja auch viel dafür. Domainnamen sind so etwas wie die Verkaufsflächen des Digitalzeitalters, zumindest wenn man an der Idee von freien, diversifizierten Märkten festhält, deren wirtschaftliche Prozesse sich nicht allein auf privaten Marktplätzen wie Amazon oder Ebay abspielen. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, für den Buchladen um die Ecke, den Glaser oder die Kfz-Werkstatt, für Start-Ups oder einfache Selbständige, die mit ihren Dienstleistungen und Produkten hauptsächlich in Halle und Umgebung agieren, wäre ein Internetauftritt à la www.handwerker-krause.halle eine sehr naheliegende Überlegung – wie ein Platz im digitalen Gewerbegebiet Halle eben. In der regionalen Wirtschaft in Halle ist das Ende vom Anfang der digitalen Möglichkeiten noch nicht einmal in Sicht. Aber auch für Vereine oder zivilgesellschaftliche Initiativen – weitere Zielgruppen, die Wiegand gerne bedient – ist ein regionalisierter Internetauftritt eine Option.

Doch der Zug scheint in Halle abgefahren. Der Fokus der Stadt liegt auf der Grünen Wiese, auf Großansiedlungen, auf der Logistikbranche. Im Star-Park taucht auch der Name Ebay übrigens wieder auf. Natürlich: Halle braucht die Arbeitsplätze und die Steuereinnahmen. Gegen all das ist nicht viel zu sagen. Gegen Einseitigkeit in der Wirtschaftsausrichtung schon. Digitalisierung, regionale Wirtschaftskreisläufe, der Mittelstand, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung – war da nicht mal was?

Sicher: Am Ende könnte auch stehen, dass eine eigene Internetendung für Halle ein Luftschloss ist, dass Halle schlicht zu klein ist und bescheiden bleiben sollte, dass der Zug im Netz vielleicht schon längst in eine ganz andere Richtung fährt. All das ist möglich. Aber es würde sich lohnen, das alles auszuloten, mit Fachleuten zu diskutieren und vielleicht trotz vieler Bedenken mit einer Idee, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsprojekten nicht viel kostet, in Vorleistung zu gehen. Man weiß ja auch bei Gewerbegebieten nicht, ob sie am Ende besiedelt werden. Trotzdem werden sie in Land und Flur zu hunderten ausgewiesen.

Es muss jemand loslaufen, hat Wolfgang Kleinwächter gesagt. In Halle hat der Oberbürgermeister den Lauf gerade einstweilig abgesagt.

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Seabstian Hinz
6 Jahre her

Leider wahr, Chance vertan 🙁