Wehrhafte Demokraten

Die Anwohner des Hauses der Identitären Bewegung in der Adam-Kuckhoff-Straße treten den Ideologen entgegen, und ein Professor bläst zum Kampf der Demokraten. In der Auseinandersetzung mit der neurechten Bewegung spiegelt sich in Halles nördlicher Innenstadt gerade deutsche Realität.

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Das Bebelviertel organisiert sich seit Monaten gegen die Identitäre Bewegung, Foto: StäZ

Halle/StäZ – Wenn man die Auseinandersetzung, die derzeit im Bebelviertel abläuft, als Kampf bezeichnen will, dann hat die Demokratie in dieser Woche zurückgeschlagen. Aber nicht alle, eigentlich nur wenige von denen, die sich in den letzten Wochen und Monaten organisiert haben gegen das Hausprojekt der Identitären Bewegung in der Adam-Kuckhoff-Straße, würden solche Vokabeln benutzen. Im Bebelviertel kann man gerade eine Bewegung beobachten, die sich spät, aber dafür zahlreich und entschlossen den ungebetenen Nachbarn entgegenstellt. Da sind Studierende, Eltern, Großeltern, Händler, soziale Einrichtungen, die Universität, auch ein ehemaliger Minister ist darunter. Einen offenen Brief haben sie verfasst, den 120 Menschen namentlich gezeichnet und zahlreiche weitere – auch aus Angst vor rechten Reaktionen – anonym unterstützt haben. „Wir wollen keine Nachbarschaft mit Ihnen“, so die Botschaft an die neu Hinzugezogenen.[ds_preview]

Rund ein Vierteljahr hat es gedauert, bis der Brief fertig war, von der allerersten Idee bis zur Veröffentlichung. Er spricht deutliche Worte, und vor allem die Breite, in der er im Bebelviertel getragen wird, macht ihn zu einem starken Dokument.

Wer andere Menschen ausgrenzt, bedroht und in Lebensgefahr bringt – hier und anderswo, kann nicht für sich eine gute Nachbarschaft beanspruchen. Wer die Meinung vertritt und wissenschaftlich zu begründen versucht, Menschen sollen grundsätzlich nur dort wohnen, wo sie geboren wurden bzw. von wo sie abstammen, kann nicht glaubwürdig für einen menschenfreundlichen Umgang mit allen Einwohnerinnen und Einwohnern unserer Stadt eintreten. Sie denken und reden von „deinem Land“, wir denken und reden von „einer Welt“. – Offener Brief der von Bewohnerinnen und Bewohnern des Bebelviertels.

Der Brief soll außerdem erst ein Anfang sein. Es gibt noch weitere Pläne. Mit positiven Aktionen wollen die Bebelianer der IB-Ideologie zu Leibe rücken. Zugleich ist quasi nebenher ein Bürgernetzwerk entstanden, das die Umtriebe im Haus der Identitären intensiv beobachtet. Die Rechten werden sozusagen über den Gartenzaun beobachtet. Zusammenhalt als Bollwerk. Erst einmal in Ruhe informieren, sich vernetzen, gemeinsam beratschlagen und gewählt kontern: Man kann das Ganze für ein reife Reaktion halten. Die Demokratie braucht eben immer etwas länger. Schlecht muss das nicht sein.

Anruf bei Raimund Müller von der Buchhandlung Jacobi&Müller am Harz. Das Wort identitär bringt ihn sofort in intellektuelle Hab-Acht-Stellung. Er erzählt von den zwei Studentenwohnheimen um die Ecke, vom internationalen Gästehaus der Uni mitten im Viertel. „Wenn mir erzählt wird, dass ausländische Gäste hier neuerdings angepöbelt werden, dass sie plötzlich nicht mehr unbeschwert durchs Viertel laufen können, dann führe ich das insgesamt auf den gestiegenen Rassismus und die gestiegene Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft zurück“, sagt er. Dass die IB im Bebelviertel ein Schulungszentrum einrichten wolle, um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in die Welt zu tragen, „das ist absolut indiskutabel“. Er lese gerade das Buch eines halleschen IB-Mitglieds und schüttele nur den Kopf. „Man muss diesen Leuten zeigen, dass man mit ihrem neuen braunen Gedankengut nicht einverstanden ist. Denn wenn ich dem nicht widerspreche, dann toleriere ich diese Fremdenfeindlichkeit.“

Natürlich weiß Müller, wie es viele im Viertel wissen, dass die Ablehnung, die sie da gerade organisieren, von der Gegenseite wiederum als gänzlich undemokratisch empfunden werden dürfte. Sie versuchen sich gegen solche Vorwürfe mit Argumenten zu wappnen. Als offene Gesellschaft müsse man den Feinden dieser offenen Gesellschaft eben irgendwann entgegentreten. Und wenn es im eigenen Viertel ist, dann doch wohl erst recht. Um der Demokratie willen sozusagen.

Es ist das Dilemma der Demokratie, dass sie ihren Feinden die allgemeinen Rechte und damit die besten Möglichkeiten gibt, sie selbst anzugreifen. Wehrhaft sollte die neue deutsche Demokratie nach den Erfahrungen in der Weimarer Republik werden, hatten sie im Westen gesagt. Im Osten war „Wehret den Anfängen“ das antifaschistische Bekenntnis. Beide Seiten hatten das nicht immer so genau genommen. Und wie genau dieses demokratische Entgegentreten nun konkret im Hier und Jetzt gehen soll, im Alltag, auf der Bürgerebene sozusagen, ganz ohne Verfassungsschutz und Staatsgewalt, das versuchen sie im Bebelviertel gerade herauszufinden.

Es gab da die erste, wilde Phase des Entgegentretens. Der Ex-Minister Norbert Bischoff, der seit einem Jahr im Bebelviertel wohnt, nimmt von sich aus Bezug auf das, was sich seit einer Demonstration gegen das Gebäude der IB im Juli bei ihm um die Ecke abgespielt hat. Die Demo selbst war in Teilen aggressiv, auch wenn der Großteil der Demonstranten die leiseren Leute aus dem Viertel waren, die hinter dem harten Antifa-Kern herliefen. Aggressive und konfrontative Demos sind vom Demonstrationsrecht erlaubt, auch wenn Bischoff das als „älterer Herr“ „nicht schön“ gefunden habe.

Demonstration in Halle am 11.07.2017 gegen das Haus der Identitären Bewegung in der Adam-Kuckhoff-Straße. (Foto: StäZ)
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siggivonderheide@me.com
6 Jahre her

interessant ist dass dieser wirklich gründlich recherchierte und journalistisch herausragende (zumindest in Halle) Artikel keinerlei Dialog der Leser hervorbringt. Das fällt mir im Gesamtbild der StäZ auf, keine Lust auf Diskussion. Kein Kompliment an die Leserschaft.