Bebelviertel: „Klare Kante zeigen“

Die Identitäre Bewegung gründet ein Zentrum im Bebelviertel. Besuch bei einem Nachbarn, bei Ex-Landessozialminister Norbert Bischoff (SPD).

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Norbert Bischoff, Landesminister a.D., wohnt in naher Nachbarschaft zum Hausprojekt der Identitären Bewegung in der Adam-Kuckhoff-Straße

Norbert Bischoff wohnt in naher Nachbarschaft zum Hausprojekt der Identitären Bewegung, das seit Frühjahr in der Adam-Kuckhoff-Straße existiert. [ds_preview]120 Anwohnerinnen und Anwohner aus dem Bebelviertel haben einen offenen Brief unterschrieben, und Bischoff ist – halb freiwillig, halb zögerlich – einer der Sprecher der Initiative. Mit ihm sprach Felix Knothe.

Herr Bischoff, in Ihrem offenen Brief wünschen Sie und 120 andere Menschen aus dem Bebelviertel keine Nachbarschaft mit der rechtsextremen Identitären Bewegung. Warum?
Ich wohne selbst in unmittelbarer Nähe zur Adam-Kuckhoff-Straße 16. Als dort neue Leute einzogen, kannte ich die Identitären nur aus Beschreibungen. Dann habe ich mich schlauer gemacht, und im Juli steckte dann ein Brief der Identitären in unserem Briefkasten, in dem sie um gute Nachbarschaft warben. Das konnten und wollten wir nicht so stehen lassen.

Warum nicht?
Wer gute Nachbarschaft will, sie aber selbst nicht bereit ist zu geben, sondern seine Bereitschaft daran knüpft, wo jemand herkommt, und dazu an Vorstellungen festhält, die bewusst Hass und Unfrieden schüren und geschichtsvergessen sind, der hat gute Nachbarschaft nicht verdient.

Wie kam es dazu, dass so viele Menschen unterschrieben haben?
Als bekannt geworden war, wer das Haus gekauft hatte, gab es gleich sehr viele Diskussionen im Viertel. Ängste kamen auf. Das hat uns alle hier beschäftigt. Dann gab es zwei sehr gute Treffen mit einigen Anwohnerinnen und Anwohnern aus den umliegenden Straßen. Dort entstand dann ein Konsens, hinter dem sich sehr viele Leute versammelt haben: Wir wollen den Identitären hier entgegentreten mit dem was wir haben – mit dem Zusammenhalt weltoffener Menschen.

Sie sind Minister a.D., ihre Frau Birke Bull-Bischoff ist aktive Bundestagsabgeordnete. Welche Rolle spielt das?
Eine untergeordnete. Ich habe in den gemeinsamen Runden immer gesagt, ich möchte nicht der Kopf sein. Wenn es aber darauf ankommt, dass erst einmal jemand losgeht, um andere vielleicht mitzuziehen oder um sie auch zu schützen, kann ich das machen. Es ist doch ganz normal, dass viele im ersten Impuls in Ruhe hier wohnen und von Politik in ihrem eigenen Viertel in Ruhe gelassen werden wollen. Hier im Viertel ist zum Glück aber sofort auch Initiative da gewesen.

Wer genau sind die Menschen in dieser Gruppe?
Wir sind buntgemischt, ganz normale Hallenserinnen und Hallenser von 18 bis über 80. Gewerbetreibende wie Buchhändler, Künstler, die Menschen von Radio Corax, vom Marthahaus, von der Stadtmission, vom Schlesischen Konvikt,  Professoren, Studierende. Dass so viele mitziehen und unterschrieben haben, macht mich stolz darauf, in diesem Viertel hier zu wohnen, stolz darauf, in Halle zu wohnen.

Ganz Deutschland diskutiert darüber, wie mit Rechtspopulismus und dem Rechtsruck umzugehen ist. Welche Art der Auseinandersetzung halten Sie für sinnvoll?
Auch bei uns gab es gute und lange Diskussionen. Das Beste ist: Klare Kante für eine weltoffene Stadt und Gesellschaft zu zeigen. Viele wissen nicht, was sich hinter den Identitären wirklich verbirgt, für welches ausgrenzende Menschenbild sie stehen. Wenn man sich das aber klarmacht, weiß man, wie unheilvoll das ist, schon aus der deutschen Geschichte heraus. Wir brauchen Offenheit, um nicht wieder in Krieg und Elend zu geraten, wir brauchen menschliche Offenheit überall auf der Welt, in Deutschland und in Halle. Die Identitären propagieren das Gegenteil.

Haben Sie schon mit den Identitären geredet, von Nachbarn zu Nachbarn?
Nein, ich würde es zur Zeit auch nicht machen. Wirkliche Auseinandersetzungen kann man nur mit denen führen, die selbst offen sind.  Wer eine Ideologie vertritt, die davon ausgeht, dass Menschen nur dort leben sollten, wo sie abstammen, ist nicht offen. Das sind meist Menschen mit zu wenig Selbstwertgefühl, die Halt hinter solchen Begriffen suchen, hinter der Ablehnung des Anderen.

Wenn Sie die Identitären nicht überzeugen wollen, worum geht es Ihnen dann?
Uns geht es darum, die offene Nachbarschaft zu stärken und gegen dieses national-ideologische, völkische Denken anzugehen. Und da ist es doch besser, nachbarschaftliche Begegnungen und Feste zu begehen und positive Aktionen zu machen. So kann man gute Nachbarschaft erleben und die Identitären hier im Viertel spüren, dass der Wind hier anders weht, dass die Gesellschaft bunt ist, und dass das gut so ist. Das ist eine Nachbarschaft, wo man das identitäre Denken isolieren kann. Die Ironie ist, dass das hier in der Stadt vielleicht sogar besser geht, als auf dem Land.

Dennoch gibt es auch militantere Ansätze: „Kick them out“, das Motto der Demos gegen das rechte Hausprojekt, versteht sich nicht von selbst als bürgerlich-friedlich. Das Haus der Identitären ist außerdem mit Farbbeuteln beschmiert.
Wir sind auch bei der Demo im Sommer mitgelaufen, aus Überzeugung. Als es vor das Haus selbst ging, war das schon schwierig, weil es sehr lautstark und konfrontativ zuging. Das war für mich älteren Herren nicht schön, aber viele vor allem junge Menschen wollten sich eben auf diese Art ausdrücken. Natürlich lehne ich es auch ab, Farbbeutel zu werfen. Aber ich will auch nicht der Moralapostel sein und kann junge Leute verstehen, die deutlichere Zeichen setzen wollen. Das Gros der Anwohnerinnen und Anwohner hier tickt jedoch anders. Wir leben die Offenheit, die wir in unserer Nachbarschaft wollen.

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Karoline Makosch
6 Jahre her

Mutiges und richtiges Vorgehen, vielleicht sollte es mehr solcher Nachbarschaftstreffen geben!

Albrecht Pohlmann
6 Jahre her

„Wirkliche Auseinandersetzungen kann man nur mit denen führen, die selbst offen sind.“ – Das ist ein Zirkelschluß, denn die „Identitären“ sind ja lt. Norbert Bischoff per definitionem nicht offen, also braucht man auch nicht mit ihnen zu diskutieren – jetzt nicht und in Zukunft nicht. Ich halte das für falsch. So ist den Neurechten nicht beizukommen. Akademische Veranstaltungen über, aber ohne sie (so wie letztens auf dem Campus) überzeugen nicht. Die „Identitären“ sind rechte Intellektuelle ohne Massenbasis. Zur Diskussion eingeladen, sollten sie zeigen, wie stark ihre Argumente tatsächlich sind. Unter politischer Freiheit verstehe ich, daß alle Argumente vorgebracht werden können… mehr lesen »

lichtsubjekt_papierkunst@email.de
6 Jahre her

@al.pohlmann: einerseits haben Sie Recht, was das Bedürfnis betrifft, ohne Vorzensur sich ein Urteil zu bilden. Das ist das demokratische Recht jedes mündigen Bürgers. Und deshalb sind wir auch bei StäZ. Andererseits zeigen Erfahrungen und Praxis von Menschen, die sich beruflich mit dem Phänomen des Extremismus beschäftigen, dass eine Diskussion mit ideologisch verblendeten Zeitgenossen so gut wie unmöglich ist. Hier findet kein Austausch von Argumenten im Sinne des Ziels einer Annäherung statt, sondern Sie werden rasch merken, dass Extremisten sich jedem ihrer Weltsicht entgegenstehenden Argument verschließen und es aus der inneren Logik ihrer Überzeugung heraus sogar scheinbar schlüssig widerlegen können. Oftmals… mehr lesen »

Albrecht Pohlmann
6 Jahre her

Lieber lichtsubjekt_papierkunst@email.de: Ihre Argumente überzeugen mich nicht. Die im Grundgesetz manifestierte Meinungsfreiheit bedeutet für mich, daß auch die extremsten Meinungen geäußert werden dürfen. Ich bin radikaler Pazifist. Eine Position, die im Zeitalter von „Auslandseinsätzen“ der Bundeswehr als „nicht politikfähig“ gilt. Für mich eine empörende Tatsache. Ich möchte jedoch weiterhin radikale Kapitalismus- und Staatskritik (gewissermaßen die Essenz meines Pazifismus) üben dürfen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die radikale Gegenposition sich ebenfalls äußern kann. „Ideologisch verblendete Zeitgenossen“ sind wir alle miteinander, täuschen Sie sich da mal nicht. Ich würde – nicht anders als andere politische Strömungen – die Öffentlichkeit als Bühne… mehr lesen »

lichtsubjekt_papierkunst@email.de
6 Jahre her

Ich verstehe Ihren Ansatz des radikalen Pazifismus, auch wenn ich ihn nicht bis ins Detail teilen kann. Dass wir alle „ideologisch verblendete Zeitgenossen“ wären, halte ich für reichlich übertrieben, mit Verlaub. Es ist gottlob noch immer möglich, sich unabhängig und objektiv zu informieren. Was man sich dann für eine Meinung macht, ist natürlich subjektiv, aber doch nicht zwingend ideologisch verblendet! Es ehrt Sie, dass Sie versuchen würden, mit bspw. Protestwählern zu reden, ich denke auch, dass man da argumentativ weiterkommen könnte, wenn auch evtl. nicht sehr weit. Die meinte ich aber auch nicht, denn die sind nicht gefährlich, außer, wenn… mehr lesen »

Albrecht Pohlmann
6 Jahre her

Lieber @lichtsubjekt, ich habe mir inzwischen das Geschriebene auch nochmal überlegt und gebe Ihnen weitgehend recht. Worum es mir speziell in diesem Fall dennoch geht, sind die Grenzen der Meinungsfreiheit. Und die sollten nach wie vor so weit wie möglich gesteckt sein, aus den genannten Gründen: ich muß dann für mich abscheuliche Ansichten wie die der AfD aushalten, habe aber die Garantie, daß alle, auch die AfD, radikale Ansichten von der anderen Seite des politischen Spektrums ebenso aushalten müssen, in meinem Fall also die des gewaltlosen Widerstands in der Tradition von Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Beide Namen kennzeichnen… mehr lesen »

lichtsubjekt_papierkunst@email.de
6 Jahre her

Da gebe ich Ihnen absolut Recht! Auch für mich sind beide Namen eng verknüpft mit meiner ethischen und politischen Sozialisation. Ergänzend möchte ich noch differenzieren, dass es beiden immer um die Bekämpfung der gegnerischen Positionen ging, nicht jedoch um das Bekämpfen oder gar „Ausschalten“ des Gegners, darum, sein Verhalten und Handeln zu kritisieren, nicht jedoch Personen zu diffamieren und in ihrer Würde herabzusetzen, Person und Handeln zu trennen. Da ist er, der Respekt vor dem Anderen, der anders denkt und handelt und dabei womöglich selbst die Grenzen des Respektablen komplett missachtet. Dann dennoch gelassen zu bleiben und sich nicht auf… mehr lesen »