Wer bin ich, und wenn ja wieviele…

Das neue theater glänzt mit einer hinreißenden Studioproduktion von Ibsens Peer Gynt in der Kammer.

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Peer Gynt im neuen Theater: Emma-Katharina Suthe, Julian Gutmann, Anton Dreger, Jan Wenglarz, Naemi Feitisch, Tristan Becker, Anastasia-Lara Heller (v.l.; Foto: Michel Klehm/TOO)

Halle/StäZ – Peer Gynt ist Henrik Ibsens berühmter Ich-Sucher. Ein Mensch aus lauter Schichten. Wie eine Zwiebel. Und innen ist nichts. Eine Art norwegischer Faust, der sich seine eigene Wirklichkeit zurecht phantasiert, von allen anderen Lügner genannt wird und bei seiner Reise durch die ganze Welt vom Wege abkommt. Er versagt als Bräutigam und Hoferbe, versucht sich als Troll und wird als Sklavenhändler reich. Sein Ziel ist von Anfang an, nicht weniger als der Kaiser der Welt zu werden. Doch wenn alle Schalen geschält sind, dann ist von ihm nichts mehr übrig.[ds_preview]

Jan Wenglarz, Anton Dreger, Emma-Katharina Suthe (v.l.; Foto: Michel Klehm/TOO)

An der Schaubühne in Berlin macht gerade Lars Eidinger mit einer Ein-Mann-Show als Peer Gynt Furore. Ein Solo für den selbstverliebten Star des Hauses, der sich nur zügeln muss, um damit Eindruck zu machen.

Das neue theater bietet jetzt das genaue Gegenteil. Hier sind die fünf Männer und drei Frauen alle acht Peer Gynt. Jeder ist sozusagen eine Zwiebelschale. Sie wechseln gleitend nach ihrem jeweiligen Solo als Peer Gynt in die anderen Rollen, die in der beherzt und klug auf 90 pausenlose Minuten eingedampften Fassung übrig sind. Anastasia-Lara Heller ist Mutter Aase und ein Troll. Clemens Kersten die Anitra. Jan Wenglarz der Eberkopf, der Fellache und der Kapitän. Anton Dreger auch Master Cotton und ein Passagier. Emma-Katharina Suthe die Solvejg und ein Troll. Naemi Feitisch wird zu Ingrid und Dover-Alte. Und Julian Gutmann wird zu Monsieur Ballon, Begriffenfeldt und dem Koch. Schließlich verwandelt sich Tristan Becker in den Bräutigam, die Grüne, die Stimme und Hussein.

Clemens Kersten und Anastasia-Lara Heller (Foto: Michel Klehm/TOO)

Wie sie hier von einer in die andere Rolle schlüpfen, wird das Ganze zu einem Lehrstück von mustergültigem Ensemblespiel, das wie ein gut geöltes Uhrwerk abläuft. Präzise, immer auch mit Witz und voller Spannung. Mit ihrer sparsamen Bühne und den Kostümen schafft Birgit Voß den Rahmen, in dem die Jungschauspieler (die meisten gehören zum Schauspielstudio des neuen theaters) zeigen können, was sie drauf haben. Und Regisseur Peter Dehler lässt sie von der Leine, treibt sie allesamt zu lustvoll charismatischem Spiel. Was hier zu erleben ist, ist ein im besten Sinne altmodisches Schauspiel, das sich auf sich selbst besinnt und weder Ausstattungsmätzchen, fremden Texte, englische Songs noch exzessive Brüllorgien braucht. Eins, das den Text und den Schauspieler ins Zentrum rückt. Auch, dass die drei Frauen jede ihren Peer abliefern, hat hier nix mit Genderübereifer zu tun, sondern ergibt sich logisch aus dem Ansatz. Allen gelingt es, Ibsens Text in der (nur ganz vorsichtig ins Heute-Sprech retouchierten) Übersetzung von Angelika Gundlach leuchten zu lassen. Inklusive Situationswitz und Lebensweisheit.

Mitte: Tristan Becker
(Foto: Michel Klehm/TOO)

Das Kammerspiel beginnt und endet als Parodie der großen Oper zu Edward Griegs bekannten Gynt-Klängen. Nacheinander machen sie sich den herausgehobenen Platz auf einem kleinen Podest streitig und dirigieren ihren Gynt. Jeder auf seine eigene Art. Für den Rollenwechsel reichen wenige Kostümversatzstücke (und für den Peer bei den Trollen sogar der pure eigene Körper) völlig aus. Der Rest ist Phantasie und Spiel. Und – keineswegs mehr selbstverständlich – klare

Sprache. Hier wird nichts weggenuschelt oder überbrüllt. Hier zählt jedes Wort. Die anderthalb Stunden sind ein Wurf aus einem Guß. Sie machen Spaß. Und hätten ruhig noch länger dauern können.

Nächste Vorstellungen: 15. (20 Uhr)19. (20 Uhr), 25. Februar (10 Uhr), 12. März (18 Uhr), 09. April, (20 Uhr), 19. April (18 Uhr), nt – Kammer

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Waren wir im selben Stück? Es wird oft sehr laut geredet / gerufen, das Timing ist
sehr unterschiedlich/nicht wirklich verinnerlicht. Man spürt die heisse Probennadel. Allerdings ist der Zusammenspiel des Ensembles zumindest lustvoll und engagiert. Bei Aufführungen von Studierenden erwarte ich keine sprachlichen Finessen, insofern war es sehr angenehm zu erleben wie wichtig Sprache und Aussprache genommen wurde. Warum ist eigentlich die einzige Szene mit Nacktem das Bild zum Artikel. So entscheidend war diese Szene nicht und sie spiegelt den Abend nur sehr unzureichend wider.