Kommentar: Vaterlandslose Gesellen in Thüringen

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… nicht. Früheres Wahlplakat des neuen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP). (Foto: FDP/Archiv)

In Thüringen ist am Mittwoch das bisher Undenkbare passiert: Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich hat sich mit Stimmen der in weiten Teilen rechtsextremen AfD zum Ministerpräsidenten seines Bundeslandes wählen lassen, einfach so im dritten Wahlgang – und er hat die Wahl angenommen und sich im Landtag vereidigen lassen. Damit ist nun völlig überraschend ein Mann im Amt, der keinen Wählerauftrag hatte, keine Regierungsmannschaft vorweisen kann und auch kein Regierungsprogramm. Auch eine stabile Regierungsperspektive ist nicht in Sicht. Kemmerichs Wahl ist daher ein Bruch mit allen parlamentarisch-republikanischen Gepflogenheiten.[ds_preview]

Schon Kemmerichs Amtseid war ein Paradox, denn in ihm verpflichtet sich der Ministerpräsident, die Verfassung zu wahren. Kemmerich war aber nur Minuten zuvor mit der Stimme Björn Höckes und allen Stimmen von dessen AfD-Fraktion in dieses Amt gewählt worden. Höcke ist der übelste Verfassungsfeind in seiner an Verfassungsfeinden reichen Partei. Kemmerich war das egal. Die kürzestfristige Aussicht auf die Macht und die Chance, dem bei Liberalen und Konservativen offenbar noch verhassteren rot-rot-grünen Bündnis eine Schlappe beizubringen, waren unwiderstehlich.

Auch die Versuche von FDP und CDU in Thüringen, sich sofort wieder vom Geschehen zu distanzieren, fruchten nicht. Man sei nicht verantwortlich für das Abstimmungsverhalten anderer Fraktionen, sagte etwa CDU-Landeschef Mike Mohring. Wer aber soll jetzt noch glauben, dass Kemmerich ursprünglich bloß als Zählkandidat angetreten ist? Wer soll jetzt noch hoffen, dass die Abgrenzungsrhetorik hin zur AfD weiter Gehalt hat? Die AfD hat am Mittwoch Kemmerich ins Amt verholfen. Kemmerich und Mohring haben ihre Parteien zum Spielball der AfD gemacht. Das ist ein Makel, der nur durch einen schnellen, beherzten Rücktritt zu tilgen ist. Von Kemmerich und von Mohring. Die Forderungen aus beinahe allen politischen Lagern nach Neuwahlen sind außerdem allzu berechtigt.

Kemmerich hat im Wahlkampf eine Kampagne mit dem Slogan „Hallo Übermorgen“ geführt. Das war gestern. Heute wurde er gewählt. Wenn aber so das Morgen aussieht, dann Gute Nacht. Kemmerichs Wahl mag parlamentarisch rechtens, also legal verlaufen sein. Legitim ist sie nicht. Zur parlamentarischen Demokratie gehört das politische Wort, die Erklärung, die Transparenz politischer Vorgänge. Das Volk muss verstehen können, was warum im Parlament passiert. Als aber das Wahlergebnis verkündet war, verstand ganz Deutschland die Welt nicht mehr.

Thomas Kemmerich, Mike Mohring und Björn Höcke war das egal. Sie haben mit dem Parlament und ihren Mandaten zuerst ein Versteck‑, dann ein Lügen- und zum Schluss ein Schauerspiel gespielt. Sie haben mit einer der Republik und ihrer parlamentarischen Demokratie unwürdigen Scharade die exekutive Macht in Thüringen an sich gerissen. Man darf die Thüringer 45, die für Kemmerich gestimmt haben, getrost als vaterlandslose Gesellen bezeichnen.

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Wirtschaftsliberalismus war schon einmal der Beförderer des Faschismus in Deutschland. Die „Herren“ Kemmerich, Mohring und Höcke befinden sich sich in passender Gesellschaft.
Es bleibt nur zu hoffen das die CDU und FDP Parteimitglieder diesem unmoralischen Verhalten und diesem Betrug an den Wähler*innen ein Ende macht und Neuwahlen unterstützt.

siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Drei „Herren“ haben kräftig an den moralischen Fundamenten des demokratischen Handelns gerüttelt – und warum? Hat schon mal jemand darüber nachgedacht das alle drei Parteien/Protagonisten im derzeitigen gesellschaftlichen Diskurs zum  Klimawandel praktisch nicht produktiv teilnehmen, dies zu einer Zeit in der sogar der Black-Rock-Chef Fink (7 Billionen verwaltete Euro weltweit) allen seinen Kunden deutlich macht das seine Dienstleistungen nur dann noch zu haben sind wenn der Klimawandel in der jeweiligen Geschäftspolitik eindeutig berücksichtigt wird. Die drei Herren haben eine Gelegenheit beim Schopfe gepackt und versucht nochmal zu retten was noch zu retten ist. Ist doch egal ob Herr Höcke ein Faschist ist, wirtschaftsliberal ist er… mehr lesen »