Fridays for Future: „Leider wird immer noch zu wenig gemacht.“

Seit Monaten demonstriert Fridays for Future auch in Halle. Doch inzwischen tritt Gewöhnung ein.

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Fridays-For-Future-Demo am Universitätsring in Halle. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Sie sind wieder auf die Straße gegangen. Die Schüler, die Studierenden, die Wissenschaftler, die Eltern. In Halle, an sehr vielen Orten in Deutschland und weltweit. In Halle gab es an diesem Freitag sogar zwei Demozüge für besseren, schnelleren und vor allem wirksamen Klimaschutz. Es dürften wieder über 3.000 Menschen gewesen sein, die vom August-Bebel-Platz einerseits und vom Rannischen Platz andererseits zum Leipziger Turm gezogen sind. Kein Rekord, aber beständig viele.

Die Bewegung Fridays for Future, die vor rund einem Jahr weltweit begonnen hat und auch in Halle seit Monaten immer wieder auf der Straße ist, ist zwar nach wie vor in aller Munde. Doch wirklich erreicht hat sie auch nach eigener Wahrnehmung noch nicht viel. Zumindest die Maßnahmen, die seither von der Politik ergriffen wurden, reichen keinem, der am Freitag auf der Straße war, weder die nationalen noch die halleschen Maßnahmen. Just am Freitag blockierte der Bundesrat einen Teil des deutschen Klima-Gesetzespakets, das aus Sicht der Demonstranten ohnehin viel zu wenig ist.[ds_preview]

Und doch tritt gleichzeitig so etwas wie Gewöhnung ein. Obwohl die Demos auch am Freitag wieder den Tagesverkehr und damit auch das öffentliche Leben stark beeinflussen – am Freitagsnachmittag fahren auch wieder hunderte Radfahrer demonstrierend durch Halle, inklusive 20-Minuten-Sperrung der Hochstraße nach Halle-Neustadt –, geht die große Mehrheit in der Stadt dennoch ihren normalen Gang. Man nimmt Notiz, mancher Gestresste und Beladene regt sich auch auf, doch am Ende landet man nach Feierabend doch beim Glühwein auf dem Markt, muss die Kinder aus der Kita abholen oder steht eben mit dem Auto im verlässlichen Freitagsstau.

Protestakkrobatik am Leipziger Turm: „Perpektiven wechseln jetzt!“ (Foto: xkn)

Wer sich in der Stadt umhört, merkt: Es sind Welten, die mittlerweile aufeinanderprallen. Auf der einen Seite das „normale“ Leben, der Alltag tausender Hallenserinnen und Hallenser, der „normale“ Lauf der Dinge auch in Wirtschaft und Politik. Auf der anderen eine Bewegung mit maximalen Forderungen: nach der radikalen Wende im Verkehr, im Verzehr, im Konsum, in der Haltung zum Wirtschaftswachstum. Denn nur so seien die selbstgesteckten und von Wissenschaftlern als dringend angemahnten Klimaziele noch zu erreichen. Am Leipziger Turm hebt ein Mann eine Frau in die Höhe. Als sie kopfüber auf seinen Händen balanciert, spannt sich zwischen ihren Beinen ein Transparent auf: „Perspektiven wechseln jetzt!“ Der Kampf gegen den Klimawandel ist auch für die Gesellschaft ein Kraftakt. Viele Menschen werden von heute aus gesehen viele Handstände machen müssen, viele Jahrzehnte lang. Aber wer kann schon Handstand? Antrengend.

Fridays-for-Future-Sprecher Peter von Lampe. (Foto: xkn)

Wer Peter von Lampe, eines der Gesichter der halleschen Klimaschutzbewegung, mit dieser Diskrepanz konfrontiert und die Frage stellt, wo die Freitagsbewegung steht nach knapp einem Jahr, dem antwortet von Lampe: „Ja, es ist schwieriger geworden, die Menschen immer wieder zu motivieren. Aber wir können etwas erreichen. Wir müssen einfach dran bleiben.“ Was Fridays for Future bisher erreicht habe? „In Deutschland ist das Klimathema das Thema Nummer 1“, sagt von Lampe. Und in Halle sollen ab 1. Januar 2020 alle kommunalen Gebäude mit Ökostrom laufen, ein kleiner Erfolg der Klimabewegung. „Leider wird aber immer noch viel zu wenig gemacht“, sagt von Lampe. Im Bund und in der Stadt. Erst in dieser Woche wieder haben Wissenschaftler vor den Klimakipppunkten gewarnt. Mit Trippelschritten bis zum Kipppunkt, das reicht Fridays for Future nicht.

Mit Blick auf die Skepsis in weiten Teilen der Bevölkerung lässt sich von Lampe aber nicht aus der Reserve locken. Man werde weiter demonstrieren, ja, „aber es ist auch wichtig, immer miteinander im Austausch zu bleiben.“ Ja, die Forderungen der Bewegung würden auf Skepsis stoßen, aber nur so lange, wie Straßenbahnfahren und Radfahren nicht wesentlich bequemer und günstiger werde. „Wir müssen bei der Verkehrswende doch nur in die Niederlande schauen. Dort wurden viele Entscheidungen für besseren Radverkehr und ÖPNV vor Jahrzehnten getroffen. Und die Menschen dort sind glücklich damit.“ Deutschland müsse jetzt eben noch viel aufholen.

Bilder von der Fridays-for-Future-Demo

Ein Plakat auf der Kundgebung bringt die vorherrschende Meinung der Klimaschützer auf den Punkt: „1000x regiert, 1000x nichts passiert“. Nichts passiert? In Halle hat immerhin der Oberbürgermeister „alle Forderungen von Fridays for Future übernommen“, wie er immer wieder betont. „Seine Aussage stimmt zwar“, sagt Klimaschützer Peter von Lampe dazu, „aber wenn man es sich im Detail anschaut, dann hat er unsere Forderungen einfach an den Anfang des Klimaschutzkonzepts der Stadt kopiert. Wenn es dann um die Einzelmaßnahmen geht, ist nicht erkennbar, dass unsere Forderungen übernommen wurden. Es bleibt also auch hier bei netten Wünschen.“

Also wollen sie weiter demonstrieren, immer weiter. Wie lange noch? Und wie lange haben sie die Geduld, die man für friedliche Dauerproteste braucht? In Halle sind sie an diesem Fraitag auch solidarisch mit den Tagebaubesetzungen in Sachsen und Brandenburg, die am gleichen Tag stattfinden. In den Redebeiträgen kommt das immer wieder zum Ausdruck. Aber diese Aktionen werden, weil sie militanter sind und Grenzen bewusst überschreiten, von noch mehr Menschen abglehnt als die einfach auf den vielen Demos vorgetragenen Forderungen nach mehr Klimaschutz. Ist Zuspitzung ein Weg nach vorne? Oder führt er in die Isolation? In Halle sind die Forderungen zwar einschneidend. Aber die Art und Weise, wie sie vorgebracht werden, ist immer noch freundlich. Meistens jedenfalls. Was eine SUV-Fahrerin vom Sprechchor „Es gibt kein Recht, SUV zu fahren“ hält, kann man sich denken. Irgendwann würde sicher das Wort Öko-Diktatur fallen. Auch nicht sehr verständnisvoll. Von SUV-Diktatur ist jedenfalls im Gegenzug auf keinem Plakat die Rede. Nur ein kleiner Junge greift das Thema bunt auf. Auf seinem Pappschild steht SUV für: „Super Umwelt Verschutzer“. „The Snow must go on“, steht auf einem anderen Plakat. Und das ist doch auch für skiurlaubsbegeisterte SUV-Fahrer ein lohnendes Ziel! Wäre Queen-Sänger Freddie Mercury heute Klimaschützer, wenn er den Klimawandel noch erleben müsste?

Klimaschützer hier, Autofahrer da: Der nächste Clash der Kulturen steht, darauf weist die „Bürgerinitiative Saaletal“ in einem eigenen Redebeitrag hin, bereits am Dienstag an. Dann gibt es den Spatenstich für die lange geplante A143 in Salzatal. Ein Millionenprojekt, hunderte Millionen, für wenige Kilometer Autobahn-Lückenschluss. „Mit dem Geld könnte man den Nahverkehr in Halle und dem Saalekreis komplett kostenlos machen“, ruft ein Mädchen, dass sich als Philine vorstellt, ins Mikro. Allein durch diese wenigen Kilometer Autobahn würden 25 bedrohte Tierarten aussterben. Dabei sei seit langem durch Studien belegt, dass die Autobahn Halle nicht entlasten werde. Eine Frau namens Gundula ruft hinterher: „Stau entsteht nicht durch zu wenig Straßen, sondern durch zu viele Autos.“

Und ab und zu entsteht ein Stau durch eine Demo. Der Spatenstich für die Autobahn wird trotzdem stattfinden. Die Politik auf allen Ebenen, bis hin zum Bundesverkehrsminister, wird am Dienstag in Salzatal feiern. Ein Stück weiter werden sie dagegen demonstrieren. Immer weiter.

Bilder von der Fahrraddemo am Freitagnachmittag

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Es braucht immer einen langen Atem und viel Kreativität. Leidensdruck genügt nicht um eine Bewegung am Leben zu erhalten. Erreichen von Zielen ist in einer Demokratie immer ein langer Weg. Die Politik reagiert ja, nicht so stark und schnell wie gewünscht, aber in der richtigen Richtung.