StäZ-OB-Wahlanalyse I: Souveräner Sieg des Parteilosen

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Halles alter und neuer Oberbürgermeister Bernd Wiegand. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Wer Wahlen so haushoch gewinnt wie am Sonntag Bernd Wiegand (Hauptsache Halle), der muss vieles richtig gemacht haben. Sicher: Die Geister streiten sich, ob er tatsächlich immer das Richtige tut, im politischen oder moralischen Sinn. Mit Blick auf die große Mehrheit der halleschen Wähler aber hat Wiegand offenbar einige Steine im Brett. Sie verzeihen nicht nur politische Eigenbrödlerei und Sturköpfigkeit. Sie honorieren sie sogar. Und sie belohnen Wiegand an der Wahlurne für die sieben Jahre seiner ersten Amtszeit. Wiegands Wahlsieg ist auch ein Sieg über seine Kritiker. Wählerstimmen lügen nicht. Die Macht geht vom Volke aus.[ds_preview]

Wiegand holte 15.351 Stimmen mehr als Hendrik Lange. Er gewann in 32 der 40 Stadtviertel und ‑teile, inklusive Briefwahl. Er gewann haushoch in Neustadt, auf der Silberhöhe und in der Südstadt. In Neustadt holte er teilweise eine Dreitviertelmehrheit. Auch die meisten Stadtteile mit Dorfcharakter stimmten für ihn. Ausnahmen waren hier nur Mötzlich und Tornau. Knapper, aber auch dort deutlich, gewann er in Kröllwitz und Trotha. Das spricht für einen breiten Rückhalt in vielen Teilen der Bevölkerung. Nur die Innenstadt und das Paulusviertel wählten ihn mehrheitlich nicht. Soweit die nüchternen Fakten.

Image des unabhängigen Machers

Auch die Gründe für Wiegands Wahlsieg sind vielschichtig. Lässt man die – auch wahlentscheidenden – hausgemachten Fehler seiner Herausforderer beiseite, so wird klar, dass es vor allem das Image des unabhängigen Machers ist, das Wiegand bei den Wählern ankommen ließ. Seine Habenseite hat Wiegand in seinem Wahlprogramm ausgiebig präsentiert. Vor allem ist da die Bewältigung der Flut 2013 mit den anschließenden vielen Millionen Euro Fluthilfemitteln von Bund und Land zu nennen, die immer noch in Halle verbaut werden. Zum Bauboom in Halle zählt auch das ebenfalls zum Großteil aus Bundesmitteln finanzierte Stadtbahnprogramm, mit dem über die komplette Amtstzeit viele wichtige Straßen saniert wurden. Mit dem Schulbauprogramm, das den Sanierungsstau an den Schulen und Kitas in großem Zusammenhang angepackt hat, hat Wiegand einen eigenen Akzent gesetzt, finanziert mit Landesmitteln und eigenem Geld der Stadt. Als wichtige Macher-Argumente zählen auch die Auslastung des Star-Park-Gewerbegebiets an der A14 mit der Porsche/Schuler-Ansiedlung als Leuchtturm, sowie die kommunale Bewältigung der Flüchtlingskrise seit 2015.

Zu Wiegands Erfolg hinzu kommt ein ganz spezielles Charisma, das sich nicht aus den üblichen Quellen, also aus Eloquenz, Lockerheit oder großer Volksnähe, speist. Wiegand ist in all dem eher das Gegenteil von charismatisch. Er kann auch seine Politik in der Öffentlichkeit meist nicht überzeugend präsentieren. Oft kommt es zu Versprechern oder Formulierungen, die er hinterher wieder einfangen muss (Beispiel: „Versagen der offenen Gesellschaft“). Bei öffentlichen Terminen ist er oft der erste, der geht. Repräsentieren kann er nicht. Wiegand überzeugt trotzdem die Wähler als öffentliche Person, vielleicht sogar wegen dieser Defizite.

Auch nur scheinbar Erreichtes reicht

Zu Wiegands Sieg trägt außerdem immer noch das Label „parteilos“ wesentlich bei. Die Skepsis, ja oft auch die unverhohlene Feindschaft gegenüber Parteien ist bei vielen Wählern in Halle immer noch und immer mehr mit Händen zu greifen. Wiegand hat diese Karte immer wieder geschickt gespielt, und so diese Stimmung auch mit bedient und gesteigert. Aber auch die Parteien selbst müssen sich fragen, welchen direkten Zugang sie noch zu den Wählern haben.

Es ist bei diesem Wahlausgang allerdings auch offensichtlich, dass die Mehrzahl der Hallenserinnen und Hallenser wenig Interesse an den speziellen und tiefergehenden  Problematiken der halleschen Kommunalpolitik hat. Hauptsache es läuft irgendwie, und Hauptsache, es kommt ein gutes Halle-Gefühl dabei rüber. Bernd Wiegand hat das verstanden. Auch daher rührt der einfache Slogan „Hauptsache Halle“. So war für den Wahlausgang zu einem Gutteil auch nur scheinbar Erreichtes der letzten sieben Jahren ausschlaggebend. Der von Wiegand immer wieder als Hauptargument gebrachte „ausgeglichene Haushalt“ beispielsweise ist nur bilanziell ausgeglichen und wird über Kredite mitfinanziert – eines der größten ungelösten Probleme der Stadt. Der Hochwasserschutz am Gimritzer Damm ist immer noch nicht begonnen, sechs Jahre nach der Flut. Auch die Scheibe A wird wohl nicht rechtzeitig fertig, Mehrkosten wahrscheinlich. Und ein Kongresszentrum am Riebeckplatz gibt es auch noch nicht einmal ansatzweise. Das sind nur einige von Wiegands Leuchttürmen, die bisher nur Luftschlösser sind.

Zum Erfolg des Parteilosen hinzu kommt, dass Wiegand es verstanden hat, sich in den sieben Jahren ein Regierungssystem aufzubauen, das ihn relativ unabhängig vom Stadtrat und sogar von der eigenen Verwaltung macht. Der Kern seiner Politik wird in einem engen Zirkel von Getreuen gemacht. Zur Umsetzung seiner Ziele bedient sich Wiegand oft politikferner Netzwerke aus der Wirtschaft (Papenburg, Rauschenbach) und des sogenannten Konzerns Stadt (Stadtwerke, HWG, EVG usw.). So kann er durchregieren, Kritiker sehen dadurch aber die Unabhängigkeit der Stadtpolitik in Gefahr. Als dieses System im Sommer durch den EVG-Skandal kurz ins Wanken geriet, machte Wiegand kompromisslose Machtpolitik, und den aufmüpfigen EVG-Geschäftsführer Jan Hüttner im übertragenen Sinne einen Kopf kürzer. Der Stadtrat, eigentlicher Herr über die städtischen Beteiligungen, hatte dem nichts entgegenzusetzen.

Parteiloser verdankt Erfolg auch Parteien

Überhaupt versteht Wiegand anders als viele andere, dass Politik immer auch ein Schwarze-Peter-Spiel ist. Und den hat Wiegand in den letzten sieben Jahren stets geschickt beim Stadtrat oder allen anderen – auch imaginären – Gegnern platziert. Kommt etwas nicht voran in dieser Stadt oder gibt es einen Skandal, ist der Stadtrat der Blockierer oder andere Kräfte wollen ihm, Wiegand und damit der Stadt, einfach nur Böses. Das jahrelange Strafverfahren gegen ihn: angeblich politisch motiviert. Die Verzögerung am Gimritzer Damm: Die Gerichte sind ihm ja in den Arm gefallen, und das Planungsverfahren des Landes dauert eben so lange. Anders herum: Alles, was klappt – und sei es maßgeblich durch andere vorangebracht –, macht sich Wiegand zueigen, bis hin zum Erfolg des HFC. Das ist der Amtsbonus eines OB, und Wiegand hat mit seinem Amtsbonus geradezu gewuchert.

Zu guter Letzt verdankt aber der parteilose Wiegand einen Teil seines Erfolgs eben auch bestimmten Parteien. Das ist das Paradoxon des Wahlabends. Dass die CDU in der Stichwahl umschwenkte, von jahrelang praktizierter Dauerkritik am OB und dem Silbersack-Slogan „Halle braucht den Wechsel“ hin zu kaum verhohlener Unterstützung Wiegands mit dem Hashtag #daskleinereuebel, kann man ihr dennoch nicht vorwerfen. Wer es nicht in die Stichwahl schafft, muss noch einmal völlig neu überlegen. Von Hendrik Lange kam kein Angebot. Also… Das sind die Spielregeln der Demokratie. Und die CDU ist im Zweifel immer lieber mit der Macht.

Schwerer für Wiegand wiegt eine andere Hypothek: Die AfD hat am lautesten für ihn getrommelt, noch lauter als sein eigener Wahlverein. Es ist auch die Mobilisierung in den AfD-Hochburgen, die Wiegand zum Wahlerfolg verholfen hat. Ohne diese direkte Wahlhilfe wäre das Rennen vielleicht offener gewesen. Über Absprachen zwischen Wiegand und der Rechtsaußenpartei ist zwar nichts bekannt. Aber gewehrt hat sich Wiegand gegen diese Vereinnahmung nicht. Erst die Zeit wird zeigen, ob diese Hypothek von Wiegand auch bezahlt werden muss.

Aber gewonnen ist erst einmal gewonnen, und die Wahl des Bernd Wiegand sagt viel über Halle im Jahr 2019 aus.

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