Neue EU-Abgeordnete Anna Cavazzini: „Interesse für Europa wecken“

Im Mai wurde die Grüne Anna Cavazzini aus Sachsen ins Europaparlament gewählt. Nun ist sie auch für Sachsen-Anhalt zuständig. Ein Kennenlerngespräch.

0
Anna Cavazzini ist EU-Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Bündnis 90/Die Grünen haben im Mai bei der Europawahl auch in Halle gute Ergebnisse eingefahren. Neu ins Straßburger Parlament zog damals auch die sächsische Grüne Anna Cavazzini ein. Sie ist nach der internen Zuordnung der europäischen Grünen auch für Sachsen-Anhalt zuständig. Die Städtische Zeitung traf die 36-Jährige vor einigen Tagen in einem Café an der Ludwig-Wucherer-Straße zu einem Kennenlerngespräch. Natürlich stand dabei einmal mehr der Anschlag vom 9. Oktober, der nur wenige Meter weiter stattgefunden hatte, im Mittelpunkt. Laut Anna Cavazzini, die nach dem Anschlag auch eine zweistündige Debatte im Europaparlament durchsetzte, steht der Anschlag auch dafür, dass Deutschland und Europa nicht den Anfängen von Rechtsextremismus und ‑terrorismus gewehrt hätten. Die EU-Kommission wolle nach dem Anschlag von Halle aber diesem Thema größere Bedeutung beimessen. Auch das aktuelle EU-Thema schlechthin, den Brexit, besprach StäZ-Redakteur Felix Knothe mit Cavazzini. Die für internationale Handelspolitik zuständige Abgeordnete wandte sich gegen einen Wettlauf nach unten bei Sozial- und anderen Standards nach einem möglichen Austritt der Briten. Sie wies auch auf mögliche Auswirkungen des Brexit auf Sachsen-Anhalt hin: Wenn Großbritannien austrete, fehlten Mittel im EU-Haushalt. Das könne dazu führen, dass auch Sachsen-Anhalt weniger EU-Fördermittel erhalte. Das könnten nur die nationalen Regierungen, also auch die Bundesregierung, ändern, etwa indem sie eigenen EU-Steuern zustimmten oder selbst ihre Zahlungen an die EU erhöhten.[ds_preview]

Frau Cavazzini, das Europaparlament hat auf Ihre Initiative hin vor einigen Tagen über den Anschlag von Halle debattiert. Was kann so eine Debatte im Europaparlament bewirken?
Cavazzini: Ich habe die Initiative zu dieser Debatte relativ kurzfristig auf den Weg gebracht. Ich fand es wichtig, dass sich das Europaparlament damit beschäftigt und ein Zeichen setzt, dass Antisemitismus und Rassismus, dass rechtsextremer Terror in Europa auf die politische Tagesordnung kommt. In der Debatte haben sich dann unglaublich viele Abgeordnete zu Wort gemeldet. Sie ging zwei Stunden lag. Für das Europaparlament ist das ist eine relativ lange Zeit, und es gab eine sehr intensive Debatte darüber, dass das gesellschaftliche Klima immer rauer wird und immer mehr Hass geschürt wird. Dieser Hass ist der Nährboden für die Gewalt, die dann am Ende gedeiht.

War sich das Parlament darin einig?
Cavazzini: Diese Sicht herrschte fraktionsübergreifend vor. Aber es gab auch eine Fraktion, die das anders sah, die europäischen Rechtspopulisten der ID-Fraktion.

Warum können Hass und Hetze, warum kann rechtsextremer Terror gedeihen?
Cavazzini: Weil wir in Europa und Deutschland schon den Anfängen nicht wehren. Die AfD und ihre Konsorten verbreiten weiterhin ungehindert Hasstiraden in Reden und im Internet. Daraus entsteht der Nährboden für Terror. Die EU-Kommission hat in der Debatte übrigens zugegeben, dass sie in den letzten Jahren, wenn sie sich mit Terrorismus beschäftigt hat, den Fokus lediglich sehr stark auf islamistischen Terror gelegt hat. Nach dem Halle-Anschlag hat aber auch sie erkannt, dass der Schwerpunkt auch auf rechtsextremen Terror gelegt werden muss, auf Prävention, Bildung und Strafverfolgung. Unsere Debatte hat also durchaus etwas bewirkt.

Wie ist der Blick auf Halle in Europa nach dem Anschlag?
Cavazzini: Sicherlich steht Halle jetzt traurigerweise in einer Reihe mit anderen Anschlagsorten wie Christchurch oder Pittsburgh. Es wird aber in Brüssel schon auch wahrgenommen, dass die Zivilgesellschaft in Halle sofort zusammengestanden hat. Ich sehe auch meine Aufgabe als Europaabgeordnete, die für Sachsen-Anhalt zuständig ist, darin, den Kolleginnen und Kollegen in Strasburg und Brüssel das Land und die Stadt zu erklären, übrigens auch internationalen Medienvertretern. Da bin ich schon auch Sprachrohr und Verbindungsstelle der Region.

„Europa kann nur von unten zusammenwachsen.“

Warum sollte man sich in Halle für Europa interessieren?
Cavazzini: Weil wir alle in einem vereinten Europa leben. Und das ist auch gut so. Europa hat Halle und der Region schon viele Vorteile gebracht. Und es tut auch den Menschen gut, sich nicht nur als Deutsche, sondern zusätzlich auch als Europäer zu verstehen. Weltoffenheit und Toleranz sind für jeden Menschen ein Gewinn, und am Ende kann die Erkenntnis stehen, dass wir in Europa viel mehr gemeinsam haben, als uns trennt. Ich glaube, Europa kann grundsätzlich nur von unten zusammenwachsen und kann nicht von oben verordnet werden. Und deshalb ist es wichtig, das Interesse bei allen Menschen für Europa zu wecken. Aber natürlich gibt es auch den politischen Hintergrund: Die europäische Gesetzgebung beeinflusst die deutsche Politik bis hinunter auf die kommunale Ebene. Auch die EU-Fördermittel sind Ausdruck gelebter europäischer Solidarität. Reiche Regionen zahlen für ärmere Regionen, damit sich irgendwann der Lebensstandard der Europäer angeglichen haben wird. Auch das halte ich für ein schönes, wichtiges europäisches Ziel, und Sachsen-Anhalt hat bisher auch davon profitiert. Sicherlich kann man im Detail immer auch vieles kritisieren. Aber der Grundgedanke hinter Europa ist ein schöner. Deshalb verteidigen wir Grünen Europa massiv, ohne an unserer Kritik – etwa an den falsch eingesetzten Agrarsubventionen, die oft nur den Größten nutzt, nicht aber den Kleinbauern – Abstriche zu machen.

Was wird die Neuausrichtung des europäischen Haushalts für Halle und Sachsen-Anhalt bedeuten? Wird der Anteil am europäischen Kuchen kleiner?
Cavazzini: Es kann sehr gut sein, dass die ostdeutschen Länder weniger abbekommen, weil der Kuchen insgesamt kleiner wird. Wahrscheinlich wird Großbritannien die EU verlassen. Dadurch fehlt ein wichtiger Beitragszahler. Die Lücke, die entsteht, muss dann gefüllt werden. Zusätzlich kommen immer mehr neue Aufgaben auf die EU zu, die finanziert werden müssen. Gerade aber sieht es nicht so aus, als ob unsere Bundesregierung bereit ist, auf europäischer Ebene die Struktur des EU-Haushalts zu ändern. Das halten wir Grüne für einen Riesenfehler. Aus unserer Sicht müsste die EU eigene Mittel bekommen, etwa durch eigene Steuern wie zum Beispiel eine Plastiksteuer oder eine CO2-Steuer. So könnte die EU eigene Einnahmen generieren, die in den europäischen Haushalt fließen und dann umverteilt werden können. Ansonsten müssten die nationalen Beiträge erhöht werden. Aber auch dazu ist die Bundesregierung bisher scheinbar nicht bereit. Es liegt also auch an der deutschen Bundesregierung, wenn die ostdeutschen Länder weniger EU-Mittel bekommen.

0 0 votes
Article Rating
Subscribe
Benachrichtigen Sie mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments