Der Tanz auf dem Vulkan oder die Zeichen an der Wand

Das Erfolgsmusical Cabaret geht in der Oper Halle als Gemeinschaftsproduktion mit dem Schauspiel der Stadt über die Bühne.

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Tanz auf dem Vulkan: Inszenierung „Cabaret“ von Oper und nt. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Halle/StäZ – „Cabaret“ ist das Musical der Stunde. Seit dem Broadwayerfolg von 1966 und dem sechs Jahre später folgenden Film mit Liza Minelli entkommt ihm niemand. Den diversen Inszenierung für die Bühnen landauf landab auch nicht. Ganz gleich ob nun Altenburg, Magdeburg oder Dresden und so weiter.

Das liegt an der Musik, aber auch daran, dass der Blick auf das brodelnde Berlin Ende der Zwanziger- und Anfang der Dreißigerjahre als Kommentar zur Lage auch heute so treffsicher ist, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. Wenn ein junger Nazi im zweiten Teil den jüdischen Obsthändler Herrn Schultz von der Bühne jagt und ihm hinterher brüllt, dass dies sein Land sei, dann klingt das wie ein Zitat des Schreihalses auf dem Marktplatz von Halle, dem die hiesigen Behörden „erlaubten“, gegen die Trauerkundgebung nach dem Terroranschlag anzupöbeln.[ds_preview]

Balance-Akt zwischen Zwanzigerjahre-Sound und aufdämmernder Katastrophe

„Cabaret“ zündet an der (musikalischen) Oberfläche und macht gleich dahinter ernst! Mit der Zeit, in der es spielt und als Menetekel für uns heute. Was John Kander und Fred Ebb komponiert haben, ist einfach mitreißend, ein Hit jagt den anderen. Vom „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ über „Life is a Cabaret“, „Mein Herr“, „Money, Money“ bis „May be this time“ und „Two Ladies“. Alle verführen zum Mitsingen.

Die Geschichte, die auf Reiseeindrücke des britische Autors Christopher Isherwood  zurückgeht und über das Bühnenstück „I am a Camera“ von John Van Druten durch das Buch von Joe Masteroff zum Musicalstoff wurde, fängt ein Zwanzigerjahre-Lebensgefühl ein, das nichts von seiner Faszination eingebüßt hat. (Siehe den TV-Mehrteiler „Babylon“). Es ist diese Revolte von Freiheit und Durchatmen nach dem  ersten Weltkrieg und der für jeden spürbaren Niederlage, nach Revolution, Inflation und großer Krise. Es ist der sprichwörtliche Tanz auf dem Vulkan, der hier zur Selbstermunterung wird. Und zur Selbstbetäubung. Von hier aus konnte es nur nur bergab, in den Abgrund gehen. Das letzte was an diesem Abend auf der Bühne gesagt wird, ist denn auch „Gute Nacht“.

Harald Höbinger als Nazi in „Cabaret“. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

In der dritten Gemeinschaftsproduktion von Oper und neuem theater (nach der „Dreigroschenoper“ und „Annie“) setzten Regisseurin Henriette Hörnigk, Claudia Charlotte Burchard (Bühne), Henrike Engel (Kostüme) und Dominik Büttner (Choreographie) zunächst aufs Varieté-Flair. So à la Berliner Wintergarten. Während man im Saal die Plätze einnimmt, hört man hinterm geschlossenen Vorhang, wie sich das Orchester einstimmt. Wenn der aufgeht, dann sieht man das (Salon-) Orchester und seinen Dirigenten Peter Schedding auf offener Bühne. Dezent im Hintergrund, unter einer Brücke, zwischen urban expressionistischen Kulissenversatzstücken. Das geht als Berlin durch.

Zimmervermieterin Fräulein Schneider (Barbara Schnitzler) und ihr jüdischer Verehrer, der Obsthändler Schultz (Matthias Brenner) im Zentrum des Geschehens von „Cabaret“. (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Nach der Pause  ist diese Kulisse nach hinten gerückt. Ein düster glitzernder, verhängter Rundhorizont hinter den Musikern. Die demonstrativ blonden Einheitsperücken fürs gesamte Personal deuten jetzt auf die neue Zeit. Auf den besungenen morgigen Tag. Der Höhepunkt, an dessen Wirkung sich jede Cabaret-Inszenierung messen lassen muss, ist das Nazi-Lied „Der morgige Tag ist mein“, das nach und nach die Massen ergreift und zur politischen Demonstration wird. Herr Schultz und Fräulein Schneider sitzen sprachlos und entsetzt zwischen diesem auflodernden Feuer nationaler Begeisterung. Im Theater geht’s danach in die Pause.

Von nun an geht’s bergab

Der zweite und weitaus kürzere Teil des Abends beginnt mit einer Projektion der Berliner KPD-Zentrale mit Wahlkampfplakatierung aus dem Jahre 1932.

Die Inszenierung bekommt den Balance-Akt zwischen verrückt mitreißendem Zwanzigerjahre-Sound und der aufdämmernden Katastrophe instinktsicher hin. Bei den Insignien der neuen Zeit bleibt genau das Maß gewahrt,  das ambitionierte Kunst von allzu plakativen Effekten unterscheidet. Ein Hakenkreuz auf der Armbinde von Ernst Ludwig und als choreographiertes Bild der Jungs und Mädels, die noch nicht so recht wissen, was sie da eigentlich tun, genügt. Für den Rest sorgen die Musik und die vorzüglichen Protagonisten.

Mitsingtaugliches Golden-Twenties-Gefühl

Barbara Schnitzler als Fräulein Schneider in „Cabaret“ (Foto: Falk Wenzel/TOO)

Vor allem Zimmervermieterin Fräulein Schneider und ihr jüdischer Verehrer, der Obsthändler Schultz. Die Berliner DT-Schauspielerin Barbara Schnitzler (die Tochter von Inge Keller und jüngste Bad Lauchstädter Frau von Stein im berühmten Hacks-Stück) und nt-Chef und Vollblutkomödiant Matthias Brenner garantieren für den melancholischen Ernst hinter der turbulenten Oberfläche. Fräulein Schneider hat sich bereits so einschüchtern lassen, dass sie um ihre Existenz fürchtet und die bereits beschlossene Hochzeit mit Herrn Schultz platzen lässt. Der fühlt sich in erster Linie als Deutscher und nimmt die drohende Gefahr für Leib und Leben nicht ernst. Zu den fabelhaften Schauspielern, die auch singen können, gehört Harald Höbinger. Als Ernst Ludwig gibt er bei der ersten Begegnung mit dem Amerikaner Cliff im Zug nach Berlin noch den netten Einheimischen, outet sich aber schnell als der Nazi im Stück.

Die Nummernfolge von Cabaret lebt natürlich vor allem von dem Conférencier, der – wie es Florian Stauch hervorragend versteht – im wahrsten Sinne des Wortes die Puppen tanzen lässt. Jede Sally Bowles muss irgendwie gegen Liza Minelli anspielen – nt-Ensemblemitlglied Cynthia Cosima Erhardt gelingt das mit wachsender Überzeugungskraft. Nur ihr überdrehter „Überfall“ auf den Amerikaner Cliff  (nt-Schauspieler Nils Thorben Bartling singt so souverän, wie er spielt) fällt irgendwie im doppelten Wortsinn aus der Rolle. Um dieses Paar, das am Ende nicht beieinander bleiben wird, wirbeln alle anderen herum. Meist auch die Männer im Transenlook, weil schon in diesem Berlin schwul cool war und das Transenklischee wohl am nächsten lag. Zumindest bei den Männern unterlaufen die Fummel allerdings eher das, was sie zu zelebrieren vorgeben. Wirklich sexy muss das nicht für jeden sein. Im Orchestergraben gibt es Logenplätze an Tischen samt Sekt, so dass die Zuschauer, die hier gebucht haben, gleichsam Teil der Inszenierung werden. Zwischendrin landen aber auch mal ein halbnacktes Kit Kat Girl oder ein ebensolcher Boy auf einem Schoß  im Zuschauerraum.  Me-too empfindlich will und soll hier keiner sein.

Das Timing stimmt jedenfalls. Und die Fallhöhe zwischen dem mitsingtauglichen Golden-Twenties-Gefühl und der drohenden Zeitenwende, die stimmt auch. Ein toller Abend!

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