Alles auf Anfang

Die Moritzburg Halle zelebriert mit der Ausstellung „Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback“ einen atemberaubenden Blick auf die Moderne und das Schicksal ihrer Werke.

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Das Kunstmuseum Moritzburg wartet derzeit mit einer sensationellen Moderne-Ausstellung auf, die es zurück zu den eigenen Wurzeln führt. (Foto: jr)

Halle/StäZ – Diese Ausstellung ist schlichtweg eine Sensation! Es steht zwar „Bauhaus Meister Moderne“ und „Das Comeback“ oben drüber, aber es ist keineswegs „nur“ noch eine weitere Ausstellung zum Bauhausjubiläum oder die xte Expressionistenschau mit den üblichen Ikonen. Da die Sammlung der Moritzburg  in Halle bis zur Machtübernahme der Nazis, und dann vor allem bis zu ihrer berüchtigten Kahlschlag-Aktion „Entartete Kunst“, eine Hochburg für die damals zeitgenössische Kunst in ganz Deutschland war, spielen Bauhaus-Meister natürlich eine Rolle. Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Georg Muche und Oscar Schlemmer werden in der großen Box im 2. Oberschoss mit ausgewählten Werken und Erläuterungen zusätzlich zur Präsenz in der Ausstellung, auch separat gewürdigt.

Aber es geht um wesentlich mehr.[ds_preview]

Lyonel Feiningers „Der Rote Turm II“ ist Teil des Halle-Zyklus des Künstlers, der in großen Teilen wieder in einer SChau zu sehen ist.(1930, Öl auf Leinwand, 100 x 85 cm, Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr, Foto: Stiftung Sammlung Ziegler; ©VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

So weit es geht, hat Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich die exquisite Sammlung der Moderne rekonstruiert, die seine legendären Vorgänger im Amt aufgebaut und vehement verteidigt haben. Sogar noch über das politisch dekretierte Ende der Moderne 1937 hinaus.

Die Nazis beschlagnahmten 147 Schlüsselwerke der Moritzburg als „entartete Kunst“ und zerstörten damit die Einzigartigkeit der Sammlung. Mit enormem Einsatz und jahrelanger Vorarbeit ist es gelungen, immerhin 40 dieser zum Herz der Sammlung gehörenden Rückkehrer auf Zeit – zusammen mit den in der Sammlung verbliebenen Werken, Schenkungen und fünfzehn Rückerwerbungen – zu präsentieren. Aber was heisst hier präsentieren. Eigentlich ist es eine Inszenierung vom Allerfeinsten. Für die man sich Zeit nehmen und die man mehrfach genießen sollte.

Sauerlandts prägende Pionierarbeit

Emil Nolde: Das letzte Abendmahl, 1909, Öl auf Leinwand, 86 x 107 cm, Statens Museum for Kunst, Kopenhagen, (Foto: SMK Photo, Jakob Skou-Hansen © Nolde Stiftung Seebüll)

Beim Aufbau jener Sammlung, die jetzt ihre Rückkehr feiert, leistete Max Sauerlandt (1880–1934) in den Jahren seiner Direktion von 1908 bis 1919 richtungsweisende Pionierarbeit. Mit dem Ankauf von Emil Noldes Abendmahl (1909)  löste er im Jahre 1913 eine deutschlandweite Feuilleton-Kontroverse darüber aus, ob Museen überhaupt Zeitgenössisches ankaufen sollten. (Dass Nolde entgegen der Legende, die Siegfried Lenz in seinem Roman „Deutschstunde“ kolportiert hat und die auch in der jüngsten Verfilmung wenn auch nicht explizit gepflegt wird, sich den Nazis ideologisch verbunden fühlte, steht auf einem anderen Blatt und ist durch die große Schau im Hamburger Bahnhof in Berlin, aber auch in der Moritzburg aufgearbeitet worden.) Halles legendärer Oberbürgermeister von 1906–1933 Richard Robert Rive jedenfalls hielt Sauerlandt – obwohl ihm nicht alles, was der ankaufte selbst gefiel – politisch den Rücken frei. Seine beiden Nachfolger Burkhard Meier und Paul Thiersch blieben auch nach Sauerlandts Rückkehr nach Hamburg bei dessen Linie.

Paul Klee: Besessenes Mädchen, 1924, Aquarell und Ölfarbenzeichnung auf Papier auf Karton, 44,2 × 29,2 cm, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler. (Foto: Robert Bayer)

An den gestaltenden Anfangselan knüpfte von 1926 bis 1933 vor allem Alois J. Schardt (1889–1950) beherzt an. Mit dem Erwerb der illustren Expressionisten-Sammlung von Ludwig und Rosy Fischer 1924 und den Ankäufen u.a. von Marc, Feininger, Kokoschka, Klee usw. rückte er mit der Kunstsammlung in die nationale Spitzenriege auf. Bis heute wirkt für das Selbstverständnis der Hallenser ein Ankauf von 1931 nach: Lyonel Feiningers Halle-Zyklus samt der dazu gehörigen 29 Zeichnungen!

Die liefern denn auch einen perfekt inszenierten Höhepunkt der ganzen Ausstellung! Mitten im umgebauten und mit einer zusätzlichen Freitreppe ins Obergeschoss versehenen Westflügel, großzügig in einem Halbrund vereint, verschlägt es dem Besucher regelrecht die Sprache: Von den insgesamt elf 1929 in Auftrag gegebenen und hier vor Ort entstandenen Halle-Bildern Feiningers sind sieben (drei eigene, vier Leihgaben) wieder vereint. Alles exemplarisch gut gehängt und ausgeleuchtet. Die sechs Hochformate sind auf einen Blick erfassbar und greifen – nun ja – ans Herz. Allein deswegen würde sich ein Besuch dieser Schau schon lohnen!

Die Ideologien einer Alternative zu Demokratie und Freiheit fingen auch damals ihren Kampf auf den Feldern der Sprache und der Kunst an.

Schardt gelang es tatsächlich noch bis zu seinem Rausschmiss 1935 trotz des braunen Gegenwindes aus der Politik, die Ausstellung so, wie sie war, zugänglich zu halten. Selbst seinem kommissarischen Nachfolger Hermann Schiebel, dem Rektor der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, gelang es eine gewisse Zeit, wenn auch verdeckt, an der Moderne fest- und sie zugänglich zu halten. Erst 1939 hatten die Nazis mit Robert Scholz einen willfährigen Direktor installiert, der der Moderne für die Restlaufzeit des Nazireiches sozusagen das Licht ausknipste.

Wassily Kandinsky: Hornform, 1924 Öl auf Pappe, 57,5 × 49,5 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1953 erworben durch das Land Berlin. (Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders)

Es ist ein Vorzug dieser Ausstellung, dass sie neben der Begegnung mit einzigartigen Kunstwerken, auch die Entstehung und Verteidigung einer Sammlung zwischen den Jahren 1908 und 1939 dem zum Teil visionären Wirken der jeweiligen Museumsdirektoren zuschreibt. Da die natürlich ästhetische Vorbehalte und politische Widerstände zu überwinden hatten, ist es ein Ausflug in ein Kapitel der deutschen Kulturgeschichte, bei dem sich die Relevanz für die Verwerfungen unserer Gegenwart geradezu von selbst erschließt. Besonders, was die Vorboten und dann den Schlag der Nazis gegen die sogenannte „entartete Kunst“ anbelangt. Die Ideologien einer Alternative zu Demokratie und Freiheit fingen auch damals ihren Kampf auf den Feldern der Sprache und der Kunst an.

Grandiose Rückkehr auf Zeit

Die Schau geht aber noch weiter:  Sie lässt eine Vision auferstehen, die, wenn sie Wirklichkeit geworden wäre, der Stadt Halle als Ort der Moderne Weltrang gesichert hätte. Kein Geringerer als Walter Gropius hat nämlich 1927 für einen Wettbewerb ein weitläufiges Kultur- und Sportforum als spektakuläre Stadtkrone auf den Felsen an der Saale entworfen. In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Multimedia/VR-Design der Kunsthochschule Burg Giebichenstein wird der jetzt als 3D-Vision erlebbar. Die Burgleute haben das vorgesehene Museum aber auch gefüllt. Zur Ausstellung, die mit der Aura der Originale glänzt, kommt ein fiktiver Rundgang durch dieses Museum mit seiner damaligen Sammlung. Mit der 3D-Brille hat man schnell den Bogen raus, wie man hier von einem Bild zum Anderen wandern und die Erläuterungen dazu aufrufen kann. Das Ganze ist ein atemberaubendes Abenteuer. Ein Ausflug in ein Stück kontrafaktische Vergangenheit, eine Exkursion in ein was-wäre-wenn. Also in eine Zeit, ohne den zivilisatorischen Bruch kurz vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Die Ausstellung in Halle macht die Verluste deutlich und fasziniert als grandiose Rückkehr auf Zeit. Der Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich hat mit dieser Ausstellung sein Meisterstück abgeliefert. Es ist ihm etwas herausragend Exemplarisches gelungen, das so doch nur in Halle und mit dieser Sammlung möglich ist. Unbedingt hingehen!

Die Ausstellung „Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback“ läuft bis zum 12. Januar 2020.

Öffnungszeiten: montags, dienstags, donnerstags bis sonntags sowie feiertags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs geschlossen.

Eintritt: 12 Euro, erm. 9 Euro.

Zur Ausstellung gibt es einen 90-minütigen Audioguide sowie einen Katalog mit 448 Seiten und mehr als 600 Abbildungen (Sonderpreis zur Ausstellung an der Museumskasse 29,90 Euro).

Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Programm. Näheres unter www.kunstmuseum-moritzburg.de/veranstaltungen.

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