Schau zu Wendekunst in Leipzig: Ein Teil des Ganzen

Das Museum der bildenden Künste Leipzig zeigt ostdeutsche Kunst aus der Zeit um 1989 - vom Bilderstreit zur Leistungsschau

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Wasja Götze, Die reizende Mauer, 1988, Privatbesitz. (Foto: Künstler, Copyright Künstler)

Halle/Leipzig/StäZ – „Point of No Return“ – also der Punkt auf einem Weg, der, sobald er überschritten ist, eine Umkehr nicht mehr möglich macht, als Titel einer Ausstellung in Leipzig über die Kunst, die im Osten Deutschlands vor und nach der sogenannten Wende entstand? Anglizismen sind so etwas wie Tattoos auf der Haut: Meistens völlig überflüssig und eine Kampfansage an den guten Geschmack. Aber wohl nicht mehr zu vermeiden.

Aber sei’s drum: Was dem Museum der bildenden Künste Leipzig, seinem aus Österreich stammenden Direktor Alfred Weidinger zusammen mit seinen beiden Kuratoren Paul Kaiser und Christoph Tannert hier gelungen ist, imponiert.[ds_preview]

Nicht nur wegen der puren Fülle der gezeigten Werke. Sondern auch, weil diese ambitionierte Ausstellung mal nicht im Keller präsentiert wird, sondern in der oberen Etage des Museums. Über den Klinger- und Beckmann-Heiligtümern des Hauses. Sage keiner, das sei kein Zeichen!

Auf rund 2.000 Quadratmetern sind 300 Werke von 106 Künstlerinnen und Künstlern versammelt. Es gibt keine chronologische Ordnung, keinen roten Faden. Aber die Räume um den Hauptsaal gruppieren die Werke unter thematischen Stichworten wie: „Risse im Gehäuse“, „Die reizende Mauer“, „Quo vadis?“, „Artisten und Masken“ oder „Andere Wege“.

In der Mitte des Hauptsaales: Via Lewandowskys Berliner Zimmer (Geteiltes Leid ist halbes Elend), das die Deutsche Teilung auf das heimische Wohnzimmer herunter bricht. Hier ist alles mitten durchgetrennt.

Daneben, auch mitten im Raum, Hans Scheibs Holzplastik JC (Zweifel) aus dem Jahre 1984. Eine magere Gestalt, deren Gesichtsausdruck an Munchs Schrei erinnert.

An der Wand dahinter: Wolfgang Smys Großes Stadtbad (1986) mit vereinzelt in schwefligen Gelb Ertrinkenden, das auf der X. Kunstausstellung der DDR in Dresden schon die Gemüter erhitzte; gleichwohl, seine prophetisch beklemmende Wirkung entfalten konnte. Darüber Einar Schleefs zwischen 1978–1983 entstandene Telefonzellen-Bilder Klage, mit denen der 1976 in den Westen gegangene und 2001 verstorbene Theatersolitär postum auch als Maler von Rang bekannt wurde.

Trak Wendisch, Zungenabschneider, 1988, Privatbesitz. (Foto: InGestalt/Michael Ehritt, Copyright VG Bild-Kunst Bonn, 2019)

Ausstellungen über die Malerei, die in der DDR entstand, waren noch Jahrzehnte nach deren Untergang, ein Garant für Kontroversen, apodiktisch (ab-)wertende Urteile auf der einen und empfindliche Reaktionen auf der andere Seite. Was nur belegt, wie wichtig Kunst im Osten Deutschlands war und auch als Projektionsfläche für Identifikation immer noch ist.

Der sogenannte deutsch-deutsche Bilderstreit eskalierte 1999 mit der Weimarer Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“, die die Kunst der DDR in die Nähe der Nazi-Kunst rückte. Doch nicht alle, die in den Westen gingen, sind allein schon deshalb bedeutend. Und nicht alle, die im Osten blieben, schon allein deshalb „Arschlöcher“, wie es Georg Baselitz, also einer von denen, die in den 50ern selbst gegangen sind, noch 1990 in die Debatte rülpste.

Seit dem Weimarer Fehlgriff gab es etliche thematische Ausstellungen, die hier für mehr Sachlichkeit sorgten und darauf setzten, dass jedes echte Kunstwerk einen Eigenwert hat. Zum Kontext ihrer Entstehung gehört im Falle der „Künstler in der DDR“ auch deren Geschick, mit subversiver Raffinesse ihre Subjektivität zu bewahren. Über all das kann man in der Leipzig Ausstellung viel lernen.

In ihrem Erfindungsreichtum, parteioffizielle Vorgaben zu umgehen, waren die DDR-Künstler oft nicht weniger phantasievoll als ihre Vorfahren im Umgang mit der Kirche. Doch spätestens in den Achtzigern nahm auch die direkte oder vermittelte Reflexion der Krise und des Drangs nach Veränderung immer breiteren Raum ein. Andere wie Hans-Hendrik Grimmling, Volker Stelzmann, Cornelia Schleime, Christine Schlegel, Ralf Kerbach oder Via Lewandowsky verließen die DDR, kamen gleichwohl thematisch nie wirklich von ihr los.

Im Lande bezog etwa der Pop-Art-Pionier Wasja Götze mit seinem Bild Die reizende Mauer (1988) mit Witz Position. Frontal düster hingegen Trak Wendisch mit Mann mit Koffer (1983) und Zungenabschneider (1988).

Doris Ziegler, Große Passage, 1989–1990, Privatbesitz. (Foto: InGestalt/Michael Ehritt, Copyright VG Bild-Kunst Bonn, 2019)

Auch der Umbruch selbst und seine Folgen spiegeln sich in den Bilder wieder. Als Polemik gegen die neuen Verhältnisse bei den einen (Willi Sittes Erdgeister von 1990 etwa), als pure Freude bei anderen, wie bei Erika Stürmer-Alex mit Auffliegende Pantoffeln (1991). Oder bei Werner Tübke, der mit Herbst ’89 (1990) in der manierierten Geste des sozialistischen Malerfürsten die Maueröffnung protokollierte.

Bernd Schlothauer bringt die Veränderung der Verhältnis in Hammer und Sichel (1989) auf den Punkt ihrer Symbole: Die werden kurzerhand auf den Kopf gestellt.

Der nahe Leipzig geborene Albrecht Gehse schließlich hat, wie sein Lehrer Bernhard Heisig bei Helmut Schmidt, von dessen Nachfolger 2003 mit Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl das offizielle Kanzlerporträt geschaffen.

Moritz Götze wiederum steht für einen spielerisch ironischen Umgang mit dem Erbe der ins kollektive Gedächtnis eingebrannten Bilder wie den 2003, über drei Jahrzehnte nach dem Original entstandenen Paar am Strand (nach Walter Womacka) oder dem Chemiearbeiter am Schaltpult (nach Willi Sitte).

Clemens Gröszer, Marin á cholie, 1991–1992. Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst. (Foto: InGestalt/Michael Ehritt, Copyright VG Bild-Kunst Bonn 2019)

Die allermeisten Bilder sind Zeugnisse künstlerischer Subjektivität und malerischen Könnens. Stehen also nicht nur als Belege einer Epoche, sondern ganz einfach auch für sich. Die Ausstellung bietet darüber hinaus selbst für die mit der DDR-Kunst vertrauten Besucher Neues! Der Zyklus Große Passage der Leipziger Malerin Doris Ziegler aus den Jahren 1988/93 etwa kommt hier das erste Mal zu Ausstellungsehren.

Die Leipziger Schau hat auch etwas von Wiedergutmachung. Vor allem ist sie aber eine Rückbesinnung auf einen Teil der deutschen Malerei, die im Osten des Landes entstanden ist, die dort herrschende Utopie und Verzweiflung ebenso zeigt wie die künstlerisch subversive Unterwanderung der Repression oder den empörten Aufschrei von außen! Ihr Vorzug: hier wird zwar kommentiert und konfrontiert, aber sowohl die in der DDR offiziell anerkannte, wie die gerade noch geduldete oder in den Untergrund  oder aus dem Land getriebene Kunst als Teil eines Ganzen gezeigt. Auch das macht diese Schau so spannend.

Die Ausstellung „Point of no Return – Wende und Umbruch in der Ostdeutschen Kunst“ im Museum der Bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, dauert noch bis 2. November 2019.

Öffnungszeiten: Di-So 10–18, Mi 12–20 Uhr.

Katalog zur Ausstellung, hrsg. von Alfred Weidinger, Paul Kaiser und Christoph Tannert, Hirmer Verlag München, ca. 440 Seiten und über 240 Abbildungen (im Museumsshop für € 35, im Buchhandel für € 45).

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