Kommentar: AfD nicht stärker machen, als sie ist

Bei einer Abstimmung im Stadtrat erhält die AfD doppelt so viele Stimmen, wie sie selbst hat. Ein demokratisches Alarmsignal, findet StäZ-Redakteur Felix Knothe.

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Felix Knothe ist Gründer der Städtischen Zeitung

Die erste Stadtratssitzung der neuen Wahlperiode ist vorüber, und mit ihr hat offenbar die schleichende Normalisierung der AfD begonnen. Dabei deutet wenig darauf hin, dass es eine Selbst-Normalisierung der AfD ist. Die Partei der extrem rechten Personen und Positionen bewegt sich derzeit keineswegs aus eigenem Antrieb von unten auf den demokratischen Minimalkonsens zu: Achtung anderer Meinungen, Universalität der Menschen- und Grundrechte, keine rassistische oder anderweitige Diskriminierung. Eher ist es umgekehrt: Ein Teil des Stadtrats will der AfD offenbar aktiv die Hand reichen, egal wie die Partei sich in Zukunft verhalten und benehmen wird. Er verhilft ihr damit zu mehr Macht und Einfluss, als die Hallenserinnen und Hallenser der Partei bei der Stadtratswahl tatsächlich zugebilligt haben.

Was ist passiert? Den neuen Ton gegenüber der AfD im Stadtrat setzte am Mittwoch CDU-Stadtrat Christoph Bergner. Der ehemalige Ministerpräsident Sachsen-Anhalts gilt als stramm Konservativer und nicht als Vertreter der Mitte in der CDU. Als Alterspräsident eröffnete er die Sitzung. In seiner Rede plädierte er, ohne die AfD beim Namen zu nennen, für eine Umkehr der bisherigen Abgrenzungsstrategie der Demokraten: „Wir werden mit der Vielfalt umgehen müssen“, so Bergner. Und weiter: „Es dient der Glaubwürdigkeit des Stadtrats, wenn wir diejenigen, die in der Minderheitsposition sind, nicht ausgrenzen und nicht diskreditieren, sondern einfach die Verschiedenheit der Meinungen zur Kenntnis nehmen und bereit sind, sie in der Diskussion weiter zu behandeln.“

Das ist in etwa die Gegenposition zur vor einer Woche noch von der alten und am Mittwoch neugewählten Stadtratsvorsitzenden skizzierten Linie. Katja Müller (Linke) hatte noch den Philosophen Karl Popper zitiert: Intoleranz gegenüber der Intoleranz. Am Mittwoch nahm sie nur noch einmal kurz Bezug darauf, dankte aber gleichzeitig Bergner für seine Worte. Es sei die Sachpolitik, die im Vordergrund stehen müsse.

Nun ist natürlich unbedingt für einen korrekten Umgang mit der AfD im Stadtrat zu plädieren. Die gestärkt aus der Wahl hervorgegangene Fraktion hat Rede- und Antragsrecht wie jede andere Fraktion auch. Sie stellt den Vorsitzenden im Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt und Ordnung, mit allen Rechten und Pflichten, die damit zusammenhängen. Wie dieser Ausschuss aber zustande kam, war – das als kleiner Exkurs – ein Vorgeschmack auf die ohnehin schon schwierigen kommenden fünf Jahre. Die CDU stellte den Antrag, den Klimaschutz im Namen hintanzustellen, und die AfD sekundierte mit kurz aufflackernder Law-and-order-Rhetorik. Die Abstimmung vereinte dann CDU, AfD, Hauptsache Halle und FDP. Wohlgemerkt: Natürlich ist es legitim, wenn demokratische Fraktionen solche Anträge zur Sache stellen. Sie können sich kaum wehren dagegen, dass die AfD dann mit ihnen stimmt. Die Schwierigkeit wird darin bestehen, die eigenen Themen und Lösungsvorschläge nicht von der radikalen Truppe vom rechten Rand des Plenums vereinnahmen zu lassen. Wenn die Floskel vom schwierigen Grat passt, dann hier.

Ein anderes Paar Schuhe aber ist es, wenn Personalvorschläge der AfD ohne Not von demokratischen Fraktionen oder Stadträten unterstützt werden. So geschehen bei der Wahl zum zweiten stellvertretenden Stadtratsvorsitzenden. Die Grünen haben neun Sitze im Rat, die AfD sieben. Der Posten steht also entsprechend der demokratischen Gepflogenheiten den Grünen zu. Dennoch nominierte die AfD ihren Stadtrat Martin Sehrndt, der gegen die grüne Kandidatin Rebecca Plassa antrat. Sehrndt erhielt bei der geheimen Wahl rund das Doppelte der Stimmen, die die AfD eigentlich im Rat hat, nämlich 15. Es ist nichts bekannt, was Plassas Wahl in das repräsentative Amt auch für Konservative unzumutbar gemacht hätte. Aber dass sie eine Grüne ist, ist für manche offensichtlich ein größeres Problem, als die Stimme einem völlig unbekannten AfD-Mann zu geben. Das ist ein alarmierendes Signal. Ein Teil des Stadtrats hat so gleich bei der ersten Gelegenheit der rechtsextremen AfD zu mehr Stimmen verholfen, als sie selbst aufbringen kann.

Es wäre, um auf Christoph Bergner zurückzukommen, keine Ausgrenzung gewesen, Sehrndt nicht zu wählen. Man muss auch Minderheitenpositionen nicht dadurch respektieren, dass man der AfD noch Mitleidsstimmen verschafft. Es ging auch nicht um eine Sachfrage, bei der der Übersprung über die Banngrenze zur AfD offenbar am ehesten denkbar ist. Die acht Stimmen über den Durst sind für die Männer um Fraktionschef Raue wie ein Schluck aus der Pulle mit dem Zaubertrank. Sie verhelfen einer in weiten Teilen rechtsextremen Partei im halleschen Stadtrat zu größerer Stärke, als sie verdient und als sie selbst in der Lage ist zu entwickeln. Das ist eine Art von Normalisierung, vor der sich ein demokratischer Stadtrat hüten sollte.

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Der Konsenskurs der CDU ist doch nocht neu, die jungen strammen Konservativen um den Herren Bernstiel haben sich doch schon det letzten Legislaturperiode nicht entblödet. Jetzt haben sie auch noch den Segen der Altvorderen! Da kommt etwas auf uns zu…