Rosenmontag: Halle ist nicht Köln

Einmal vom Anfang bis zum Ende den Rosenmontagsumzug absolvieren: für den StäZ-Reporter eine ernüchternde Erfahrung.

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Zwischen 300 und 400 Menschen wollten den Rosenmontagsumzug auf dem Markt erleben. (Foto: Luca Schooß Neves)

Halle/StäZ – Der Wettkampf um Lautstärke beginnt schon, bevor es überhaupt losgeht. Schon beim Betreten der Würfelwiese sind die 50 Karnevalswagen des halleschen Rosenmontagsumzugs vom Riveufer her zu hören. Dort sammeln sich die Karnevalsvereine, um dann über die Burgstraße, den Mühlweg, die Geiststraße und den Uniring zum Leipziger Turm und von da zum Markplatz zu ziehen. „Karneval ist nur einmal im Jahr“, heißt es in einem der Gassenhauer, die permanent und in Dauerschleife aus den Boxen dröhnen. Karneval als das ganze Jahr lang herbeigesehnter Ausbruch aus der Realität. Der allerdings in Halle nicht so richtig gelingen will.[ds_preview]

Bevor es richtig los geht, machen sich die Karnevalsvereine hier am Riveufer schon mal warm. Noch stehen die Karnevalsgespanne. Jedes besteht aus einem Wagen, der mit einer Anlage ausgestattet ist und von dem aus später Süßigkeiten geworfen und Pfannkuchen ausgegeben werden. Hinter dem Wagen formiert sich der jeweilige Verein, dessen Mitglieder später, wenn der Zug in die Burgstraße einbiegen wird, hinter dem Wagen her laufen, tanzen oder marschieren werden. Publikum ist noch kaum da, Euphorie und Ekstase sind noch nirgends zu sehen. Die Boxen dröhnen aber bereits auf voller Lautstärke, und die ersten alkoholischen Getränke werden ausgeteilt.

„Du bist unser Boxenluder!“ Der Karnevalsumzug formiert sich am Riveufer. (Foto: Luca Schooß Neves)

Frauen wie Männer sind in die Gardeuniformen der jeweiligen Vereine gekleidet, wobei die der Frauen deutlich kürzer geschnitten sind. Bei den Männern ist aber hier und da auch ein Wikinger, Pirat oder ein Musketier zu sehen.

Es ist zwar der „Halle-Saalkreis Karneval Verein“ (HSKV), der den Umzug organisiert, gekommen sind aber Karnevalsvereine aus ganz Sachsen-Anhalt, sogar aus Magdeburg. Viele kommen aus ländlichen Regionen und Dörfern, und so verwundert es nicht, dass schwere Traktoren das Bild dominieren. Es sind aber auch umgebaute LKWs und Privatautos, die zu Wagen umfunktioniert wurden. Einige sind von Autohäusern gesponsert. Die regionale Wirtschaft nimmt auch am Umzug teil. Die Palette der Dekorationen reicht von einfachen Ladeflächen mit aufmontierten Boxen und ein wenig Lametta bis zu aufmerksam und individuell umgestalteten Karosserien. Diese bilden allerdings in Halle die Minderheit, während sich das Gros irgendwo in der Mitte dieser zwei Pole einordnet. Mottowagen, wie in Köln, Mainz oder Düsseldorf kann man in Halle an einer Hand abzählen.

Für Schüler Arne und Schülerin Azaé ist das Bild, das die Umzugswagen bieten, ungewohnt, aber interessant. Beide schauen sich das Treiben am Riveufer eher zufällig an. Die Schule sei heute ausgefallen, sagen sie, da seien sie hier vorbeigekommen. Sie selber feiern eigentlich keinen Karneval. Anders eine Mädchengruppe, die selbst am Umzug teilnehmen wollen. Sie sind aus Hohenthurm von den „Lustigen T(h)urmgeistern“. „Nichts ist schöner als Karneval“, sagen sie. Der Verein sei für sie wie eine große Familie. „Bei uns auf dem Dorf sind alle beim Karneval dabei.“ Und das quer durch alle Altersgruppen.

Auf vielen Wagen sitzt oder steht ein Prinzenpaar. Die Monarchie lebt im Karneval. Spaßig gemeint, ernst betrieben. Auch der Umzug ist hierarchisch organisiert. Ganz vorne kommen die „Jubiläumswagen“, der älteste Verein zuerst. Wagen Nummer eins steht am Ende des Zugs und fährt, jetzt, wo es losgeht, einmal am gesamten Treck vorbei. Der Umzug ist eröffnet.

Corpsstudenten in Karnevalsstimmung. (Foto: Luca Schooß Neves)

Es sind Menschen aus allen Altersstufen, die die Straße säumen. Vor allem für Alte und Kinder scheint es ein besonderes Erlebnis zu sein. Sie jubeln und winken, und während die Seniorinnen der angrenzenden Altenheime sich über die Abwechslung freuen und gespannt zuschauen, sammeln die Kinder fleißig Süßigkeiten. Die Stimmung ist ausgelassen und nett, Tanz und Gesang bleibt aber die Ausnahme.

Anders als in richtigen Karnevalshochburgen, sind in Halle nur wenige Menschen am Straßenrand verkleidet. Bei der Kostümauswahl dominieren klassische Motive. Nur wenige Kostüme sind offensichtlich selbst gebastelt, die meisten wirken gekauft.

Das Handy ist wichtiger: Prinzenpaar am Uniring beim Surfen. (Foto: Luca Schooß Neves)

Als Beobachter des Ganzen bekommt man zunehmend den Eindruck, dass Umzugskarneval keine genuin hallesche Angelegenheit ist. Die Stimmung wirkt oftmals aufgesetzt. Die Pausen zwischen den Gesprächseinlagen der Entertainer sind teilweise lang, ebenso wie die Abstände zwischen den Wagen auf manchen Streckenabschnitten. Es findet sich einfach keine ausreichende Menge, die diese Lücken füllen könnte. Viele Menschen scheinen sich trotzdem über den Karneval zu freuen und schauen dem Treiben interessiert zu. Viele sind positive oder desinteressiert. Auch leise Ablehnung gibt es, aber nur manchmal. So sagt ein Passant: „Ich finde das deplatziert, in Halle macht das nicht so wirklich Spaß. Es ist einfach laut. Im Rheinland ist das was Anderes, da machen einfach mehr mit.“

Die Burgstraße passierend, zieht der Umzug in den Mühlweg und passiert vorher das Haus des Corps Guestphalia. Die Burschenschaftler haben einen eigenen Tisch aufgebaut und grüßen die Vorbeimarschierenden fröhlich. Auch das traditionelle Geschlechterbild, das immer wieder von den Karnevalswagen herunterschallt, passt: „Corinna, du bist heute unsere Boxenverantwortliche oder unser Boxen Luder“, ruft ein älterer Karnevalist noch am Riveufer. „Die Frau von Schmidt ist der Hit, die Frau von Schmidt macht alles mit“, ist ein beliebter Gassenhauer. Den ganzen Umzug lang geht das so: Anzügliches scheint der Treibstoff, die olle Kamelle der Karnevalisten zu sein. Denn auch die Machtverhältnisse sind klar: Die Frauen laufen den Wagen hinterher, die Männer haben fast durchweg die Mikros und treiben die Menge an. Sie versuchen es zumindest.

In Frage gestellt wird das am Rosenmontag in Halle nicht. Für eine Erzieherin, die mit ihrer Kita jedes Jahr den Rosenmontagsumzug besucht, ist es kein Thema. Die Kinder seien sowieso auf die Süßigkeiten fokussiert.

Die Müllflotte der Stadtwerke folgt dem Rosenmontagsumzug auf dem Fuß. (Foto: Luca Schooß Neves)

Die fliegen kiloweise von jedem Wagen. Eine Schau sind auch die Müllautos und Kehrmaschinen, die direkt hinter dem Zug fahren. Die Stadtwerke rechneten im Vorfeld mit bis zu drei Tonnen Müll.

Je weiter der Umzug kommt, desto mehr ändert sich das Publikum und auch das Gegröle nimmt zu. Es bleibt aber im Rahmen. Der Umzug behält die Ordnung. Mittlerweile ist er am Uniring angekommen. Am Ende der Geiststraße hat sich viel Publikum versammelt. Hier stehen keine Kindergartenkinder mehr. Auch Senioren machen sich rar. Statt dessen ist die Mehrzahl hier zufällig vorbeigekommen, aber auch Menschen, die explizit Karneval feiern wollen und extra deswegen zum Umzug gekommen sind, stehen hier.

Eine der Hotspots des Rosenmontagsumzugs: das Ende der Geiststraße. (Foto: Luca Schooß Neves)

Das Motto des diesjährigen Karnevals in Halle ist übrigens: „(H)Alle im Stau – Hallas Helau!“. Am Uniring kommt der Umzug für über er eine Stunde ins Stocken. Ziehharmonikaeffekt. Der erste Wagen ist bereits am Markt, als der letzte noch in der Geiststraße wartet. Die Karnevalisten sind jetzt offenbar nicht mehr alle völlig bei der Sache. Ein Prinzenpaar schaut lieber auf seine Handys, statt der Menge zuzuwinken. Auf dem Marktplatz ist eine Bühne aufgebaut, an der jeder einzelne Wagen vorbeizieht und begrüßt wird. Später, nach dem Defilee, soll dort jeder Verein noch sein eingeübtes Programm präsentieren.

Rund 3000 Menschen sollen am Ende in der ganzen Stadt den Umzug verfolgt haben. Überprüfen lassen sich solche Zahlen nicht. Vorsichtig geschätzt stehen auf dem Markt gerade einmal 300 bis 400 Menschen. Die Stimmung ist auch hier bemüht. Karnevalistisch verrückt ist hier niemand, noch nicht einmal den Karnevalisten selbst nimmt man, bis auf wenige Ausnahmen, den Spaß richtig ab. Ein ausgelassenes Straßenfest ist der Karneval in Halle jedenfalls nicht. Wer das will, der muss schon nach Köln oder Rio fahren.

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