Kommentar: Digitalisierung nicht mit der Brechstange

Der Vorstoß des OB, die Schulbücher durch E-Books zu ersetzen, geht zu weit.

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Felix Knothe ist Gründer der Städtischen Zeitung

Alle Schulen in Halle sollen WLAN bekommen, alle Schüler Tablets im Unterricht nutzen und alle Schulbücher in einer nicht mehr weit entfernten Zukunft als E‑Books auf diesen Endgeräten genutzt werden. Es ist Digitalisierung mit der Brechstange, die sich Oberbürgermeister Bernd Wiegand (Hauptsache Halle) da in den Kopf gesetzt hat. Hauptsache digital, scheint die Devise. Über Art und Weise oder Risiken und Nebenwirkungen wird gar nicht geredet geschweige denn gründlich nachgedacht.

Wiegand unterscheidet sich da in keiner Weise von vielen anderen Politikern, von denen er sich sonst so gerne abgrenzt. Wenn es tausende blinkende Geräte einer bestimmten amerikanischen Firma zu übergeben gibt, freut sich der iPhone-affine Oberbürgermeister. Wenn das Schlagwort Digitalisierung fällt, dann ist alles andere fast schon egal. Ob der omnipräsente und allumfassende Umgang mit Technik an Schulen pädagogisch überhaupt erstrebenswert ist – womöglich bevor Kinder überhaupt einen Stift ordentlich halten können –, wie er das Lernen verändert, wie die Erfahrungen junger Leute und damit unsere zukünftige Gesellschaft prägt – über all das herrscht derzeit nicht nur Unklarheit sondern auch breite Skepsis unter Experten und auch Eltern. Dass digitale Medien auch erhebliche Suchtgefahren gerade bei Kindern und Jugendlichen beinhalten, kommt noch oben drauf.

All diese Diskussionen müssen aber geführt werden, und zwar in der Stadt und an jeder Schule, mit Experten, den Schülern, Lehrern und Eltern. Denn was der Oberbürgermeister scheinbar vergisst: Er greift mit seinem Vorstoß weit in die gesetzlich verankerten Rechte der Schulen ein. Das pädagogische Konzept ist Kernpunkt der schuldemokratischen Entscheidung der Menschen vor Ort, eben von Lehrern, Schülern und Eltern. Und dazu dürfte auch die Frage zählen, ob das Schulbuch – über das auch jede Schule für sich und nicht die Stadt entscheidet – in Zukunft als E‑Book durchgeblättert werden soll. Nicht der Oberbürgermeister entscheidet also darüber, ob und wenn ja, welche Lernmittel in Zukunft wie genutzt werden, sondern die Gesamtkonferenz jeder einzelnen Schule. Alles andere ist vordemokratisch.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Dass alle Schulen mit digitaler Infrastruktur ausgestattet werden und bis 2020 flächendeckend WLAN bekommen sollen, ist überfällig. Die digitale Infrastruktur ist im 21. Jahrhundert tatsächlich ein wesentlicher Baustein für zukunftsgewandte Schulen. Dafür ist die Stadt auch zuständig und hat hier viel zu lange gezögert. Der Oberbürgermeister sollte sich daher darauf konzentrieren, dieses Ziel zu erreichen. Das wird schwer genug. Ob aber das Schulbuch abgeschafft wird, geht ihn eigentlich gar nichts an. Wenn sich Schulen so entscheiden, dann kann die Stadt gerne helfen mit Geräten und Konzepten. Es aber von oben durchzupeitschen, geht zu weit.

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janush.r@web.de
5 Jahre her

Im verglichen mit Deutschland sehr weit durchdigitalisierten Skandinavien wird gerade in den letzten Monaten schon wieder über die Abschaffung von Tablets nachgedacht. Zur Überraschung einiger Digitalisierungsenthusiasten hat sich durch die Wisch-und-weg-PCs das Lernergebnis verschlechtert.

Karoline Makosch
5 Jahre her

Zumal sichergestellt werden müsste, dass die Kinder die Tablets daheim zur mit auch offline nutzen können. Viele Lernplattformen benötigen permanenten Internetzugang, den vielleicht nicht jede Familie hat. Da schießt der OB über das Ziel hinaus. Es sollte erst ein Lernkonzept geben und dann wird geschaut, wie das mit technischen Mitteln umgesetzt werden kann. Nicht umgekehrt.