„Wir müssen die soziale Entmischung stoppen“

Der designierte Vorsitzende der SPD in Halle Andreas Schmidt umreißt zu BEginn des Kommunalwahljahres die Linien seiner Partei und spart dabei auch nicht an Kritik am amtierenden Oberbürgermeister Bernd Wiegand.

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Andreas Schmidt ist der designierte Vorsitzende der SPD in Halle (Foto: Jan Möbius)

Halle/StäZ – Ende Januar soll Andreas Schmidt zum neuen Vorsitzenden der SPD in Halle gewählt werden. Der Posten ist unerwartet frei geworden, Schmidt springt quasi als Notlösung ein. Doch der Landtagsabgeordnete ist nicht bekannt für politische Zurückhaltung oder Leisetreterei. So zieht Schmidt im Interview mit StäZ-Redakteur Felix Knothe eine sehr ausführliche und beinahe schon vernichtende Bilanz der Amtszeit von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (Hauptsache Halle) und nimmt dabei auch Stellung zum Vorwurf, er selbst gehöre als früherer Stadtrat und SPD-Fraktionsgeschäftsführer zu den von Wiegand oft beschworenen „alten Kräften“ in Halle. Die SPD selbst sieht Schmidt im Kommunalwahljahr 2019 auf dem Weg der Erneuerung. Man stelle zur Stadtratswahl im Mai ursozialdemokratische Forderungen. So müsse man vor allem die soziale Entmischung in den Stadtteilen stoppen. Zur inneren Erneuerung der SPD müsse jedoch auf der Bundesebene der Partei noch besser auf die Mitglieder eingegangen werden, sonst könne man auch die Wähler nicht überzeugen. Zur Stadtratswahl gibt Schmidt das Ziel aus, dass künftig keine Entscheidungen am Bündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen vorbei möglich sein sollten. Die SPD stehe zu Rot-Rot-Grün und wolle im Herbst mit Hendrik Lange (Linke) als gemeinsamem OB-Kandidaten Amtsinhaber Wiegand abwählen. [ds_preview]

Herr Schmidt, Sie sind als neuer Vorsitzender der SPD Halle nominiert worden. Ist das für Sie eine Lust- oder eine Frustaufgabe?
Andreas Schmidt: Leute anzuführen, die sich – selbstlos und in ihrer Freizeit – um die Interessen anderer Leute kümmern, ist immer eine Lustaufgabe. Trotzdem habe ich mich nicht um diese Aufgabe gedrängt, weil ich auch ganz viele andere Sachen zu tun habe. Ich hätte es gut gefunden, wenn es jemand aus der Kommunalpolitik gemacht hätte. Aber so jemand hat sich gerade nicht gefunden. Und da ich der Meinung bin, dass Leute, die wie ich mit Politik Geld verdienen, in so einer Situation nicht weglaufen dürfen, bin ich eingesprungen.

Ihr Vorgänger Marcel Dörrer ist aus Protest gegen die Wahl des Bundesverfassungsrichters Stephan Harbarth zurückgetreten, aus Gewissensgründen. Wie haben sie den Rücktritt erlebt und was sagen Sie dazu?
Schmidt: Ich war, wie wohl alle im Saal, absolut überrascht, als er, ohne dass sich das vorher irgendwie angekündigt hatte, plötzlich zurückgetreten ist. Menschlich verstehe ich ihn: Ich verstehe, dass er sich geärgert hat und nach einer Möglichkeit gesucht hat, das anzuklagen. Ich halte aber den Schluss, zurück- und aus der SPD auszutreten, für falsch.

Warum?
Schmidt: Zum Ersten, weil die 156-jährige Sozialdemokratie viel mehr ist als eine einzige Entscheidung der Bundestagsfraktion. Zweitens, ist das Verfahren bei der Besetzung der Richter am Bundesverfassungsgericht Teil des großen Systems der Gewaltenteilung und der Machtbalance in diesem Land, in dem sich auch Wahlergebnisse widerspiegeln und nicht die Befindlichkeit einer Partei. Und da sind wir gerade im Bundestag nicht in der Position, allein zu bestimmen, wie die Bundesverfassungsrichter ausgesucht werden. Das muss man nicht gut finden, aber wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Und drittens hätte Marcel seinem Anliegen einen viel größeren Gefallen getan, wenn er in der SPD geblieben wäre und für seine Position gestritten hätte. Es kommt der nächste Verfassungsrichter und der übernächste, aber wenn ich draußen bin, bin ich draußen und übe keinen Einfluss mehr aus.

Der Abgang Marcel Dörrers hat die SPD kurz vor dem Kommunalwahljahr getroffen. Steht die SPD damit vor einer noch größeren Herausforderung als ohnehin schon?
Schmidt: Kommunalwahlen in Halle waren für die SPD noch nie ein Selbstläufer. Außerdem bestreiten Parteien Wahlen ja nicht für sich selbst und ihr Wohlbefinden, sondern es geht immer um Sachen, die wir erreichen wollen. Ja, wir gehen in ein Wahljahr, das für uns ziemlich schwierig wird, und wir gehen nicht davon aus, dass wir ohne viel Zutun einen bedeutenden Sieg einfahren werden. Aber es geht auch in den nächsten fünf Jahren um Halle. Die Chance, die Hallenser davon zu überzeugen, dass wir diejenigen sind, die ihre Interessen vertreten, ist genau das: eine Chance. Und wir wollen sie ergreifen.

Dann sagen Sie mal: Wofür kämpfen Sie?
Schmidt: In einem Satz?

Wenn Sie das hinbekommen?
Schmidt: Also: Wir wollen eine Gemeinde, die mehr ist, als nur ein baulicher Zusammenhang, sondern eine Gemeinschaft, in der die Leute wirklich zusammen leben, vernünftig ihre unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen austragen, in der sie auch leben können, weil sie das Leben, Wohnen und Mieten bezahlen können; eine Großstadt, in der Gewerbe nicht am Rande noch geduldet ist und ansonsten nur emissionsfreie Beamtenexistenzen etwas Gutes sind; eine Großstadt, die auch alles hat, was eine Großstadt ausmacht, vom Fußballstadion über die Oper bis zum Zoologischen Garten, und die nicht von vornherein sagt: „Wir machen uns klein und bauen das alles ab, nur weil eine spezielle Gruppe das sowieso nicht haben will“; und eine Stadt – und das ist in Halles Fall die besonders dringende Aufgabe – die sich entwickelt, aber nicht dadurch, dass jeden Tag ein Feuerwerk abgehalten wird, was im Star Park wieder tolles passiert ist, wenn sich da ein Logistiker ansiedelt, sondern die basiert auf einer Wirtschaft mit einem möglichst hohen Anteil von Firmen, die hier in der Stadt ihren Sitz haben, einem möglichst hohen Anteil von Firmen, die qualifizierte Arbeit anbieten, die auch gut bezahlt wird, die, wenn es geht, einen hohen Grad an Wissenschafts- und Technologieleitung haben und die hier sind, die sich von hier aus entwickeln und die nicht kommen und wieder abgezogen werden, wenn eine weit entfernte Konzernzentrale das beschließt. – Das war jetzt nicht der grammatikalisch beste Satz, oder?

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