Rechtspopulismus als Folge einer fehlenden 68er-Revolution?

Eine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung geht der These nach, ob die fehlende Revolte von 1968 etwas mit dem stärkeren Rechtspopulismus im Osten zu tun hat.

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Diskussionsrunde der Heinrich-Böll-Stiftung im Operncafé (Foto: Carla Moritz)

Halle/StäZ – Bei der Bundestagswahl 2017 erhielt die AfD in den neuen Bundesländern 21,9 Prozent der Zweitstimmen, während es in den alten Bundesländern mit 10,7 Prozent rund halb so viele waren. Bewegungen wie Pegida haben in Ostdeutschland deutlich mehr Erfolg als in Westdeutschland. Doch wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung haben am vergangenen Dienstagabend im Operncafé drei Experten unter dem Titel „Im Osten nichts Neues?“ die These diskutiert, ob das Fehlen der 68er- Revolution im Osten Deutschlands eine Erklärung liefert. Die Diskussion fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Das unmögliche Verlangen – 50 Jahre 1968 in Geschichte und Gegenwart“ in Kooperation mit Radio Corax und der Oper Halle statt.[ds_preview]

Petra Dobner, Professorin für Systemanalyse und Vergleichende Politikwissenschaft an der Uni Halle (Foto: Carla Moritz)

Petra Dobner, Professorin für Systemanalyse und Politikwissenschaft an der Uni Halle, erzählt, dass sie und andere Autoren des Buches „Wetterbericht. 68 und die Krise der Demokratie“ die Frage des Abends schon einmal bei einem gemeinsamen Abendessen diskutiert und sich dabei „fast zerlegt“ hätten. Am Dienstagabend verläuft die Diskussion jedoch relativ ruhig. Es herrscht entspannte Stimmung bei Wasser, Softgetränken und (alkoholfreiem) Bier. Viele der Zuhörer scheinen sich schon zu kennen. Die Veranstalter zeigen sich überrascht und erfreut über das zahlreiche Kommen: „Schön! Man muss wohl nur die richtigen Themen finden“. Viele der rund 50 Zuhörer sind Studierende, haben also die Zeit der 68er Revolution und die DDR nur durch Erzählungen kennengelernt. Anders sieht es bei den drei Experten des Abends aus, die auf zwei Sofas auf dem Podium Platz genommen haben.

Der Historiker Bernd Gehrke. (Foto: Carla Moritz)

Die Experten setzten sich zum einen mit der Annahme auseinander, es habe in der DDR keine 68er-Revolution gegeben. Der Historiker Bernd Gehrke relativiert diese Annahme: „Die DDR war ein Land der ausbleibenden typischen Revolte. Trotzdem muss ich sagen , dass das Jahr 1968 auch für die DDR ein Schlüsseljahr war“. Es sei ein Jahr der Proteste gewesen, auch wenn auf kleinerem Niveau als in der BRD. Diese Proteste seien aber der „Ausgangspunkt zur Bildung einer neuen Opposition bis 1989“ gewesen. Man müsse sich aber auch bewusst sein, dass diese Opposition „sehr am Rande der Gesellschaft und außerhalb des allgemeinen Diskurses gewesen“ sei, der in der DDR sehr „konformistisch“ blieb, so Gehrke.

Torsten Hahnel vom Verein Miteinander(Foto: Carla Moritz)

Auch Torsten Hahnel vom Verein Miteinander e.V. berichtet in diesem Zusammenhang, dass er die Gesellschaft der DDR oftmals als „intolerant und homogen“ erlebt habe. Als Punk habe er nicht selten Sätze wie „Bei Adolf hätte es so was nicht gegeben“ oder „Euch hat man doch vergessen zu vergasen“ gehört. Er ist der Meinung, es habe in der DDR an einer Zivilgesellschaft gefehlt, die sich klar von der NS-Zeit abgrenzte. Das sei in der BRD zu Beginn nicht anders gewesen, aber die 68er-Bewegung brachte einen Umbruch in diese Richtung.

Bei der Frage, was die Ursachen des aktuellen Erfolges rassistischer und autoritärer Organisationen im Osten sei, wollen sich die Experten aber trotzdem nicht auf die fehlende 68er-Revolution als primäre Ursache festlegen. Sie liefern eher vielfältige Erklärungsansätze. Petra Dobner nennt als Ursachen für den Erfolg von AfD, Pegida und Co. beispielsweise die Verständnislosigkeit über die Komplexität der heutigen Welt und die Hoffnung auf eine Alternative zum Neoliberalismus. Die sozialen Ängste, die oft als Ursache des Erfolgs rechter Bewegungen genannt werden, seien nicht Folge der sozialen Umstände, sondern ein grundsätzliches Gefühl in bestimmten Bevölkerungsgruppen. Außerdem könnten rechtspopulistische Bewegungen von einem im Osten verbreiteten Gefühl profitieren, in der Wendezeit etwas versprochen, aber nicht bekommen zu haben. Unter anderem sei der Versuch fehlgeschlagen, Zufriedenheit mit der Demokratie wie in der Frühzeit der BRD durch Materialismus herzustellen.

Zur Bedeutung der Wende für das Thema des Abends äußern sich auch Bernd Gehrke und Tosten Hahnel. Sie sehen die Zeit der Wende als Niederlage linker Ideen, die erst einmal indiskutabel waren, und als „Sieg der Rechten“, die durch Ereignisse wie die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen öffentliche Präsenz gewannen. Außerdem deutet Gehrke heutige Ängste als Spätfolge einer „Wertekrise“ , die sowohl durch den Zusammenbruch der DDR wie durch enttäuschte Vorstellungen von Demokratie und freier Marktwirtschaft entstand.

Über die Frage, ob die unterschiedlichen Erklärungsansätze vereinbar sind, diskutierten die Experten am Ende dann doch noch etwas kontroverser. Aber durch sehr lange Plädoyers am Anfang der Diskussion blieb dafür und die eigentliche Frage nach der 68er Revolution letztlich fast keine Zeit. Eine Diskussion entwickelt sich eben nicht immer nach Plan.

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