Leopoldina: Der seltene Ritualraum der Freimaurer

Ein lange Zeit vergessener Raum im Hauptgebäude der Leopoldina zeugt seit neuestem vom kulturhistorischen Erbe der halleschen Freimaurer. In Deutschland soll er einzigartig sein.

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In Deutschland wohl einzigartig: Torsten Arnold (Landesamt für Denkmalpflege), Jutta Schnitzer-Ungefug (Generalsekretärin der Leopoldina) und Restaurator Gerhard Richwien im wiederhergestellten Ritualraum der Freimaurer im früheren Logenhaus auf dem Jägerberg. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Rot schimmern die Wände des dunklen Raumes. An jeder Längsseite prangen drei große Embleme. „Philosophi“ oder „Lux Christiana“ steht dort in lateinischer Goldschrift geschrieben. Zwei prächtige Gemälde und eine zentrale Sonne nehmen die Decke ein. Eine Bordüre mit gewundenen Laubgirlanden windet sich einmal um den kleinen Saal herum. „Homo sum“ liest man dort immer wieder. „Ich bin Mensch“ – eine der Devisen der Freimaurer, die hier in diesem Raum jahrzehntelang ihre Rituale des sogenannten VI. Grades vollzogen haben.

Der Raum ist eine Sensation. Am vergangenen Dienstag hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ihn nach jahrelanger Restauration der Öffentlichkeit vorgestellt. Er befindet sich direkt im „Weißen Haus“ auf dem halleschen Jägerberg, dem heutigen Hauptgebäude der Akademie und früheren Palast der halleschen Freimaurerloge „Zu den drei Degen“. Der Raum ist nicht nur für das kleine Halle eine Sensation. Deutschlandweit soll es keinen zweiten solchen fast gänzlich im Original erhaltenen VI.-Grad-Ritualraum der Freimaurer mehr geben. Wer ihn betritt, bekommt eine Ahnung vom Wirken der Gruppe im frühen 20. Jahrhundert. Ungefähr so, wie er jetzt zu sehen ist, haben ihn die Freimaurer vor 112 Jahren genutzt.

Deckengmälde mit kniender Frau und Spiegel der Selbsterkenntnis; umlaufend auf griechisch: „Erkenne Dich selbst“. (Foto: xkn)

Über 50 dieser 112 Jahre lang war der Raum jedoch praktisch unbekannt. Unerkannt schlummerte er unter schnöder weißer Wandfarbe. Das „Weiße Haus“ selbst, das die Leopoldina 2009 von den Rechtsnachfolgern der Freimaurer gekauft hat, ist nun schon seit einigen Jahren saniert. Nur besagter Raum im zweiten Obergeschoss des Westflügels blieb zunächst übrig. Denn schnell nach dem Kauf war klar, dass seine frühere Gestaltung ein kulturhistorischer Schatz ist.

„Mit dem Kauf des Gebäudes hat die Leopoldina das kulturhistorische Erbe der Freimaurer angetreten“, sagte die Generalsekretärin der Leopoldina Jutta Schnitzer-Ungefug am Dienstag. „Wir sind sehr froh, dass wir diesen wirklich einmaligen Raum nun der Öffentlichkeit vorstellen können.“ Gleichzeitig macht sie aber auch klar: Mit der Wiederherstellung des Raums geht es der Leopoldina um das Erbe des Denkmals, aber nicht um eine Kontinuität der Akademie zu den Freimaurern als Vereinigung. Leopoldina und Freimaurer sind zwei unterschiedliche Dinge. Finanziert worden sei die Restaurierung durch Mittel des Freundeskreises der Leopoldina, dem neben Privatpersonen unter anderem auch Firmen und die Stadt Halle angehören. 90.000 Euro hat sie bisher gekostet. „Das ist das größte Einzelprojekt, das der Freundeskreis seit seiner Gründung 2007 gestemmt hat“, so Schnitzer-Ungefug.

Das Deckenemälde soll die weltumspannende freimaurerische Bruderkette symbolisieren (Foto: xkn)

Die Restaurierung, so beschreibt es Torsten Arnold vom Landesamt für Denkmalschutz, sei dem Prinzip gefolgt, die ursprünglichen Malereien freizulegen und dabei die verschiedenen Nutzungsspuren auch der späteren Eingriffe zu erhalten. Auch diese Spuren besäßen einen „Zeugniswert“. Historische Patina statt neu glänzende Imitation. Alle denkmalschützerischen Festlegungen seien in enger Abstimmung mit der Bauherrin Leopoldina und dem ausführenden Restaurator Gerhard Richwien aus Halle erfolgt. „Es war allen klar, dass wir keinen perfekt restaurierten Raum bekommen“, so Arnold. Teile der früheren Bemalung von 1906/07 bleiben verloren. Wandverputzungen aus späteren Jahren sind weiterhin zu sehen, an vielen Stellen jedoch in den historischen Farben übertüncht, um trotzdem ein einheitliches Erscheinungsbild zu erhalten. „Fast alles, was Sie sehen, ist original“, fasst Jutta Schnitzer-Ungefug zusammen.

Kompass-Sonne in der Mitte der bemalten Decke. (Foto: xkn)

Zentimeterarbeit hat Restaurator Gerhard Richwien so vier Jahre lang geleistet, um den alten Zustand wiederherzustellen. Im Vorfeld hat er in Archiven recherchiert und alte Fotografien des Raums aufgestöbert. Daher weiß er, dass sich in der sogenannten Altarnische am Kopfende des Raums früher Glasmalereien befanden, die hinterleuchtet waren. Drei Begriffe der Freimaurerei waren dort zu sehen: „Mikrokosmos“, „Biblia“ und „Makrokosmos“. „Makrokosmos“ stand dabei für die Kenntnis der Natur, „Mikrokosmos“ für die Selbsterkenntnis des Menschen und „Biblia“ für die Kenntnis der Schriften und Bücher. „Hinterleuchtete Glasmalereien waren damals moderne Medientechnik“, so Richwien. Teile des Gobelins, mit dem die Nische zusätzlich eingefasst war, hat Richwien noch Jahrzehnte später in den alten Fassungen feststellen können. Er war nach der Aufgabe des Raums einfach abgerissen worden. Auch über dem Eingang gegenüber prangte früher ein Leuchtschriftzug: „NOSCE TE IPSUM“ – Erkenne Dich selbst.

Altarnische mit noch nicht wiederhergestellten Glasleuchten. (Foto: xkn)

Selbsterkenntnis war demnach das Grundmotiv in diesem Raum, der einer von ursprünglich sieben Ritualräumen im Logenhaus war. Wie genau die Rituale, die in dem Saal damals abgehalten wurden, abliefen, ist zumindest in Halle nicht bis ins Letzte überliefert. Bekannt ist dass die Freimaurer des VI. Grades, wie auf einem der Deckengemälde symbolisiert, sich die Hände auf die Schultern legten und so eine Kette bildeten. Dabei sangen sie im Vermaß der „Ode an die Freude“: „Mit verhülltem Angesichte traten wir auf unsre Bahn…“.

Nachzulesen ist das in einer Broschüre, die die Leopoldina in diesen Tagen anlässlich der Restaurierung des Ritualraums herausgebracht hat. Was die Lehrinhalte angeht, so sei der VI. Grad eben der Grad der Selbsterkenntnis, der den Freimaurer zum höchsten, dem VII. Grad hinführen sollte. Die vom Humanismus und vom aufgeklärten Christentum geprägten Freimaurer glaubten daran, sich durch Selbsterkenntnis und Selbstüberwindung von der „Widersprüchlichkeit des menschlichen Daseins“ befreien zu können. Erst dann sei die nächste Stufe zu erreichen. „Homo sum“ und das delphische Motto „Erkenne Dich selbst“, das im griechischen Original auch im hinteren Deckengemälde auftaucht, prägten also nicht von Ungefähr den Raum.

Die Gestaltung über der Eingangstür ist nur zum Teil erhalten. Rechts gut zu sehen einer der früheren rechteckigen Druchbrüche für den Kinoprojektor aus sowjetischer Zeit. Darüber das Emblem der halleschen Freimaurerloge „Zu den drei Degen“(Foto: xkn)

Jeder Grad der Freimaurer hatte einen eigenen Ritualraum auf dem Jägerberg. Der nun restaurierte Ritualraum des VI. Grades war der in der Hierarchie zweithöchste. „Geweihte des Inneren Tempels“ nannten sich die wenigen, die diese Stufe erreicht hatten. Jede Stufe steht für die Erlangung eines höheren Erkenntnisgrads. Anders als für die drei normalen Grade Lehrling, Geselle und Meister, die es in jeder Freimaurerloge gab, konnte man sich für die sogenannten Hochgrade IV bis VII nicht selbst bewerben, sondern musste nominiert werden. Hochgrade gab es zudem nur in den zentralen Logen, die die Logensprengel dominierten, so auch in Halle. Im Ritualraum finden sich daher auch die Insignien der umliegenden kleineren Freimaurerlogen, zum Beispiel aus Naumburg oder Weißenfels, die ihre Mitglieder für die Hochgrad-Rituale offenbar ebenfalls nach Halle schickten.

Historische Ansicht von Moritzburg und Logenhaus, um 1825.

Die Geschichte des Logenhauses selbst ist voller Wendungen. 1778 hatte sich die Loge „Zu den drei Degen“ in Halle gegründet. Eines ihrer ersten Mitglieder war der Mediziner Johann Christian Reil, der 1792 auch den Kauf des Geländes auf dem Jägerberg für 4.300 Taler in die Wege leitete. Reil war, wie manch anderer hallescher Freimaurer übrigens auch, Mitglied der Leopoldina, die aber erst 1878 nach Halle übersiedelte. 1822–24 wurde auf dem Jägerberg-Gelände das neue Logenhaus der Freimaurer errichtet und schon im 19. Jahrhundert mehrfach umgebaut. 1906 erfolgte die Neugestaltung des Ritualraums des VI. Grades unter dem halleschen Architekten und Freimaurer Gustav Wolff, der seinerzeit auch viele prägende Gebäude der Stadt entworfen hat, wie die die Heilanstalt am Weidenplan, das frühere Kaufhaus Assmann am heutigen neuen theater (heute das Geschäft der Modekette „Ann Christine“), die Pferderennbahn oder das evangelische Gemeindehaus in der Puschkinstraße 27. 1935 wurden die Freimaurer in Deutschland verboten, und das Gebäude fiel als Notschenkung der Freimaurer an die Stadt, die einige Umbauten vornahm.

Eine der Quellen der Freimaurerei: die christlichen Gesetze (Foto: xkn)

1945 nach Kriegsende dann war im „Weißen Haus“ kurz die amerikanische Divisionskommandantur der Amerikanischen Armee untergebracht. Nach der Besatzungsübernahme durch die Rote Armee im Sommer 1945 richtete diese dort das „Haus der Offiziere“ ein, das auch einen Kinosaal bekam. Die Projektoren für diesen standen unter anderem im alten Ritualraum, wofür Durchbrüche über der Eingangstür gebrochen wurden. Restaurator Gerhard Richwien vermutet auch, dass, wo früher Freimaurer Selbsterkenntnis übten, später sowjetische Offiziere Fußball spielten. Charakteristische Spuren schwarzer Schuhcreme von Militärstiefeln an den Wänden ließen das vermuten. Auch diese Nutzungsspuren wurden erhalten.

Auch „die Philosophen“ zu studieren, war Aufgabe der Freimaurer auf dem Weg zur Selbsterkenntnis. (Foto: xkn)

1952 übergab die Rote Armee das Haus als N.-G.-Tschernischewski-Haus der Universität, die es bis 2001 nutzte. 1998 ging es als Rückübertragung zurück an die „Weltkugel-Stiftung“ der Freimaurer, wurde aber noch bis 2001 von der Uni genutzt. 2009, nach acht Jahren Leerstand, dann der Kauf durch die Leopoldina, die das „Weiße Haus“ als ihren Hauptsitz nutzt. Generalsekretärin Jutta Schnitzer-Ungefug hat angekündigt, dass auch der Ritualraum im Rahmen von öffentlichen Führungen für Publikum zu sehen sein wird. Ansonsten werde er in Zukunft als Rückzugs- und Aufenthaltsraum für das Präsidium der Akademie dienen. Dazu werde man ihn mit stilvollen neuen Möbeln einrichten. Freimaurerische Rituale soll es dort nicht mehr geben.

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