Dom zu Halle: Die Wiedergeburt einer Orgel

Seit einem Jahr läuft eine der größten Orgel-Restaurierungen in Mitteldeutschland. Die stark beschädigte Wäldner-Orgel des Doms zu Halle wird wieder in ihren ursprünglichen Zustand aus dem 19. Jahrhundert zurückversetzt. Besuch auf einer Baustelle.

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Michael Wetzel zeigt im Inneren der Wäldner-Orgel die freien Windladen. Hier stehen demnächst wieder Orgelpfeifen. (Foto: xkn)
[ds_preview]So eine Orgel ist, wenn alle Pfeifen und Register harmonisch aufeinander abgestimmt sind, eine technische und musikalische Meisterleistung, ein Gesamtkunstwerk. „Sie soll wieder so klingen, wie sie 1851 geklungen hat“, sagt Gerhard Noetzel. Das Restaurationsprojekt sei in Halle einmalig. Immerhin ist die Wäldner-Orgel, die älteste noch erhaltene Großorgel in der Saalestadt. Aber auch überregional ist sie von großer Bedeutung. Mit der berühmten Ladegast-Orgel des Merseburger Doms ist sie die zweite Großorgel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die es in Sachsen-Anhalt überhaupt noch gibt.

Hauptwerk einer halleschen Orgelbauerfamilie

Orgelbauer Michael Wetzel zeigt den Mechanismus der Register. Säße der Organist am Spielpult, würde Wetzel ihm hier direkt ins Gesicht beziehungsweise auf die Finger sehen können. (Foto: xkn)

Und sie ist das Werk eines Hallensers. Friedrich Wilhelm Wäldner (1785–1852) aus Thüringen, seit 1815 Bürger der Stadt, bekam 1847 den Auftrag, eine neue Orgel für den Dom zu Halle zu bauen. An der Vorgängerorgel hatte schon der junge Georg Friedrich Händel von 1702 an ein Jahr lang als Organist gewirkt. Wohl weil Wäldner schon betagt und kränklich war, unterschrieb sein Sohn August Ferdinand (1817–1905) den Vertrag als Junior der Wäldner-Orgelbauer mit. Die Wäldners hatten zuvor lediglich in der halleschen Umgebung kleinere Orgeln gebaut, etwa in Angersdorf, Reideburg oder Brehna. Die Orgel im Dom wurde zum letzten und größten Werk des Seniors. Eine Dynastie von Orgelbauern wurden die Wäldners allerdings nicht, wie Gerhard Noetzel berichtet. Nach dem Junior war Schluss. Dennoch standen sie für solide Arbeit. Wäldner-Orgeln gelten als klar strukturiert. Und als typisch für die musikalische Romantik des 19. Jahrhunderts.

Beste Aussicht aus dem Obergeschoss der Orgel ins Kirchenschiff. Noch sind nur wenige Pfeifen an ihrem Platz (Foto: xkn)

Dieses romantische 19. Jahrhundert: „Auf den Ursprung zurückführen“, nennt Orgelbauer Michael Wetzel das Ziel des Projekts, und wenn er als Orgelbauer vom Zusammenspiel der Pfeifen spricht, dann spricht er wie von einem feinsten Wandteppich, einem Gewebe der verschiedenen Klangfarben, das seinerzeit perfekt durchdacht gewesen sei. Die Flöten- und Streicherstimmen hätten für einen seidigen Charakter des Orgelklangs gesorgt. Die Domorgel habe außerdem warme, feine Damasttöne gehabt, die durch die Veränderungen verlorengegangen seien. Sie sei zudem perfekt auf die hervorragende Akkustik des Doms abgestimmt gewesen. „Wir freuen uns riesig, dass wir sie nun wieder reanimieren können. So können wir die Musik noch lebendiger werden lassen“, so Wetzel.

Jedes Loch eine Pfeife: Noch sind die Windladen nicht wieder bestückt. (Foto: xkn)

Noch ist das alles Theorie. Weder Michael Wetzel noch Gerhard Noetzel haben die Orgel je in ihrem Originalzustand gehört. Sie verlassen sich auf die zeitgenössischen Berichte und auf ihr Fachwissen. Noch sind, bis auf ein paar der riesigen Prospektpfeifen in der ersten Reihe, auch nur die allerwenigsten Pfeifen an ihrem Platz. Sie werden erst in den nächsten Wochen eingebaut. Man kann als Reporter also noch im Inneren der Orgel herumspazieren. An der linken Seite gibt es eine kleine Tür in den Innenraum. Eine kleine Treppe führt hinauf ins erste Geschoss. Insgesamt sind die Pfeifen auf drei Etagen angeordnet. Zu sehen sind gerade aber nur hölzerne Vorrichtungen mit hunderten kleiner und größerer Löcher. Auf diesen Windladen werden die Pfeifen später aufsitzen. Sie öffnen und schließen sich, wenn die Register gezogen werden. Wenn man über die enge Stiege noch weiter nach oben geklettert ist, wird man mit einem schönen Blick zwischen den Pfeifen hindurch ins Kirchenschiff belohnt. Allerdings zieht es gerade wie Hechtsuppe. Die Windanlage der Orgel ist in Betrieb. Michael Wetzels Kollege sucht in der früher vom Holzwurm zerfressenen Anlage nach undichten Stellen. Mit feuchten Händen fährt er jeden Quadratzentimeter des Windkanals ab und dichtet, wo nötig, nach.

Pflege zeitgenössischer Musik auf historischer Orgel

Fünf Blasebälge, motorbetrieben und hier in geschlossenem Zustand, hauchen der Domorgel das nötige Leben ein. (Foto: xkn)

Fünf riesige Blasebälge, heutzutage natürlich mit zwei Elektromotoren betrieben, hauchen der Orgel ihr Leben ein. Bei mehr als 1500 Pfeifen ist das aber eher kein Hauch, sondern ein kleiner Sturm, den sie entfachen können. Die ganze Anlage ist komplett neugebaut worden. Sie befindet sich nicht, wie früher, unter der Orgel, wo der alte Balgraum fast den kompletten Stirnteil der ersten Empore eingenommen hatte. Mit der Restaurierung der Orgel ist der Balgraum ins Dachgeschoss des Verbindungsbaus zwischen Dom und der Neuen Residenz gezogen. Er befindet sich damit direkt hinter der Orgel, Wand an Wand. Handwerker sorgen gerade brandschutztechnisch für den letzten Schliff, denn der Raum ist nun quasi zur Erweiterung des Kirchenraums geworden. Die Luft wird aus dem Dom angesaugt und über die Blasebälge zur Orgel zurückgeleitet. Das ist wichtig, denn so hat die Luft die gleiche Temperatur. Die Auslagerung der Blasebälge aus der Kirche hat aber mittelfristig noch einen anderen Nebeneffekt: Die Empore im Dom, die über 150 Jahre lang blockiert war, wird später wieder freigelegt werden können. Historisch gab es dort aus Kardinal Albrechts Zeiten einen Zugang zur Neuen Residenz. Der könnte wieder reaktiviert werden. Das Kardinalzimmer im Nachbarbau könnte also irgendwann auch wieder vom Dom aus betreten werden können. Zukunftsmusik.

Sicht auf die zwei West-Emporen des Doms. auf der ersten befand sich bisher der Balgraum der Orgel. Sie kann mittelfristig wieder geöffnet werden. (Foto: xkn)

Zurück zur Orgel, die, wenn sie fertig ist, natürlich auch bespielt werden soll. Die Vesper am Heiligen Abend soll die Wiedergeburtsstunde sein. Weil der Dom aber unbeheizt ist, soll die musikalische Hauptfeier erst im Rahmen eines großen Festwochenendes Ende Juni (28.–30.6.) steigen. Die Domgemeinde hat schon jetzt namhafte Organisten eingeladen, auf der wiedergeborenen Orgel zu spielen. Der Organist des Leipziger Gewandhauses und des Merseburger Doms Michael Schönheit wird eröffnen. Auch Chöre und Instrumentalensembles haben sich angesagt. „Und irgendwo werde sicherlich auch ich dazwischenrutschen“, sagt Gerhard Noetzel, der seit 2016 als Kirchenmusiker am Dom die musikalischen Geschicke leitet.

Die Domgemeinde habe sich – historische Orgelrestaurierung auf der einen Seite – vor allem einer vorwiegend zeitgenössischen Musikpflege verschrieben, erklärt Noetzel. Auch das 20. Jahrhundert sei Schwerpunkt. Das sei kein Widerspruch zum Spiel auf einer romantischen Orgel. In den Gottesdiensten und im Musikprogramm der Gemeinde spielten zeitgenössische Komponisten schon bisher eine große Rolle. „Das wollen wir weiter ausbauen und zeitgenössischen Komponisten weiter ermöglichen, hier ihre Werke aufzuführen oder aufführen zu lassen. Wir wollen so Musik zur Geltung bringen, die, auch in Verbidnung mit heute relevanten Texten, das religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Leben bereichert“, so Noetzel. „Mit der fertigen Orgel haben wir dazu gute Möglichkeiten, denn dann hat sie einen Charakter, der vollwertige Musik zulässt.“

Man darf gespannt sein, wie das alles dann klingt, wenn die Wäldner-Orgel nach über 100 Jahren wieder so aufgestellt, wie sie es einst war. Wenn sie wiedergeboren ist.

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