„Es war richtig, was wir getan haben“

Interview mit Jonas Buja, dem früheren Ersten Offizier und späteren Kapitän des Rettungsschiffs "Iuventa".

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Der Dokumentarfilm „Iuventa“ ist am 24. Juli im Puschkino zu sehen. (Foto: farbfilm verleih)

Halle/StäZ – Die Kamera ist ganz nah dran. 2016 bereiten sich junge Frauen und Männer auf eine Rettungsmission im Mittelmeer vor. Sie fahren in die internationalen Gewässer vor der libyschen Küste, um Flüchtlinge aus Seenot zu retten, die in vollgestopften, meist nicht seetüchtigen Booten versuchen, nach Europa zu gelangen. Die „Iuventa“ ist eines der NGO-Schiffe, die damals auf eigene Initiative auf die humanitäre Mission aufgebrochen sind. Sie rettet tausende Menschen vor dem Ertrinken. Gekauft und ausgerüstet hatte den alten Fischtrawler die erst kurz vorher gegründete Berliner Hilfsorganisation „Jugend rettet“, in der sich vor allem junge Leute zusammengetan hatten, um etwas Konkretes gegen den Tod im Mittelmeer zu tun. 2017 ist die „Iuventa“ von den italienischen Behörden beschlagnahmt worden. In der vorigen Woche nun ist der gleichnamige Dokumentarfilm des Regisseurs Michele Cinque in ausgewählte Kinos gekommen, der mit seinem Team bei den Rettungsaktionen und ihrer Vorbereitung direkt dabei war. Der Film tourt derzeit, inmitten der derzeitigen Debatte um die Flüchtlings-NGOs, durch Deutschland und wird am 24. Juli um 18:30 Uhr im Puschkino (Kardinal-Albrecht-Straße) gezeigt. Anwesend werden auch Crewmitglieder der „Iuventa“ sein. Felix Knothe sprach mit dem 26-jährigen Jonas Buja über seinen Einsatz auf dem Rettungsschiff und den Film.[ds_preview]

Jonas Buja, 26, war Erster Offizier und später Kapitän des Rettungsschiffs „Iuventa“. (Foto: Jule Müller/Jugend Rettet)

Herr Buja, welche Rolle haben Sie auf der Iuventa gespielt?
Beim erstem Einsatz der Iuventa war ich 24 und Erster Offizier. Später, 2017 war ich auch Kapitän. Insgesamt habe ich fünf Missionen mitgemacht.

Wie muss man sich so eine Mission im Mittelmeer vorstellen?
Wir waren 2016 und 2017 immer zwei Wochen auf See und haben, koordiniert von der Seenotleitstelle Italiens, versucht, Menschen, die auf völlig überfüllten Booten auf dem Meer trieben, zu retten und an andere Schiffe zu übergeben. Es gibt außerdem eine Vor- und eine Nachbereitung, darunter auch psychologische Gespräche. Vor einer Mission geht es da um ein Briefing zur Stressbewältigung, hinterher darum, in einem geschlossenen Rahmen das loszuwerden, was einem auf der Seele brennt. Man ist ja mit Tod und Leid konfrontiert. Damit muss man umgehen. Mir haben dabei immer Gespräche mit der Crew geholfen. Das sind alles Leute, die ähnlich ticken. Alle arbeiten am selben Ziel. Da kann man immer mit jemandem über das reden, was einen bedrückt.

Jonas Buja zeigt gemeinsam mit dem Einsatzleiter die Handgriffe zur Übernahme von Geretteten auf die „Iuventa“. (Foto: Jule Müller/Jugend Rettet)

Waren Sie für den Einsatz ausgebildet oder einfach ein paar junge Leute, die aufs Geratewohl losgefahren sind, um Menschen zu retten?
Unsere Organisation „Jugend rettet“ ist zwar von jungen Menschen gegründet worden. Aber wir haben den Ansatz, dass nur ausgebildete Leute mit an Bord kommen. Ich bin studierter Nautiker und fahre in meinem beruflichen Leben als zweiter Offizier auf großen Gastankern zur See. 2015 gab es zwischen meinem Studium und meinem Arbeitsbeginn zwei, drei Monate Freiraum. Ich wollte immer auch humanitäre Hilfe leisten. Da kam es gerade recht, dass mein Typ als Seemann verlangt war. Wir hatten auch Ärzte und Techniker an Bord. Jeder hat seine Kompetenzen mitgebracht.

Jonas-Buja (m.) und andere Crewmitglieder bei der Einsatzvorbereitung auf See (Foto: Jule Müller/Jugend Rettet)

Was war trotzdem neu und unerwartet bei Ihren ersten Einsätzen?
Wir waren die erste Crew die im Juli 2016 mit dem Schiff rausgefahren ist. Unser Einsatzleiter hatte mit der „Sea-Watch“ schon Leute gerettet. Alle anderen waren zwar auch Profis auf ihrem Gebiet, aber im Grunde wussten wir alle nicht so richtig gut, was wir da machen, also wie das mit der Rettung praktisch funktioniert. Das sieht man auch gut im Film. Trotzdem sind wir nicht konzeptlos in den Einsatz gegangen, sondern haben auf dem Weg in die Rettungszone viel trainiert. Am ersten Einsatztag hat dann alles gut geklappt. Es war ein sehr schönes Erlebnis, dass alles funktioniert hat: Am ersten Tag hatten wir über 400 Menschen an Deck stehen. Insgesamt hat die „Iuventa“ in 15 Missionen über 16.000 Menschen gerettet.

Was sind das für Menschen, die verzweifelt über das Meer wollen, und wie muss man sich so ein Rettungsboot vorstellen?
Das ist sehr gemischt. In den Booten sitzen Afrikaner, Syrer, und bei der ersten Mission auch viele aus Bangladesch. Überwiegend Männer, aber auch Frauen und Kinder. Die Flüchtlingsboote sind zehn Meter lang und drei Meter breit. Auf diesen 30 Quadratmetern sind 120 Menschen eingepfercht. Vier Leute je Quadratmeter. Das ist so, als wenn Sie mit drei anderen Leuten in einer Duschkabine zusammenhocken und das über Stunden oder gar Tage.

Wie sind Sie mit dem Leid umgegangen, das Sie gesehen haben?
Bei der ersten Mission hatten wir gleich zwei Tote. Das ist natürlich nicht schön. Die beiden waren jünger als ich damals, und ich war 24. Da fühlt man sich in gewisser Weise hilflos, hat aber gleichzeitig hunderte Leute gerettet. Also hatte ich nicht so richtig die Gelegenheit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Man bekommt außerdem schnell einen Tunnelblick. Ich bin ziemlich abgestumpft in der Zeit. Es hat eine Gewöhnung eingesetzt gegenüber dem, was ich dort gesehen habe.

Koordination der Übergabe der Geretteten an ein anderes Schiff. (Foto: Jule Müller/Jugend Rettet)

Haben Sie Zweifel am Sinn der Rettungsmissionen bekommen?
Nein. Es war absolut richtig, was wir getan haben. Wir haben hundert- und tausendfach Menschen aus Seenot gerettet. Für jeden einzelnen von ihnen war es der Unterschied zwischen Leben und Tod, wenn wir nicht da gewesen wären. Viele der Menschen wären gestorben. Ich bin außerdem Seefahrer von Beruf. Es betrifft also auch meine Berufsehre. Für Menschen, die zur See fahren, ist es ein absolutes Muss, Menschen in Seenot zu retten, ganz abgesehen davon, dass es auch rechtlich verpflichtend ist. Aber diese rechtliche Verpflichtung brauche ich gar nicht.

Sie sind selbst Seemann auf Handelsschiffen. Wird man auch auf der Fahrt mit einem großen Handelsschiff mit Flüchtlingen in Seenot konfrontiert?
Ja. Wir haben mit der „Iuventa“ auch mit Frachtschiffen zusammengearbeitet, die Leute gerettet hatten, denn die sind nicht dafür ausgerüstet, vielen Menschen zu helfen. Wir haben ihnen dann zum Beispiel Nahrung zur Verfügung gestellt, und unsere Mediziner sind an Bord gegangen und haben die Geretteten kurz untersucht. In meiner Dienstzeit auf einem Handelsschiff bin ich vor Kurzem auch von einem Rettungszentrum angefunkt worden, die Augen offen zu halten. Das war vor der marokkanischen Küste. Dorthin verlagert sich der Flüchtlingsstrom im Moment, und dort kann man mit dem Schiff auch nicht so leicht auf eine andere Route ausweichen. In dem Bereich ist die spanische Küstenwache aber gut ausgerüstet und hat auch einen kürzeren Weg als die italienische nach Libyen. Ein Frachtschiff hat an der libyschen Küste außerdem die Möglichkeit, weit entfernt von der Küste zu fahren, um nicht in die Situation zu kommen, Hilfe leisten zu müssen. Für die Reedereien ist das immer mit hohen Kosten verbunden.

Wie gehen Sie mit der Kritik um, die in der öffentlichen Debatte an den Nichtregierungsorganisationen entstanden ist?
Ich halte sie für absolut antiproportional. Bei den Schiffen, die in den Schlagzeilen waren, ging es um hunderte Menschen. Noch im letzten Jahr gab es Schiffe, der italienischen Küstenwache und großen NGOs, die von einer einzigen Fahrt mit über tausend geretteten Menschen heimgekehrt sind. Damals gab es noch viel mehr Flüchtlinge als jetzt. Und trotzdem kocht es jetzt gerade hoch. Wir wissen und haben es auch immer gesagt, dass das, was wir machen, keine Lösung des Problems ist. Auf dem Afrikanischen Kontinent sieht es ganz schön übel aus, und diese Probleme müssten angegangen werden. Trotzdem ist Seenotrettung alternativlos. Es gibt ja immer den Vorwurf, dass wir einen Pullfaktor darstellen, dass also die Leute in die Boote steigen, weil wir da sind. Dass das Blödsinn ist, wussten wir schon immer. Jetzt wissen wir es mit trauriger Gewissheit. Die Schlepper schicken die Menschen trotzdem mit den Schrottbooten raus, obwohl keine Rettungsschiffe da sind. Es ist ihnen völlig egal, was mit den Menschen passiert.

Völlig überfülltes Flüchtlingsboot bei einem Rettungseinsatz der „Iuventa“ (Foto: Cesar Dezfuli)

Was kann der Film in dieser Debatte bewirken?
Viele Leute erzählen mir schon bei den Vorträgen, die ich halte, dass sie ein deutlich besseres Bild davon bekommen, was auf dem Mittelmeer wirklich los ist. So ist es auch im Film. Das sind authentische Bilder, unkommentiert. Man kann sich ein gutes Bild von dem Einsatzalltag machen.

Was fordern Sie von der Politik?
Wir fordern die Einrichtung eines internationalen Seenotrettungsprogramms im Mittelmeer. Die Kriminalisierung der ehrenamtlichen Seenotretter muss außerdem sofort aufhören.

Danach sieht es nicht aus.
Nein, leider nicht. Stattdessen werden wir Zeugen einer Abschottungspolitik in Europa, eines massiven Wegschauens. Die Seenotrettung ist, wie schon gesagt, nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber mit der Abschottung ist das Problem aus den Augen und aus dem Sinn. Auch damit ist Afrika nicht geholfen.

Der Film „Iuventa“ läuft am kommenden Dienstag, 24. Juli, im Puschkino, Kardinal-Albrecht-Straße 6. Es findet außerdem ein Filmgespräch mit Crewmitgliedern des Seenotrettungsschiffes „Iuventa“ und Mitgliedern von „Jugend Rettet“ und Sea-Watch statt. Das Gespräch wird moderiert von Daniela Zocholl von der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt.
Der Film läuft außerdem am 13. August um 22:25 Uhr auf 3Sat. Er ist eine Koproduktion der Sunday Filmproduktions GmbH aus Halle mit Lazy Film Rom, Bright Frames Rom, RAI Cinema und dem ZDF/3sat.

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Dirk Dirot
5 Jahre her

Das der Film ausgerechnet am 13.August im TV läuft, finde ich grandios- trefflich lässt es sich dann diskutieren, ob es Unterschiede gibt, zwischen dem ehemaligen Flüchtlingen aus der DDR oder aus Afrika – ich finde es gut , das es jedenfalls noch ein anderes Deutschland gibt, als das an dem sich die Christdemagogen ranwanzen

siggivonderheide@me.com
5 Jahre her

Natürlich, im besten Sinne natürlich, ist es richtig und bleibt es richtig Menschenleben zu retten. Wenn die Weisshelme geschützt werden und
vor Assads Armee gerettet werden, wie soll des dann falsch sein im Mittelmeer Flüchtlinge auf Schiffen in Sicherheit zu bringen. Die weltpolitische Bigotterie
schlägt gerade Purzelbäume und in der STÄZ nur ein!? Kommentar zu diesem Artikel. Ist das jetzt Resignation oder Zustimmung?