„Die Messlatte nach mir liegt sehr hoch“

Der scheidende Stadtmarketing-Geschäftsführer Stefan Voß holt an seinem letzten Arbeitstag in Halle zum Rundumschlag aus. Sein Ziel ist vor allem Oberbürgermeister Bernd Wiegand, dem er persönliche Motive bei seiner Absetzung vorwirft.

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Stefan Voß war zehn Jahre lang Geschäftsführer des Stadtmarketings Halle (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Am Dienstag ist Stefan Voß‘ letzter Tag als Geschäftsführer der halleschen Stadtmarketinggesellschaft SMG. Sein Vertrag ist nach zehn Jahren bereits im vorigen Jahr nicht verlängert worden. Voß weiß also seit langem, dass Schluss ist in Halle. Seinen letzten Tag nutzt er nun im StäZ-Interview zur Abrechnung: vor allem mit Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos), dem er persönliche Motive bei seiner Absetzung und wiederholte Torpedierung der Arbeit des Stadtmarketings vorwirft. Um seine Nachfolge bei der SMG herrsche Verwaltungschaos, die Ausschreibung sei auf einen bestimmten Bewerber zugeschnitten worden. Auch der Start einer Studierendenwerbekampagne sei wegen Versäumnissen im OB-Büro verzögert worden. Es ist ein Rundumschlag. Voß, der oft streitbare aber ebenso oft auch umstrittene Marketingexperte, nutzt das Gespräch auch, um seine Bilanz zu ziehen. Er will, das merkt man, erhobenen Hauptes gehen nach diesen zehn Jahren und hofft, woanders „mit etwas mehr Respekt und Würdigung“ behandelt zu werden als in Halle. Das Gespräch führte Felix Knothe.[ds_preview]

Herr Voß, Sie verlassen Ihren Posten beim Stadtmarketing Halle nach exakt zehn Jahren. Mit welchem Grundgefühl gehen Sie?
Ich wäre schon gern geblieben, um die gemeinsam initiierten Großprojekte „Standortmarketing zur Studierenden-Gewinnung und Tagungsakquise“ mit erheblicher Aufstockung der SMG, die Erweiterung der Hotelinfrastruktur und den Deutschen Tag der Bustouristik 2019 in Halle (Saale) erfolgreich umzusetzen. Ständige Wechsel gehören zwar in Stadtmarketing und Touristik zum Berufsbild, aber mir ist Halle nach zehn Jahren sehr ans Herz gewachsen. Ich habe hier private und geschäftliche Bindungen aufgebaut.

„Meine Arbeit war ausgesprochen verdienstvoll.“

Warum wurden Sie nicht verlängert?
Es liegt in der Natur der Geschäftsführerpositionen in Stadt- und Tourismusmarketing GmbHs, dass sie eine besondere Bindung zum Hauptverwaltungsbeamten brauchen. Wenn dieser wechselt, wechseln vielfach auch die Geschäftsführer kommunaler Beteiligungsgesellschaften. Dies gilt umso mehr, als ich ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Amtsvorgängerin des OB hatte, die bei Herrn Dr. Wiegand nicht wohlgelitten war.

Die Stadtmarketing Halle (Saale) GmbH ist eine privatrechtliche Gesellschaft zur Förderung der Wahrnehmung der Stadt Halle. Sie hat ihren Sitz im Marktschlösschen am Markt und betreibt dort auch die Touristinformation. Darüber hinaus unternimmt sie zahlreiche Aktivitäten, vor allem in der Tourismuswerbung, um mehr Besucher nach Halle zu locken.

Die Stadt Halle ist mit 55 Prozent der Gesellschaftsanteile Mehrheitsgesellschafterin. Sie trägt auch den Großteil der finanziellen Zuschüsse an die SMG. Die übrigen 45 Prozent teilen sich auf die Uni Halle, die Citygemeinschaft der Innenstadthändler und den Wirtschaftsverein Pro Halle auf. Beschlüsse für die SMG wie die Bestellung eines Geschäftsführers fasst die Gesellschafterversammlung entsprechend der Stimmanteile. Der Oberbürgermeister muss sich allerdings Rückendeckung für sein Votum im Finanzausschuss des Stadtrates holen. Ein weiteres Gremium ist der politische Beirat der SMG, der beratende Funktion hat und mit Stadträten besetzt ist. (xkn)

Wollen Sie sagen, sie seien quasi das letzte Opfer des Amtswechsels von 2012?
Ich war noch nicht das letzte Opfer. Der Beigeordnete Stäglin zum Beispiel folgte nach mir.

Trotzdem haben Sie es, folgt man der Logik, aber noch ganz schön lange durchgehalten.
Ja, weil die Zusammenarbeit mit dem OB zumeist von nüchterner Sachlichkeit geprägt war und wir in vielen Projekten auch gut zusammengearbeitet haben. Belastend waren das Veto des OB gegen den Internationalen Hansetag 2019, der ja nach fünf Jahren des erfolgreichen Werbens im Juni 2013 in Herford an Halle vergeben worden wäre, oder die beabsichtigte – im Juli 2014 nach Einreichung des SMG-Wirtschaftsplans – avisierte dramatische SMG-Zuschusskürzung um 200.000 Euro für das Haushaltsjahr 2015. Diese hätte die SMG mit Sicherheit nicht überlebt. Hierzu musste ich am 1. Oktober 2014 ein Fachforum Politik einberufen, um mit den Fachbeiräten und Stadträten die drohende Insolvenz zu erörtern. Diesem Umstand verdanken SMG und die Stadt Halle, dass der Stadtrat die Kürzungspläne einkassiert hat und die Firma noch besteht. Die Folge war, dass ich mehrere SMG-Gesellschafterversammlungen vor der Tür verbracht habe und die ersten beiden Quartalsraten des institutionellen Zuschusses 2015 durch die Stadt Halle erst mit mehrmonatiger Verspätung erfolgten. Herr Dr. Wiegand hat außerdem ein eigenes Dienstleistungszentrum für Veranstaltungen errichtet, weil ihm unsere früheren Event-Aktivitäten auf dem halleschen Marktplatz (Händels Oase zu den Händel-Festspielen, weitere Begrünungen des Marktplatzes, Finni & Rudolf, Rentierkampagne, Weihnachtsmarkt-Broschüre, Weihnachtsmarkt-Tassen, Beleuchtung Roter Turm) wohl als zu eigenständig erschienen. Das ist zwar legitim, aber kontraproduktiv. Denn auch fürs Citymarketing und Events gibt es ja die SMG. Also haben wir uns noch stärker auf die Tourismusförderung fokussiert, wo allerdings sowieso schon unser Schwerpunkt liegt.

Sie zu schassen, war also eine persönliche Angelegenheit, und Sie führen das nicht auf ihre fachliche Arbeit zurück?
Nein, weil meine Arbeit objektiv ausgesprochen verdienstvoll ist.

Was haben Sie erreicht in den zehn Jahren?
Da möchte ich nur ein paar Beispiele nennen. Die Zahl der touristischen Ankünfte ist in den zehn Jahren von 152.000 auf 234.000 nach oben gegangen. Die Zahl der touristischen gewerblichen Übernachtungen ist von 285.000 auf 417.000 gestiegen. Die Auslastung der Hotelbetten in Halle ist mit 44,2 Prozent (45 Prozent bei Hotel-Garnis) insgesamt zehn Prozent höher als 2008. Noch nie gab es so viele ausländische Ankünfte und Übernachtungen in Halle. Und das bei gleichbleibend schlechter Hotelinfrastruktur. Ich glaube auch, dass ich gegen erbitterte Widerstände aus Hotellerie, Politik und Verwaltung Trendsetter war mit mehreren Gutachten, die für einen Ausbau der Kongress- und Hotelinfrastruktur geworben haben.

Warum ist mehr Kongresshotelkapazität wichtig?
Weil die Zahl der Tagungs- und Geschäftsräume in Halle in einem fatalen Missverhältnis zu den Bedarfen von Kongressagenturen und zur bundesweiten Nachfragesituation steht. Ein Hotel wie das Dormero hat Tagungskapazitäten für 1.500 Gäste, aber nur 89 Zimmer. Dort findet kaum ein Kongress statt, weil der Veranstalter die Teilnehmer auf das gesamte Stadtgebiet und zusätzlich auch auf die Hotels im angrenzenden Saalekreis und in Leipzig verteilen müsste. In ganz Halle gibt es nur 2.750 angebotene Betten in 38 Betrieben, davon entfallen 2.060 auf Hotels! Da lässt sich besser gleich in Leipzig tagen, wo die Zahl der Hotelbetten auf ca. 20.000 gestiegen ist. Das ist in Halle ein Ausschlusskriterium für die allermeisten Kongresse und Tagungen. Hinzu kommt, dass drei unserer fünf 4‑Sterne-Hotels über keine Tagungsräume verfügen. Ich habe deshalb also massiv für mehr Hotelkapazitäten geworben und auch diverse potentielle Investoren und Hotelbetreiber nach Halle geladen, die in meinem Büro eine Willkommenskultur vorfanden. Der Oberbürgermeister hat das Thema endlich – wenn auch mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung – für sich entdeckt. Gleichwohl ist mir völlig unverständlich, dass der Wirtschaftsfaktor Tourismus, der so groß und bedeutend für die Stadt, deren Beschäftigte, die Wirtschafts- und Kaufkraft ist, im Wirtschaftskonzept der Stadt von Herrn Rauschenbach kein Wirtschaftsfaktor ist.

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Dirk Dirot
5 Jahre her

Beachtlich, diese Wertschätzung der eigenen Arbeit- wahrscheinlich auch alles im Alleingang. Und es verstärkt sich der Eindruck, das man es in städtischen Bereichen mit kleinen Alphatierchen mit großen Ego zu tun hat- oder anders ausgedrückt 12jährige in Körpern alter Männer. Aber bei so einer Gelegenheit hört man auch mal, wie viel Geld in solche Gesellschaften fließt und was effektiv für die Stadt hängen bleibt.