Kommentar: Wir Nassauer!

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Der Glauchaer Platz war vom Hochwasser 2013 überspült. Seither läuft der Verkehr dort völlig normal. (Foto: Thomas Ziegler/Stadt Halle)

Halle/StäZ – Fünf Jahre nach der Saale-Elster-Flut sind in Halle und in Sachsen-Anhalt noch immer nicht alle angeblichen Flutschäden beseitigt. Und je länger es dauert, desto lauter wird die nagende Frage: War das wirklich alles nötig? War in Halle wirklich alles so kaputt nach dem Hochwasser? Jedem, der sein Hab und Gut verloren hat, sei die Hilfe aus dem Fonds gegönnt. Aber auch die Stadt hat kräftig zugelangt, und dabei ist nicht immer klar, wo der Flutschaden aufhört und wo das Vergolden eigentlich noch funktionstüchtiger Infrastruktur anfängt. Insgesamt 206 Millionen Euro für 166 Projekte sollen am Ende aus dem Fluthilfefonds nach Halle geflossen sein – nur für die kommunalen Projekte. [ds_preview]

Felix Knothe ist Gründer und Reporter bei der Städtischen Zeitung

Nur weil entgegen der Erwartungen der Gimritzer Damm hielt, kam es im Juni 2013 nicht zur ultimativen Katastrophe. „Wir haben großes Glück gehabt“, sagte damals Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos). Danach hatten insbesondere Halle und Wiegand gleich noch einmal Glück, und dieses Glück hält bis heute an: Als sich Bund und Länder darauf einigten, einen so nie dagewesenen Fluthilfefonds aufzulegen, war klar, dass die Flut zum Schaden Halles nicht gewesen sein sollte. Im Gegenteil: Durch die Flut des Geldes, die auf die Flut des Wassers folgte, wird es Halles Infrastruktur auf Jahrzehnte hinaus so gut gehen, wie noch nie zuvor.

Dass es voran geht, ist für sich allein genommen natürlich erfreulich. Wer wollte sich auf den ersten Blick beklagen, dass wir ein Planetarium bekommen, das des 21. Jahrhunderts würdig ist? Wer wollte tatsächlich darüber meckern, dass wir eine neue Eissporthalle haben und weiter ausgebaut bekommen, die der alten aus den 1960er Jahren natürlich an Wirtschaftlichkeit und Komfort um Längen voraus ist? Und wer gönnte nicht dem HFC als Drittligaklub endlich Trainingsbedingungen für seine Jugend, die wettbewerbsfähig sind? Allein: Das alles ist ein unverdientes Glück. Ohne die Flut hätte sich Halle all das auf Jahrzehnte hin wohl nicht leisten können. Wir Hallenser sind Nassauer unseres eigenen Unglücks.

Die tausenden Hallenserinnen und Hallenser, die 2013 Sand geschippt und Säcke gestapelt haben, die vielen, vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Katastrophenschützer, die sich bis an die Grenzen verausgabt und in Gefahr gebracht haben, sie alle haben großen Dank und hohe Anerkennung verdient. Sie waren 2013 im Noteinsatz zur Abwehr einer Gefahr. Ihre selbstlose Hilfe ist Ausweis großer Menschlichkeit. In anderer Weise müssen Land und Stadt aber auch dankbar sein für die Millionen, die Bund und alle Länder für den Wiederaufbau nach der Flut bereitgestellt haben. Und zu Dankbarkeit gehören Demut und Bescheidenheit.

Muss man sich dafür schämen, dass man ein Unglück mit der Hilfe anderer bewältigt? Das sicher nicht. Doch der Geist, der mit der Fluthilfe nach Halle kam, war nicht der Geist der Bescheidenheit. Es war ein Goldrausch, eine Gier danach, ja bloß so viel wie möglich abzugreifen aus diesem Topf, der ja nun einmal da war. Warum sollte man sich diese „einmalige Chance“ (Wiegand) entgehen lassen?

Weil auch dieses Geld Steuergeld ist. Es ist noch dazu Steuergeld, für das der Bund Schulden aufgenommen hat, die nun auch zum Beispiel diejenigen Länder mit zurückzahlen müssen, die 2013 selbst gar keine Flut hatten. Es ist außerdem ein Aberwitz, dass die, die am wenigsten Probleme damit haben, hemmungslos Fluthilfegeld zu beantragen, sonst die ärgsten Verfechter der Schwarzen Null sind. Wo sind bei der Fluthilfe die sonst so viel zitierten Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit? Gelten sie nicht, nur weil das Geld von jemand anderem kommt und in einem viel zu groß bemessenen Topf liegt, also irgendwie alle werden muss? Nein, in Halle gelten sie scheinbar nicht. Die Maxime in der Stadtverwaltung lautete nach der Flut stattdessen: Was nur irgend geht, wird auch beantragt. Und nebenbei verdienen Gutachter, Berater und Projektsteuerer ein hübsches Zubrot.

Um der Flut des Wassers Herr zu werden, werden die Deiche neu gebaut. Die Flut des Steuergeldes aber hat in Halle und auch anderswo niemand wirksam eingehegt. Wir müssen aufpassen, dass uns ob dieser Flut nicht das Maß für das Machbare in dieser Stadt verloren geht. Es ist fremdes Geld, das wir in Halle in einer Größenordnung ausgeben, vor allem aber in einer Art und Weise, dass man sich bei aller Dankbarkeit für dieses unverdiente Glück auch ein bisschen dafür schämen muss.

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Dirk Dirot
5 Jahre her

Die Flut tat Halle gut- der ist nicht von mir, den Spruch las ich in abgewandelter Form 2001 in Grimma. Auch da gab es nach der Flut Goldgräberstimmung. Aber auch dort löste sie nicht alle Probleme und schon gar nicht die der Sicherheit gegen Hochwasser. Ein Bürgermeister, der eigenmächtig Maßnahmen zum Hochwasserschutz initiiert hat, wurde mit Klagen überzogen und Menschen klagen gegen Hochwasserschutzmaßnahmen, weil sie den idyllischen Ausblick schmählern. gab es das nicht auch oder so ähnlich in Halle( geklagt haben sicherlich nicht Betroffene) Ich finde, der Hochwasserschutz sollte prophylaktischer Natur sein. Dazu gehört auch die Realität anzunehmen und sich… mehr lesen »