René Rebenstorf: Von der Hauptschule zum Beigeordneten

0
René Rebenstorf, neu gewählter Beigeordneter für Stadtentwicklung und Umwelt (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Als die Wahl gelaufen ist, geht der Neue erst einmal vor die Tür des großen Sitzungssaals im zweiten Stock des Stadthauses. Die MZ braucht ein Bild vom zukünftigen Baubeigeordneten René Rebenstorf, und der StäZ-Reporter will auch eines und ein kleines, erstes Statement. „Sie sehen mich sprachlos“, sagt Rebenstorf. „Prägen Sie sich das Bild ein, denn das werden Sie bald nicht mehr so häufig sehen.“ Die Überraschung, im zweiten Wahlgang am Favoriten Wolfgang Aldag vorbeigezogen zu sein und deutlich gewonnen zu haben, hat auch Rebenstorf kalt erwischt. Nicht mal im Ansatz habe er geahnt, dass es so laufen werde, sagt er. Doch der Satz, der danach kommt, zeigt vielleicht ein bisschen, auf wen sich Halle wird einstellen können: Er habe es zwar nicht geahnt, „aber ich weiß, was passiert ist.“ [ds_preview]


Mehr sagt er dazu nicht, obwohl er in dem Moment so ziemlich der einzige sein dürfte, der weiß, was passiert ist. Denn beinahe jeder rätselt am Mittwoch im Stadtrat, wie das überhaupt passieren konnte. Wie konnte Rot-Rot-Grün die scheinbar sicher geglaubte Mehrheit für Wolfgang Aldag aus der Hand geben? Sie hatten fünf Stimmen über dem Durst. Wenn Rebenstorf nun sagt, er wisse was passiert ist, dann heißt das nichts anderes als: Da ist einer, der selbstbewusst genug ist, das Geschehen zu beherrschen. Kein schlechter Ansatz für einen halleschen Baubeigeordneten. Über Aldags Kandidatur redet morgen keiner mehr. Rebenstorf aber hat jetzt das Amt, und er hat etwas damit vor.

Es gibt womöglich eine ganz einfache Erklärung für den Erfolg des 42-Jährigen. Offenbar hat René Rebenstorf von allen Kandidaten einfach den besten Wahlkampf gemacht, und die, die ihn gut fanden, haben lange genug dichtgehalten. Er war in einigen Fraktionen zur Vorstellung eingeladen gewesen und hat auch danach noch ungefragt an die Stadträte Bewerbungsmails geschrieben. Während sich die Öffentlichkeit fast vollständig auf den Grünen Wolfgang Aldag konzentrierte, hatte nur die StäZ Rebenstorf auf dem Schirm, und das wiederum erst kurz vor Schluss. Rebenstorf galt noch am Dienstag als möglicherweise nicht ganz chancenloser Außenseiter.

„Ich will die Hochstraße nicht abreißen.“

Er kam von Rang zehn der internen Bewerbungsliste. Sie war offenbar nicht sehr aussagekräftig. Rebenstorfs leibhaftiges Auftreten in den Fraktionen dagegen offenbar umso mehr. Nun jedenfalls kann der Mann, der in Stuttgart lebt und arbeitet, seine Umzugskisten packen und zurück in seine frühere Heimat ziehen. B5-Besoldung, Basisbruttogehalt knapp 8800 Euro, Amtszeit sieben Jahre. Vom Neckar an die Saale: Der CDU-Stadtrat und Bundestagabgeordnete Christoph Bernstiel verklärt das am Mittwoch gleich etwas romantisch. Er sieht in Rebenstorfs Wahl so etwas wie die Heimkehr eines verlorenen Sohnes: „Ist doch witzig, dass der, der aus Stuttgart kommt und in Halle lebt, verloren hat [gemeint ist Aldag, Anm. d. Red.] und der, der aus Halle kommt und in Stuttgart lebt, nun wieder zurückkommt.“

Rebenstorf ist Thüringer, der mit drei Jahren mit seinen Eltern nach Halle gezogen ist. Frohe Zukunft, nicht Neustadt oder Südstadt, wohin Ende der 1970er in Halle der meiste Zuzug stattfand. Rebenstorf ist Jahrgang 1976. Nach der Schule sei er nach Erfurt zum Architekturstudium gegangen und danach in Stuttgart gelandet. Dort hat Rebenstorf die letzten 14 Jahre verbracht. Den Kontakt nach Halle hat er allerdings immer gehalten. Er war einige Zeit lang Mitglied der Bürgerinitiative Hochstraße, die nach Alternativen zu dem städtebaulichen Monstrum sucht. Er sei aber nicht mehr Mitglied, sagt er nun eilfertig. Später fügt er noch – ungefragt – hinzu: „Und ich will in meiner Amtszeit auch nicht die Hochstraße abreißen. Ich will darüber auch nicht reden.“ Er will nicht gleich in der falschen Schublade landen.

Jetzt muss er erst einmal zwei, drei Whatsapps schreiben, bevor ihn der allgemeine Beglückwünschungssturm überrollt. Der nähert sich – eher als laues Lüftchen, denn die Sitzung läuft drinnen weiter – in einer kleinen Delegation von CDU und Mitbürgern. Andreas Scholtyssek, Bernhard Bönisch, Andreas Schachtschneider (alle CDU) und Yvonne Winkler (Mitbürger) gratulieren artig und wünschen knapp viel Erfolg im neuen Amt. Es ist auch für sie überraschend, was gerade passiert ist. Nur Winkler gibt sich unbeeindruckt.

Unbeeindruckter jedenfalls als Rebenstorf. Der ist immer noch sichtlich bewegt. Er freut sich richtig über die Glückwünsche. Man steht kurz zusammen, die Stadträte müssen gleich wieder rein in die Sitzung, und irgendwer sagt so dahin: „Wer hätte das gedacht.“ Es ist ein kleines Überbrückungsflöskelchen, aber nicht für Rebenstorf. „Ja, wer hätte das gedacht.“ Er setzt jetzt an: „Wissen Sie, ich habe die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen“, erzählt er jetzt den CDU-Leuten. „Donnerwetter!“, sagt einer. „Schon als ich Architektur studieren wollte, habe ich mir angehört: Das wird nichts. Aber es ist irgendwie doch immer etwas geworden. Das hat viel mit Chancen zu tun, die ich glücklicherweise in meinem Leben bekommen habe, aber die ich auch immer versucht habe zu nutzen.“ Eine kurze Lebensgeschichte in vier Sätzen. Mehr geht erst einmal nicht. Es wird noch mehr Gelegenheit geben, den Neuen kennenzulernen. Andreas Schachtschneider, der Berufsschullehrer aus Halle-Neustadt, hat aber nun schon etwas, das er seinen Schülern erzählen kann. „Vom Hauptschüler zum Beigeordneten: Na, das ist doch was.“

„Nur weil man neu ist, fängt man nicht an, alles über Bord zu werfen.“

Die Gruppe zerstreut sich. Auch der Neue muss nun bald weg, den Zug zurück nach Stuttgart erreichen. Zu Schwerpunkten seiner Arbeit bleibt er daher erst einmal vage. „Ich muss natürlich erst mit Herrn Wiegand reden“, sagt er. Mit seinem zukünftigen Chef, der ja vieles Entscheidende lieber allein macht, als es seinen Beigeordneten zu überlassen. Er sei Architekt mit dem Schwerpunkt Städtebau, sagt Rebenstorf auf die Frage zu seinem Programm. Er wolle vor allem die Qualität im öffentlichen Raum gestalten. Auf die in Halle zwischen den politischen Lagern zur Glaubensfrage avancierte Verkehrsproblematik angesprochen, sagt er: „Wenn es um Verkehr geht, muss ich als Beigeordneter natürlich mit der Vielstimmigkeit umgehen. Ich biete dazu allen einen konstruktiven Dialog an.“ Sein Vorgänger Uwe Stäglin hinterlasse große Fußstapfen, deshalb werde es ihm zuerst um Kontinuität gehen. „Nur weil man neu ist, fängt man nicht an, alles über Bord zu werfen.“

Und auch ein anderes Thema bleibt am Mittwoch nicht unbesprochen: Rebenstorf hat bei der Wahl, aller Wahrscheinlichkeit nach, auch die Stimmen von AfD, NPD und den zwei fraktionslosen Ex-AfD-Stadträten bekommen. Das kann man ihm bei einer geheimen Wahl nicht vorwerfen. Und man nimmt ihm auch ab, dass er es auf diese Stimmen nicht abgesehen hatte. Aber man muss darüber reden, was es möglicherweise bedeutet. Er habe den Stadträten insgesamt in der letzten Woche noch einmal eine Mail geschrieben, erzählt Rebenstorf. „Darin stand, dass ich darauf verzichtet habe, um die Stimmen von AfD und NPD zu werben – aus tiefster demokratischer Überzeugung.“ Er werde natürlich als Verwaltungsbeamter auch Fragen dieser Räte beantworten, so sie denn kommen. „Aber mehr auch nicht.“ Dann muss er weg. Die Amtszeit des Neuen beginnt am 1. August.

1 1 vote
Article Rating
Subscribe
Benachrichtigen Sie mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments