Erster Mai in Halle: Feier- und irgendwie auch Kampftag

Ein Bundesminister und ein Ehrenbürger sind die Stars am Ersten Mai in Halle. Es geht um Arbeitslosigkeit, Hasi, Rechtsextremismus und -- ja -- irgendwie auch um den Kommunismus. Ein Rundgang am Kampftag der Arbeiterklasse, der Arbeitnehmer und Arbeitnehmer-Innen, von Kundgebung zu Kundgebung, von Rolle zu Bedeutung.

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1. Mai auf Halles Marktplatz (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Der Erste Mai ist in Halle ja nun schon seit Jahrzehnten zwei‑, ach was, mindestens dreigeteilt. Da sind zum Einen die traditionellen Maifeiern von Gewerkschaften und Parteien auf dem Markt. Der noch traditionellere Umzug ist ja schon vor vielen Jahren abgeschafft worden. Zum Zweiten ist da ebenfalls seit Beginn der demokratischen Zeiten die Alternativveranstaltung des Neuen Theaters, erdacht und programmatisch aufgeladen vom Gründungsintendanten und heutigen Ehrenbürger Halles Peter Sodann.

Beide Veranstaltungen betrachten sich schon seit einigen Jahren gar nicht mehr so sehr als gegenseitige Konkurrenz, sondern als wechselseitig ergänzenden Ausdruck von Vielfalt. Und beiden ist gemeinsam, dass sie sowohl in die Jahre gekommen sind als auch ähnliche Ziele verfolgen, ob das die organisierte Arbeitnehmerschaft mit Funktionärsbeilage am Markt ist oder das Sinn und Unterhaltung suchende Kulturbürgertum mit Schauspielern am Uniplatz: Am 1. Mai bestärkt man sich in Rolle und Bedeutung, und den Hallensern gefällt dieser getrennte Marsch am Kampftag der Arbeiterklasse irgendwie.[ds_preview]

Dass der Feiertag zum Dritten natürlich für viele, viele andere auch ein reiner Feiertag ist, der, wenn die Sonne scheint wie dieses Jahr, unter anderem dafür genutzt wird, neue Gaststätten einzuweihen oder ganz unpolitisch die Schwimmsaison in der Saale zu eröffnen, sei hier nur am Rande erwähnt. Wobei: Dass die Saale wieder ein Fluss zum Schwimmen und zum Baden ist, das ist bei Lichte betrachtet natürlich auch eine irgendwie schöne und politische Geschichte. Ja, man kann sagen, dass das, was die paar Dutzend Schwimmer auf der Ziegelwiese am Dienstag wieder veranstaltet haben, ebenfalls eine fast schon traditionelle Maidemonstration war.

Oberbürgermeister Bernd Wiegand (r.) begrüßt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (m.) in Halle. (Foto: xkn)

Aber zurück zum Markt, der kurz vor um zehn, dem offiziellen Beginn, so winddurchweht ist, dass bei der CDU ein Glas vom Infostand in Scherben fliegt. Es sind, abgesehen vom ein oder anderen zaghaften Ein-Mann-Protest gegen „die da oben“, die einzigen Misstöne an diesem Vormittag. Irgendwo im Getümmel steht Alt-OB Dagmar Szabados (SPD). Auch die halleschen Landtagsabgeordneten von CDU, Linkspartei und SPD sind zahlreich vertreten. Bundestagsabgeordneter Karamba Diaby (SPD) ist irgendwie überall, und irgendwo soll auch Christoph Bernstiel, der Neue im Bundestag von der CDU, sein.

Halle hat hohen Besuch. Er nähert sich in Gestalt von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vom Händeldenkmal her der Bühne, die vor dem Ratshof aufgebaut ist. Heil wird eng begleitet von DGB-Regionalgeschäftsführer und SPD-Stadtratsfraktionschef Johannes Krause. Kameras, Fotografen, Autogramme, Händegeschüttel. Krause führt Heil von Stand zu Stand, während auf der Bühne eine Trommelgruppe versucht, die Menge zum Mitsingen zu animieren. Vergeblich.

Agitprop-Aktion von SPD-Stadtrat Detlef Wend: Er hatte einen Käfig auf dem Markt platziert und Passanten gebeten, symbolisch mit einem Bein „in den Knast“ zu treten. Auslöser der Aktion war für Wend der Ausspruch von VW-Vorstandschef Matthias Müller, der sein Zehn-Millionen-Euro-Gehalt damit rechtfertigt, dass er ja als Konzernchef immer „mit einem Fuß im Gefängnis“ stehe. „VW – Voller Wahnsinn“, findet Wend. „Es gibt viele andere Leute, die in ihrem Beruf auch mit einem Bein im Knast stehen, aber keine zehn Millionen verdienen. Das will ich zeigen. Darum meine Aktion.“

„Mit einem Bein im Knast“ – Agitprop-Aktion von SPD-Stadtrat Detlef Wend am 1. Mai (Foto: xkn)

Da war der politische Vortrag dreier Vertreter der DGB-Jugend kurz zuvor schon packender. Ein ehemaliger Mechatronik-Lehrling beschreibt, wie arg in der Autohändler- und ‑werkstattbranche mit Arbeitsverträgen, Bezahlung und zaghaften Organisationsbestrebungen der Beschäftigten umgegangen wird. Eine frühere Pflegeschülerin prangert, fast im Poetry-Slam-Ton, die Widrigkeiten ihrer Branche an, von der Zeitverdichtung bis zur miesen Bezahlung – und oft auch der miesen Behandlung der „Patient-Innen“; das gendergerechte Binnen‑I wird von der Jugend deutlich gesprochen. Das alles hat, lässt man es sich auf der Zunge zergehen, schon eine eindringliche Kraft. Aber der Aufruf, etwas gegen all die Missstände zu tun und sich zu organisieren, bleibt eben das: ein Aufruf. Die Gewerkschaften jedenfalls, die sich hier am Markt selbst vergewissern, scheinen in Halle nicht die Kraft zu haben, an diesen Zuständen etwas zu ändern. Ohne sie wird es aber wohl nicht gehen.

Das wird auch der Arbeitsminister Hubertus Heil noch einmal betonen, der, wie eine Frau am Verdi-Stand feststellt, „ja gestern noch im Fernsehen war“ (bei Hart aber Fair). Heute ist er hier in Halle. Dem Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos), der mit seinem kleinen Mitarbeiterstab einfach vor der Bühne steht, nähert er sich im Rücken. Und als Wiegand, der natürlich wegen der ganzen Kameras, die Heil umschwirren, schon gesehen hatte, woher der Minister kommen wird, von Johannes Krause, der Heil heranführt, angetippt wird, dreht er sich um und schmettert dem Minister einen Oberbürgermeisterbegrüßungssatz entgegen. Ein langes Gespräch gibt es jedenfalls nicht zwischen den beiden. Sie werden später dann aber gemeinsam auf der Bühne stehen.

SPD_Stadtratsfraktionschef Johannes Krause (r.) stellt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (m.) den rot-rot-grünen OB-Kandidaten Hendrik Lange (Linke, l.) vor. (Foto: xkn)

Etwas mehr Zeit, vielleicht 40 Sekunden, nimmt sich Heil dagegen für den Mann mit Nelke im Reißverschluss, den ihm Krause kurz danach vorstellt: Hendrik Lange (Linke), der gemeinsame Oberbürgermeisterkandidat von Linken, SPD und Grünen. Heil schaut kurz irritiert, als aber „SPD“ gesagt wird, kann er wieder lächeln. Dann muss er auf die Bühne.

Dort hält erst der hallesche DGB-Chef Andreas Dose eine kurze Rede und sagt unter anderem, es dürfe mit der neuen Bundesregierung, deren neues Mitglied Heil ja ist, „kein Weiter-so geben“. Dann begrüßt Oberbürgermeister Bernd Wiegand für seine Verhältnisse donnernd die Menschen und noch einmal Herrn Heil und lobt die Gewerkschaftsbewegung – mit dem kleinen Versprecher freilich, dass er „Gerechtigkeit für Arbeitgeber“ fordert. Gleichzeitig gratuliert er, der Arbeitgeber, aber den städtischen Beschäftigten zur jüngst erkämpften und aus seiner Sicht verdienten Tariferhöhung. Applaus.

Kundgebung zum 1. Mai auf dem Markt: Hauptredner ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Daneben (v.l.) DGB-Stadtvorsitzender Andreas Dose, DGB-Regionalgeschäftsführer Johannes Krause und Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos). (Foto: xkn)

Dann spricht Heil, und die Rede ist eines neuen Bundesarbeitsministers würdig. Heil streichelt, wie gesagt, die Gewerkschaftsseele, ruft alle auf, in Gewerkschaften einzutreten und preist am Beispiel seiner ebenfalls strukturgebrochenenen Heimatstadt Peine die Erfolge, die man erzielen könne, „wenn alle, Gewerkschaften und Arbeitgeber, an einem Strang ziehen“. Kein Klassenkampf der einen gegen die anderen hier. Heil spricht frei, und wendet sich dann dem Thema Langzeitarbeitslose zu, das offenbar die zentrale Kernbotschaft des diesjährigen Ersten Mai für ihn ist: „Wir dürfen niemals die vergessen, die auf der Strecke geblieben sind. Sie haben eine Chance verdient, und dafür müssen wir kämpfen.“ Ein neues Gesetz soll es geben, das Langzeitarbeitslosen tatsächlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ermöglicht. „Man kann Menschen nicht durch eine Maßnahme nach der nächsten jagen“, ruft Heil in den Applaus hinein. Netter kann man die langsame Abkehr von langjähriger Politik auch der SPD nicht formulieren.

Auch zur Digitalisierung spricht Heil und wirbt hier dafür, diese nicht nur als Bedrohung zu sehen. Sie könne die Arbeit auch humaner und menschlicher machen. Es gehe nicht um „Sicherheit vor dem Wandel, sondern um Sicherheit im Wandel.“ Und um das deutlich zu machen, kommt dann doch noch ein bisschen Arbeiterklassenpathos auf, als Heil ruft: „Die Digitalisierung darf nicht zur Ausbeutung der Menschen benutzt werden.“

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