Wem gehören unsere Gefühle?

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Juliane Uhl, Foto: Knut Mueller

Für einige Wochen hing an den Litfaßsäulen der Stadt ein Plakat auf dem genau diese Frage gestellt wurde: Wem gehören unsere Gefühle? Bis heute weiß ich nicht, wer diese Frage gestellt hat, doch einmal in meinem Kopf, ließ sie mich nicht mehr los. Der erste Reflex, dass meine Gefühle natürlich niemandem außer mir selbst, der Fühlenden, gehören, löste sich schnell in Wohlgefallen auf und wurde mit dem Schaum einer morgendlichen Dusche hinweggespült. Dann nämlich, als ich die Aufschrift auf meinem Duschbad las: „Ich fühle mich sinnlich!“ Ich drückte mir eine weitere Portion des weißen dickflüssigen Seifenzeugs in die Hände, verrieb es auf  meinem Mittdreißigerkörper und versuchte zu erspüren, ob das wahr sein kann. Fühle ich mich sinnlich, durch ein schnödes Duschbad, nur weil jemand will, dass es so ist?[ds_preview] Im Schrank fand ich eine weitere Flasche, auf der von Harmonie die Rede war. Auch diese testete ich einige Tage später mit dem Ergebnis, dass ich mich weder sinnlicher noch harmonischer fühlte als zuvor. Meine Gefühle scheinen also noch mir zu gehören. Es gibt da aber jemanden, der sie gern beeinflussen möchte. Es gibt da jemanden, der meine Gefühle haben und mit ihnen spielen will. Die Frage ist, ob ich sie hergebe, meine Emotionen. Seit diesen morgendlichen Erhebungen, beobachte ich mich selbst, und immer, wenn jemand meine Gefühle anspricht, schlägt mein Kolumnenherz eine Signalglocke an, die zunehmend lauter in mir vibriert.

Münster! Na, klingelt´s da schon bei Ihnen? Ich habe von dem Geschehen in Münster nicht viel mitbekommen außer der puren Information, dass jemand mit einem Auto in eine Menschenmenge gerast ist. Ich habe nichts gelesen, und als mich meine Nachbarin gestern mit den Worten: „O Mann, das mit Münster ist doch so schlimm“ ansprach, verbat ich mir das Thema, weil ich mich einfach nicht hineinfühlen wollte. Nein, ich möchte schlichtweg nicht an der Thematisierung der Vorfälle beteiligt sein.

Meine Gefühle gehören mir und ich will nicht mitfühlen. Ist das unmenschlich, ist das vielleicht zu hart? Ist es vielleicht eine Art Selbstschutz? Wir werden seit dem 11. September 2001 mit durchemotionalisierten Nachrichten überschüttet. Und ich kann einfach nicht mehr. Mein Mitgefühl mit Geschehen, die ich nur aus den Medien kenne, ist ausgereizt. Ja, ich verschließe die Augen: Ich will keine syrischen Kinder mehr sehen, keine Anschlagsopfer und keine Postings von Menschen, die auf Facebook ihr Mitgefühl ausdrücken. Denn während ich an dem einen nichts ändern kann, in dem ich die Bilder konsumiere, nerven mich die halbherzigen Äußerungen in den sozialen Netzwerken, die mir nicht wie ehrliche Anteilnahme, sondern wie der Beweis des Dabeiseins – schau, ich habe es auch gelesen und bin up-to-date – vorkommen.

Es ist durchaus möglich, dass diese Ansicht nun Menschen aufregt, die mir mangelndes Gefühl nachsagen. Aber denen möchte ich gern sagen, meine Gefühle gehören mir. Mir! Mir! Mir! Und nicht einer Gesellschaft, die mir vorschreibt, was ich zu fühlen habe. Sie gehören mir und den Menschen, mit denen ich sie teile. So richtig teile, indem ich sie erlebe.

Und jetzt schließe ich hier und schaue wieder auf meine Wand, die mit einer Farbe gestrichen wurde, die „Verträumtes Graurosé“ heißt.

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siggivonderheide@me.com
6 Jahre her

wie gefühlig… wie wär’s zum Beispiel einfach facebook-konto löschen, hilft gegen halbherziges Geschwafel, Keinen Marketing-Blödsinn mehr einkaufen, hilft gegen unnütze Selbstbekenntnisse per Duschgel usw… Früher bestimmte das Bewusstsei das Sein und vice versa. Heute vielleicht “ Der Schein bestimmt den Bewusstschein ?

Karoline Makosch
6 Jahre her

Ich weiß genau, was Sie meinen, ich bin ebenfalls sehr vorsichtig geworden, denn die eigenen Gefühle geraten auch mal außer Kontrolle und lassen mich dann nicht mehr los. Trotzdem gestatte ich mir oder zwinge mich auch, ungeliebte Bilder und Texte zu konsumieren. Denn dann rege ich mich über die Ungerechtigkeit auf, dann habe ich Mitgefühl, dann unternehme ich oft auch was dafür oder dagegen. Und dann bin ich lebendig.

Albrecht Pohlmann
5 Jahre her

„Wir werden seit dem 11. September 2001 mit durchemotionalisierten Nachrichten überschüttet.“ – Eben. Unsere Gefühle sollen nicht uns gehören. Wir sollen Angst haben. Das ist die Botschaft derer, die Macht über uns haben. Ich bin grundsätzlich mißtrauisch, wenn an meine Angstbereitschaft appelliert wird und wenige Tage später die Forderungen nach „mehr Sicherheit“ kommen, was stets „weniger Freiheit“ bedeutet. Ich appelliere an alle: Bleibt skeptisch, glaubt den etablierten Medien nichts ohne eigene Prüfung, laßt euch nicht verängstigen und nicht für dumm verkaufen! Noch gilt das Erbe der Aufklärung, bedient euch eures Verstandes und mißtraut jedem, der euch sagt, was ihr fühlen… mehr lesen »