Krimi in der StäZ: Der Saft des Lebens – von Marc-Oliver Bischoff (Teil 5 v. 5)

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Am 2. Mai startet in Halle die Criminale, Europas größtes Krimi-Festival und gleichzeitig Krimiautorenkongress. Für Fans der Kriminalliteratur werden bis zum 6. Mai 60 Veranstaltungen an 28 Orten in Halle und Bad Lauchstädt geboten. Im Vorfeld ist bereits die Anthologie „Die Stadt, das Salz & der Tod“, herausgegeben vom halleschen Schriftsteller Peter Godazgar, erschienen. Darin sind 16 aktuelle Kurzkrimis enthalten, die allesamt in Halle spielen und jeweils einer halleschen Institution gewidmet sind. 

Weil Literatur in der Zeitung eine schon fast vergessene, aber dennoch schöne Tradition ist, veröffentlicht die Städtische Zeitung hier mit freundlicher Genehmigung aus dieser Anthologie als fünfteilige Fortsetzungsgeschichte den Kurzkrimi „Der Saft des Lebens“ von Marc-Oliver Bischoff. Darin zieht ein Gaunerpärchen vom Bahnhof zum Markt und weiter – natürlich mit tödlichem Ausgang. Aber lesen Sie selbst. Die StäZ verlost außerdem drei Exemplare der Anthologie unter ihren Abonnentinnen und Abonnenten. Schreiben Sie einfach eine E‑Mail mit Angabe Ihrer StäZ-Login-Mailadresse unter dem Kennwort „Krimi-Verlosung“ an info@staedtische-teitung.de. Einsendeschluss ist der 30. April 2018. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.[d. Red.]

Marc-Oliver Bischoff

Der Saft des Lebens

DRK-Blutspendedienst

Die Stimme des Lokführers schepperte aus dem Lautsprecher. Die Regionalbahn aus Bitterfeld hatte zwölf Minuten Verspätung. Bei einer Gesamtfahrzeit von vierundzwanzig Minuten waren das wie viel Prozent? Hasi, der Kopfrechnen für einen Luxus hielt, den sich nur Leute ohne Taschenrechner leisteten, schob die Frage beiseite.
»Sänk ju for träwelling wis Deutsche Bahn«, feixte Mona.
»Erst schwarzfahren und dann die Klappe aufreißen, das sind mir die liebsten«, knurrte der Schaffner, der die beiden am Schlafittchen gepackt hatte und aussah, als verspeise er Katzenbabys zum Frühstück.
Sie fuhren unter der Berliner Brücke hindurch, rechts tauchten die Gründerzeitfassaden der Häuser an der Volkmannstraße auf. Hasi konnte nicht anders, er musste über Monas Englisch lachen. Der Schaffner grunzte, Hasis Kopf wurde nach vorne gegen die Waggontür gerammt, woraufhin er erst mal nur Sterne sah.
»Ups, immer diese blöden Weichen«, entschuldigte sich der Schaffner, während der Zug schnurgerade weiterratterte.
Sie fuhren auf Gleis vier ein. Nervenzerrüttendes Kreischen, ein Ruck und der Zug kam zum Stehen.
»Drück mal den Hebel, Großer«, befahl der Schaffner.
Hasi drückte. Die Tür schwang auf und sie stolperten nach draußen. Eine Durchsage informierte sie über mögliche Anschlüsse in so mondäne Orte wie Klitschmar, Drohndorf oder Schkeuditz. Sie konnten auch zurück nach Bitterfeld fahren, im selben Zug, in dem sie gekommen waren. Nur hatte da vermutlich der Schaffner Einwände.
Hasi ahnte, was ihnen bevorstand: Die Bahnhofsbullen würden sie in Empfang nehmen. Dann wurde es ungemütlich, denn es gab die eine oder andere Liste, auf der ihre Namen standen. Eigentlich total dämlich, immer wieder schwarzzufahren. Leichtsinnig dazu. Doch am Bahnsteig stand niemand zu ihrem Empfang bereit. Sie warteten eine Weile. Die Ansagerin kündigte die Abfahrt an ihrem Gleis an. Der Schaffner hielt sie mit seinen Schraubstockpranken derart umklammert, dass an Abhauen nicht zu denken war.
»Verdammt, wo stecken denn diese Idioten?«, schimpfte er und schüttelte seine Gefangenen ein bisschen, bis Hasi das Blut in den Ohren rauschte.
»Pass mal auf, Süße«, sagte der Schaffner, »ich lasse jetzt kurz los, um zu telefonieren. Falls du stiften gehst, nehme ich deinen minderbemittelten Riesenhamster wieder mit zurück. Dann kannst du ihn in Bitterfeld im Krankenhaus abholen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
Mona rollte mit den Augen.
»Habe ich mich …«
»Ja doch!«, keifte sie und zwinkerte Hasi zu. Dieses spezielle Zwinkern kannte er. Jetzt hieß es, auf Zack sein.
Der Schaffner gab Mona frei. Sie drehte sich blitzschnell um und biss ihn in die Hand, mit der er Hasi festhielt. Mit einem Aufschrei ließ der Kontrolleur los. Sie gaben Vollgas, rannten den Bahnsteig entlang, sprangen die Treppenstufen hinunter.
Im Rücken dröhnte das Geschrei des Gorillas: »Haltet die Diebe!«
Frechheit, sie hatten nicht geklaut. Noch nicht.
Unten teilten sie sich auf. Mona lief rechts, er links entlang, am Brezelbäcker vorbei, am Geschenkartikelladen, am Blumengeschäft. Slalom durch Leute mit Rollkoffern, zwischen Rucksackträgern und Obdachlosen mit Hund. Der fette Köter trug ein gepunktetes Halstuch. Hasi rannte hinaus auf den Bahnhofsvorplatz. Es regnete.
Weil er groß und schwer war und das Gegenteil von sportlich, bekam er keine Luft mehr. Seitenstechen. Er hielt an, stützte sich keuchend auf die Knie. Zum ersten Mal, seit er losgerannt war, sah er sich um. Ein Schatten flog auf ihn zu.
»Hey, unterbelichteter Riesenhamster!«, rief Mona lachend und sprang ihm auf den Rücken wie auf einen Gaul.
»Er hat ›minderbemittelt‹ gesagt, nicht ›unterbelichtet‹«, korrigierte Hasi.
Sie blickten zu den Gleisen hinauf, wo die Regionalbahn gerade davonfuhr.
»Was für ’n Arsch!« Mona schüttelte den Kopf.

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