Kommentar zur Holzplatzschule: „Zwingend erforderlich“ ist eine Formel für Filz

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Halle/StäZ - Sie werden natürlich auch am Mittwoch im Stadtrat die Hand heben. So wie in den Ausschüssen vorher. Sie werden den Bau der neuen Holzplatzschule durchwinken. Trotz ihrer teilweise massiven Bedenken und trotz des überhasteten Zeitplans. Aber all diese Bedenken der Stadträtinnen und Stadträte gegen den Plan des Oberbürgermeisters Bernd Wiegand (parteilos) und des Privatberaters der Stadt Jens Rauschenbach haben das 20-Millionen-Projekt nicht erschüttern können. Nicht, weil der Plan jeden von ihnen überzeugt hätte oder die Stadtverwaltung mit ihren wechselnden und oft auch auf den allerletzten Drücker nachgereichten Antworten auf die Fragen der Stadträte vollends überzeugt hätte. Sondern weil der Stadtrat schlicht nicht als der Verhinderer dastehen will. Denn auch und vor allem bei der Holzplatzschule sind die Lieblingsworte der Stadt unter Wiegand wieder zuhauf gefallen: Zwingend. Erforderlich. Wie soll man da als Stadtrat noch argumentieren?[ds_preview]

Im Englischen heißt es das TINA-Prinzip: There is no alternative – es gibt keine Alternative –, und eigentlich ist diese Art, Politik zu machen, schon längst wieder in Verruf geraten. Denn genau das Gegenteil sollte demokratische Politik ausmachen: Die Suche nach der besten Alternative. Das Gemeinwohl lässt sich nämlich immer noch am besten in sachlichen Debatten, Abwägungen und Kompromissen verfolgen. Nicht so in Halle: „Zwingend erforderlich“ ist hier seit knapp sechs Jahren alles mögliche. „Zwingend erforderlich“ – in Abwandlung auch als „dringend erforderlich“ gebraucht – ist die Chiffre für „Diskussion zwecklos“ und für „Friss oder stirb!“. Das TINA-Prinzip ist eine Formel für Politikverdruss. Sie birgt die Gefahr von Machtmissbrauch und natürlich auch von Filz, weil mit dem TINA-Prinzip demokratische Kontrolle, die nüchterne Abwägung und das Berücksichtigen unterschiedlicher Interessen potenziell unterlaufen werden.

„Zwingend erforderlich“ war zum Beispiel die legendäre Höherbezahlung von Wiegands damals neuen engsten Mitarbeitern, die vorher maßgeblich für ihn Wahlkampf gemacht oder die sich zwischen erstem und zweitem Wahlgang von politischen Konkurrenten in politische Freunde verwandelt hatten. Mangels Justiziabilität dieses politisch hoch umstrittenen Vorgangs ist Wiegand zweimal freigesprochen worden. Die Prozesse seien politisch motiviert gewesen, hatte Wiegand mantraartig gesagt, dabei waren es vermutlich die Einstellungen. Nun wird sich in Zukunft wohl jeder neue OB auf diesen Präzedenzfall berufen können, zum Nachteil der Stadtkassen dieses Landes. Er oder sie muss nur „zwingend erforderlich“ sagen.

Auch bei Fluthilfe- und Schulbauprojekten tauchten die Worte in Halle immer wieder auf: „Zwingend erforderlich“ war der gerichtlich später gestoppte Bau des Wiegandwalls. Auch war es 2013 „zwingend erforderlich“, so viele Flutschäden wie möglich aufzulisten, um möglichst viel vom Fluthilfekuchen aus Steuermitteln abzubekommen. Der Abriss des denkmalgeschützten alten Planetariums auf der Peißnitz war „zwingend erforderlich“ – nicht!, wie sich später herausstellte. Und dass der Stadtrat nun in Sachen 20-Millionen-Euro-Holzplatzschule auf Mitsprache verzichtet und alles hopplahopp über die Bühne gehen soll, ist ebenfalls „zwingend erforderlich“. Und oft, wo etwas in Halle „zwingend erforderlich“ ist, ist ein städtischer Auftrag an die Firmen Jens Rauschenbachs nicht weit. Rauschenbach ist das politische Instrument des Wiegandschen TINA-Prinzips. Politisch ist das bedenklich, auch wenn der Stadtrat rechtlich dagegen keine Handhabe findet.

Der Stadtrat wird also auch am Mittwoch wieder einen der vielen Tode sterben, die er seit Wiegands Amtsantritt gestorben ist. Lange, zu lange, ist das in Halle achselzuckend quittiert worden, weil die Parteien im Stadtrat als notorische Gegner Wiegands betrachtet wurden, gegen die der sich eben wehren müsse. Auf der einen Seite die zagenden Lamentierer, auf der anderen Seite der Macher: Diese Logik ist zu einfach. Der Fall Holzplatzschule illustriert das Machtgefälle, das zwischen Verwaltung und Stadtrat herrscht. Dem ehrenamtlichen Rat sind die Hände gebunden. Die einzige andere Lösung, als zu fragen, zu bohren, nachzuhaken, wäre im Fall der Holzplatzschule die Ablehnung des Gesamtprojekts. Aber einem Dutzend ärgerlicher Schulleiter und hunderten unzufriedener Eltern Widerstand zu leisten, kann man wohl von keinem Stadtrat verlangen.

Was man aber durchaus verlangen kann, ist die notfalls eigenständige Suche nach den Alternativen, wenn die Verwaltung sie schon nicht anbietet. Denn auch ein Stadtrat trägt Verantwortung für das Gemeinwohl. Beschlüsse in dieser Stadt sollten jedenfalls nicht gefällt werden, weil sie „zwingend erforderlich“ sind, sondern weil sie in Kenntnis der verschiedenen Optionen die besten sind. Da darf das vom OB praktizierte TINA-Prinzip kein Ruhekissen, sondern müsste Herausforderung sein. Gänzlich mittellos sind die Stadtratsfraktionen ja nicht. Und zur Verantwortung des Stadtrats gehört auch, wie angekündigt weiter Licht in die politisch undurchsichtige Koch-Kellner-Beziehung zwischen Wiegand und Rauschenbach zu bringen, solange Zweifel bestehen, wer da Koch und wer Kellner ist.

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siggivonderheide@me.com
6 Jahre her

Danke. Chapeau!