Ballett: Inferno und Frühling

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Halle/StäZ – Dieser Freitag soll ein neuer Anfang werden, ein infernalischer sogar. An der Oper Halle hat die neue Produktion des Ballettensembles von Ralf Rossa Premiere. Diesmal ist es keine „normale“ in der Reihe der vielen neuen Produktionen, die seit Jahren in Halle verlässlich das Publikum begeistern. Es ist ein Doppelstück für einen Abend. „Inferno“ heißt der erste Teil, in dem ein neuer Choreograph die Rossa-Compagnie die Bühne betreten lässt. Im Ballett ist ja der Antritt eines neuen Choreographen immer ein großer Moment, für die Truppe aber auch für den Choreographen.[ds_preview] Halles neuer „Tanzschreiber“ – die wörtliche Übersetzung vermittelt die Doppelfunktion von Autor und Regisseur, die Choreographen im Ballett meist haben – ist Michal Sedláček, bekannt als langjähriger Erster Solist des Rossa-Balletts und als bisherige rechte Hand des Chefchoreographen Ralf Rossa.

Johan Plaitano und Pietro Chiappara in „Inferno“ (v.l.; Foto: Anna Kolata/TOO)

Man könnte also sagen: Sedláček ist ein hallesches Eigengewächs. Mit „Inferno“ gibt er eine Uraufführung, ein vom katalanischen Komponisten Enric Palomar im Auftrag der Bühnen Halle neu komponiertes Stück, das an Dantes Alighieris Göttliche Komödie angelehnt ist. Der zweite Teil der neuen Produktion ist wiederum von Ralf Rossa weiterentwickeltes Bekanntes: Bereits vor zwölf Jahren feierte er mit Igor Strawinskys seinerzeit bahnbrechendem Stück „Le Sacre du Printemps“ einen großen Erfolg in Halle. Für den neuen Ballettabend hat Rossa die damalige Produktion choreografisch weitergedreht.

Yuliya Gerbyna und Enno Kleinehanding in „LE Sacre du Printemps“ (Foto: Anna Kolata/TOO)

Die Zuschauer können also bei aller gespannter Erwartung ein wenig wissen, worauf sie sich einlassen: Auf abstraktes und weniger auf erzählendes Ballett. Auf künstlerischen Expressionismus. Auf Herausforderung. Im Ankündigungstext der Bühnen Halle heißt es dazu, der Abend sei „vielleicht nicht in jedem Fall für Familien mit jüngeren Kindern gedacht. Die Musik von Strawinsky und Palomar braucht eine gewisse Hörerfahrung.“

Die Hörerfahrung ist dabei sicher das eine. Das andere mögen die Thematiken selbst sein: Dantes Inferno und die Ballettekstase von „Le Sacre du Printemps“, das Rossa zwar weniger als blutiges Opferritual ausgestaltet, dafür aber umso mehr als Frühlingserwachen von Lust und Sexualität. Heutzutage ist das freilich nicht mehr so skandalträchtig wie zur Uraufführung des Stücks 1913, als es in Paris Tumulte gab. Aber wer weiß: Auch in Halle haben jüngste Aufführungen, die mit Konventionen brachen, neben Begeisterung auch viel Kritik geerntet.

Michal Sedláček (Foto: Konrad Kästner/TOO)

Michal Sedláček weiß bei seinem Choreographen-Debüt natürlich darum, und verzichtet bewusst darauf, das „Inferno“ mit noch mehr Bedeutung aufzuladen. Es gibt womöglich auch so kaum einen schwierigeren Stoff als Dantes Jahrtausendwerk, das, wie Sedláček  findet, heute kaum noch lesbar ist. Also versucht er als Choreograph auch gar keine Annäherung an Dante, sondern wählt für seine Auseinandersetzung mit der Hölle einen Topos aus der Psychologie. „Ich bin Tscheche. Bei uns sagt man: Es gibt ein 13. Zimmer in jedem von uns.“ Ein Zimmer also jenseits der offiziellen Räume des Seelen-Hotels. „Das 13. Zimmer ist wie eine Art Fluch. Jeder schleppt doch etwas mit sich herum, das er in diesem 13. Zimmer ablegt. Mancher hat etwas verloren, mancher will etwas verdrängen, mancher kämpft stets mit sich selbst.“ Das ist dann wohl die Seelenhölle in uns. „Sie werden also auf der Bühne keine Hölle im eigentlichen Sinne sehen, sondern Menschen, die mit sich selbst kämpfen und mit dem Schönen. Das sind für mich die Frauen.“

Viel mehr will Sedláček dazu auch nicht sagen. Das Publikum soll selbst sehen. „Uns ist wichtig, dass wir fürs Publikum Stücke machen, in denen es selbst etwas findet“, sagt er. „Und wenn nicht, dann soll es einen schönen Abend haben.“ Sedláček hat dafür den Vorteil des Balletts: Die Tanz-Ästhetik kann auch abstrakteste Stoffe anschaulich, ja sinnlich machen. Die neu komponierte Musik von Enric Palomar jedenfalls sei dazu die passende. Auch, dass der Abend von der Staatskapelle unter der Leitung von Michael Wendeberg begleitet wird, ist für Sedláček eine „große Freude“.

Sedláček, der auch als Choreograph weiter der Erste Solotänzer der Rossa-Compagnie ist, wird selbst nicht mittanzen. Er hielte das für einen Interessenkonflikt. „Entweder man steht oben auf der Bühne, oder man macht die Choreographie.“ Denkt er schon leise an den Abschied von der Bühne? „Es wird noch Auftritte von mir als Tänzer geben. Aber ich bin jetzt 40, ich habe aufgehört zu rauchen, und meine Besuche beim Physiotherapeuten werden auch immer häufiger. Trotzdem bin ich glücklich und auch ein Narzist. Die Bühne würde mir fehlen“, sagt Michal Sedláček, „denn als Choreograph steht man nur bei der Premiere einmal kurz da oben.“

Inferno/ Le Sacre du Printemps
Ballett von Michal Sedláček und Ralf Rossa
Mit Musik von Enric Palomar und Igor Strawinsky

Premiere: 6. April 2018, 19.30 Uhr | Oper Halle
ca. 2x 40 Minuten, mit Pause, Restkarten noch erhältlich.

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