Was, wenn dieser Scheiß-Feminismus doch wichtig ist?

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StäZ-Kolumnistin Juliane Uhl, Foto: Knut Mueller

Ich hatte eine Erkenntnis. Das passiert gelegentlich, aber diese Erkenntnis war anders, denn sie wird mir seit Jahren vorgebetet und ich wollte sie nicht anerkennen. Ich wollte sie nicht sehen, weil sie für mich keine Rolle spielte. Und dann habe ich plötzlich festgestellt, es geht nicht um mich.

Aber worum geht es eigentlich?

In der letzten Woche lief eine weitere Folge Germany´s Next Top-Model. Da mich die BILD-Zeitung und irgendwer auf Facebook angetriggert haben, wollte ich mir die Folge ansehen. Am Nachmittag habe ich meiner achtjährigen Tochter gesagt, dass sie mit mir noch ein bisschen die Modelsendung schauen kann. Ich sah freudig einem Abend auf dem breiten Sessel mit meiner schmalen Tochter im Arm entgegen. Als wir zu Hause ankamen, nachdem wir ihr dringend benötigte Hosen gekauft hatten, setzte sie sich an den Tisch und machte Zettel mit den Nummern 1 bis 10. Als ich fragte, was das sein soll, erklärte sie mir, dass sie jetzt die neuen Klamotten vorführen werde und dass ich ihren Auftritt bewerten sollte. Und da war er – der Kloß im Hals, den mir Feministinnen seit Jahren einreden wollten. Es fühlte sich abgrundtief falsch an, das eigene Kind zu bewerten. Und dann sagte ich diesen Satz: „Kind, Topmodels sind kein Rollenmodell.“ Und sie sah mich an und sagte: „Häh?“

Ich erklärte ihr, dass Modeln kein guter Beruf sei. „Warum?“, fragte sie. „Na, weil die nichts essen und immer nur auf das Äußere achten“, antwortete ich. Und gleich dachte ich, dass ich damit den Models wahrscheinlich auch unrecht tue. Doch bei all dem Gerede wurde mir etwas bewusst: Auch wenn mich der moderne Feminismus nervt, ist er wichtig, weil ich durch feministische Betrachtungen sensibler für die Einflüsse werde, die auf meine Töchter wirken.

Ich spreche der Jugend zwar nicht das Urteilsvermögen, aber einen gewissen Grad an Lebenserfahrung ab.

Fangen wir bei mir an: Warum nervt mich das ständige Rumreiten auf Rollenbildern, Vormachtstellungen, Quoten und geschlechtsneutraler Sprache? Es mag daran liegen, dass die, die von Gleichberechtigung sprechen, eben auch ausgrenzen und manchmal den Anschein erwecken, dass nur sie die wirklich Guten sind. Es liegt auch daran, dass es viele sehr junge Frauen sind, die den Feminismus fast schon hysterisch verlangen. Ich spreche der Jugend nicht das Urteilsvermögen, aber doch einen gewissen Grad an Lebenserfahrung ab. Und es liegt wohl auch daran, dass ich selbst nie das Gefühl hatte, das ich ungerecht behandelt werde, weil ich eine Frau bin. Schon als Kind trug ich sehr kurze Haare, tat ich, was ich wollte. Und erst vor wenigen Tagen attestierte mir meine kleinere Tochter, dass ich träume wie ein Mann. Was immer sie damit meinte, ich fand es zutreffend. Niemand sprach in meiner Kindheit mit mir darüber, dass es schwer sein kann für Frauen, sich selbst zu verwirklichen. Meine Großmutter,  meine Mutter, meine Tante – sie waren alle berufstätig. Und neben einem Vollzeitjob kümmerten sie sich um die Kindererziehung und schmissen den Haushalt, manchmal sogar mit einer kleinen Landwirtschaft.

Das waren meine Vorbilder und ich brauchte keinen Feminismus, der mich davor bewahrte, mich zu einem Objekt entwickeln zu wollen. Aber damals kannte kein Mensch Heidi Klum, es gab kaum Privatfernsehen, keine Smartphones, kein Internet. Meine Frauenbilder hatte ich aus der Realität. Das ist heute anders, denn die Vorbilder unserer Kinder sind oft virtuell. Bestenfalls sind es Figuren wie Pippi Langstrumpf oder Bibi Blocksberg. Oder aber es sind dürre Mädchen auf unbedeutenden Laufstegen. Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht, doch in dem Moment, als meine Tochter sich wünschte, dass ich ihren Körper bewerte, wurde mir klar, dass sie anfällig für solche Frauenbilder sein kann. Und dann dachte ich an den Spruch, der seit Monaten am Audimax auf dem Universitätsplatz in Halle prangt: Werde, wer du sein willst! Nietzsche schrieb noch davon, dass man werden solle, wer man ist. Doch heute scheint die Orientierung am Außen der Weg zur Selbstfindung zu sein. Und wenn dem tatsächlich so ist, dann ist ein Feminismus, der mein Kind davor bewahrt, eine angepasste Puppe zu werden, doch tatsächlich zu etwas gut.

Heidi Klum hat in der Sendung die Modelanwärterinnen mit fast schon sadistischer Freude zum Weinen gebracht und am Ende mussten sie ziemlich nackt für ein Foto posieren. Doch das haben wir nicht mehr gesehen, denn ich bin mit meiner Tochter ins Bett gegangen. Ich habe sie in den Arm genommen und in ihr Haar geatmet. Sie schob mich dann von sich weg, weil sie in dieser engen Umarmung keine Luft bekam. Am nächsten Tag kaufte ich meine erste EMMA.

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siggivonderheide@me.com
6 Jahre her

Ein Literaturtipp: Simone de Bouvoir, Das andere Geschlecht. Die ersten Seiten genügen…