Schwerste Grippewelle seit Jahren fordert Todesopfer

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Halle/StäZ - Halles Krankenhäuser arbeiten dieser Tage an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, teilweise sogar darüber hinaus. Grund dafür ist die derzeitige Grippewelle. Sie hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, wie es das in der Saalestadt nach Einschätzungen leitender Mediziner so in der jüngsten Vergangenheit nicht gegeben hat. Und der Scheitelpunkt der Epidemie steht wohl erst noch bevor. Noch gehen die Zahlen aufwärts. Die Kliniken haben daher mehr oder weniger weitreichende Notfallpläne in Kraft gesetzt. Intensivstationen können wegen Vollbelegung teilweise keine neuen Patienten mehr aufnehmen, nicht dringende Operationen werden verschoben, Ärzte und Pflegepersonal, auch selbst von der Krankheitswelle betroffen, arbeiten am Limit.

Kliniken sehen Zusammenhang zwischen Grippe-Welle und Todesfällen

Das Elisabeth-Krankenhaus in Halle arbeitet wegen der Grippe-Welle, wie alle anderen Kliniken der Saalestadt, an der Kapazitätsgrenze. (Foto: Jan Möbius)

Inzwischen hat die in diesem Jahr besonders heftig verlaufende Version der Influenza nach vorläufigen Angaben wohl auch erste Todesopfer in Halle gefordert, wie eine Umfrage der Städtischen Zeitung ergeben hat. Das Universitätsklinikum Halle teilte auf StäZ-Anfrage mit, der Todesfall eines Patienten am Klinikum stehe möglicherweise im Zusammenhang mit dem Virus. Auch am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara (EK) geht man davon aus, dass der Verlauf der Krankheit bei einigen Patienten tödlich war: „Es gab in unserem Haus Fälle, bei denen die Grippe zum Tod von Patienten geführt hat“, sagt Hendrik Liedtke, Ärztlicher Direktor am EK. Am Klinikum Bergmannstrost, ebenfalls stark von der Grippewelle betroffen, reagiert man zurückhaltend auf die Frage: Der genaue Nachweis der Todesursache sei in solchen Fällen schwierig und dauere daher auch oft, bis die Grippewelle wieder abgeflaut sei, sagt Joachim Zaage, stellvertretender Ärztlicher Direktor an der berufsgenossenschaftlichen Einrichtung. Für eine Bilanz sei es daher zu früh.

Zwei Typen von Influenza-Viren

Als „Influenza“ oder auch „echte Grippe“ wird eine Erkrankung bezeichnet, die durch das Influenza-Virus ausgelöst wird. Es gibt verschiedene Typen von Influenza-Viren. Am häufigsten und am gefährlichsten ist das Influenza-Virus Typ A. Es ist auf der ganzen Welt verbreitet und verändert sich ständig, was es schwierig macht, einer Infektion vorzubeugen. 90 Prozent der aktuell in Halle an Grippe Erkrankten haben es aber mit dem Typ B zu tun. Wichtig ist, die echte Grippe vom grippalen Infekt zu unterscheiden. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um eine Infektion mit dem Influenza-Virus, sondern um eine „einfache“ Erkältung.

Zur gezielten Behandlung der echten Grippe stehen gegen Viren wirkende, sogenannte antivirale  Stoffe zur Verfügung. Diese Medikamente sollten bereits innerhalb von 48 Stunden nach Krankheitsbeginn angewandt werden. Sie verhindern nur die Vermehrung der Viren und wirken daher am besten, wenn deren Ausbreitung im Körper noch nicht weit fortgeschritten ist.

Ansonsten werden vor allem die begleitenden Symptome der Influenza behandelt. Dabei handelt es sich häufig um Husten, teils heftige Kopf- und Gliederschmerzen sowie Fieber.  (jam)

Auch die Hausärzte haben übervolle Wartezimmer. Nach Auskunft von Holger Fischer, Sprecher des Hausärzteverbands Sachsen-Anhalt und in Quedlinburg praktizierender Allgemeinmediziner, sei die Spitze des Eisbergs im ganzen Land noch nicht erreicht.  Eine Einschätzung, die an Halles Kliniken geteilt wird. „Halle ist der Schwerpunkt der Grippewelle in Sachsen-Anhalt, und Sachsen-Anhalt ist der Schwerpunkt bundesweit“, sagt Joachim Zaage am Klinikum Bergmannstrost. Nach Angaben Hendrik Liedtkes vom EK habe allein der Rettungsdienst in Halle am Mittwoch 150 neue Verdachtsfälle auf Influenza gemeldet. Die Zahl der bei Hausärzten erfassten Grippe-Erkrankungen dürfte ähnlich hoch sein, so Liedtke. Im Elisabeth-Krankenhaus wurden am Donnerstag 55 Patienten, die an der „Influenza B“ (siehe „Zwei Typen von Influenza-Viren“) erkrankt sind, stationär behandelt. Hinzu kämen, so Liedtke, noch einmal 20 Patienten mit Grippe-Verdacht. Zum Vergleich: Im gesamten Februar wurden im Elisabeth-Krankenhaus insgesamt 59 Fälle registriert. „Nach Zahlen lässt sich derzeit noch keine Trendwende erkennen“, sagt Liedtke. Am Bergmannstrost sind derzeit 29 Grippepatienten in stationärer Behandlung, am Universitätsklinikum 31.

Stadt gibt am Donnerstag keine Auskunft über aktuelle Zahlen

Das Bild vom Eisberg ist zudem treffend, denn viele Grippeerkrankungen werden statistisch gar nicht erfasst. Ein genauer Überblick fehlt. Die Stadt, deren Gesundheitsamt täglich die Zahlen von den Kliniken und Praxen bekommt, hat auf eine Anfrage der Städtischen Zeitung nicht reagiert. Der Mitteldeutschen Zeitung (Donnerstagausgabe) teilte Stadtsprecher Drago Bock am Mittwoch mit, in dieser halben Woche [Stand Mittwoch] seien bislang 403 Fälle gemeldet worden. In der Vorwoche seien es insgesamt 814 Fälle gewesen.

Krankheitsverlauf dieses Jahr besonders langwierig

Die Gründe für die besonders schweren Erkrankungen in diesem Jahr sind vielfältig. „Influenzaviren sind anpassungsfähig“, sagt Allgemeinmediziner Holger Fischer. Und in diesem Jahr gebe es eine Virenausprägung, die zu besonders schweren Krankheitsverläufen führe. „Die Leute sind bis zu 14 Tage lang krankgeschrieben und danach oft immer noch nicht richtig wieder gesund“, so Fischer. Oft führe die Grippe auch zu Lungenentzündungen und anderen schweren Atemwegserkrankungen. Grippepatienten kommen inzwischen, ebenfalls anders als in Vorjahren, aus allen Altersgruppen. Schwangere bildeten aber eine besondere Risikogruppe, sagt EK-Chefarzt Liedtke. Denn ihr Immunsystem müsse für zwei arbeiten. Und es seien immer auch zwei Menschen in Gefahr. Deshalb lasse man Patientinnen mit entsprechenden Symptomen auch nicht mehr nach Hause. „Das geht bei anderen Patienten durchaus, wenn es der Zustand zulässt.“ Denn je nach Krankheitsverlauf könne die Influenza auch in den heimischen vier Wänden auskuriert werden.

Dreifachimpfung bietet keinen Vollschutz

Weil die Krankheit aber in diesem Jahr besonders oft schwer verläuft, kommen viele Patienten an die Kliniken. Am Bergmannstrost, wie auch an anderen Kliniken, müssen derzeit etliche Grippepatienten künstlich beatmet werden. Zum offenbar sehr aggressiven Virus komme hinzu, dass eine der Grippeschutzimpfungen, die ebenfalls jedes Jahr an die neuen Virenvarianten angepasst werden, wohl in diesem Jahr nicht den vollen Schutz gebracht habe, schätzt Joachim Zaage vom Bergmannstrost vorläufig ein. Die sogenannte Dreifachimpfung weise nach ersten Einschätzungen wohl Schutzlücken auf, wohingegen die weniger verbreitete Vierfachimpfung bisher als sehr wirksam eingeschätzt werde. Zaage wies gegenüber der Städtischen Zeitung darauf hin, dass einige gesetzliche Krankenkassen aufgrund langfristiger Verträge mit Pharmaherstellern ihren Kunden nur den Dreifachimpfschutz angeboten hätten.

Für die Krankenhäuser bedeutet die Grippewelle Notbetrieb. „An einen normalen Krankenhausbetrieb ist zur Zeit bei uns nicht zu denken“, sagt Hendrik Liedtke am Elisabethkrankenhaus. Die Bettenkapazitäten seien an der Grenze, das Personal von der Grippe ebenfalls stark betroffen. „Wir hatten zwischenzeitlich richtig Probleme, die Notarztfahrzeuge und die Rettungshubschrauber zu besetzen“, sagte Anästhesist Liedtke, der auch im halleschen Rettungsdienst eine Koryphäe ist. Inzwischen würden selbst Operationen verschoben. „Seit etwa einer Woche arbeiten wir in diesem Bereich keine geplanten Eingriffe mehr ab“, so Liedtke.

Uni-Klinikum und Bergmannstrost in Halle melden Notaufnahmen ab

Universitätsklinikum Halle (Foto: xkn/Archiv)

Das gleiche Bild am Uniklinikum und am Bergmannstrost: nahezu Vollbelegung und Ärzte- und Pflegerausfall. An beiden Kliniken waren oder sind noch die Notfallambulanzen bei der Rettungsleitstelle abgemeldet. Das bedeutet, dass Notärzte nur noch die akutesten Notfälle in diese Kliniken bringen können. „Unsere Notaufnahme für schwere Fälle arbeitet nach wie vor“, sagt dazu Bergmannstrost-Sprecher Christian Malordy. „Leichtere Fälle verweisen wir aber zum Beispiel an den Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung. Und wir appellieren an die Vernunft der Patienten: Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, sollte man zur Zeit keine Notfallambulanz aufsuchen.“ Einige Stationen am Bergmannstrost hätten einen Krankenstand von bis zu 30 Prozent, so Malordy. Um weitere Ansteckungen zu verhindern, teile man am Bergmannstrost auf der Grippe-Isolierstation auch an Besucher Kittel, Handschuhe und Mundschutz aus, so Joachim Zaage. Von Stations-Quarantänen mit Blick auf Besucher, wie sie teilweise an anderen Kliniken bereits praktiziert würden, nehme man aber noch Abstand.

Pflege-Azubis müssen vom Unterricht auf Station

Ähnliches Bild am Diakonie-Krankenhaus in der Lafontainestraße. Auch hier ist die Kapazitätsgrenze wegen der Grippewelle nahezu erreicht. Zwischenzeitlich wurde auch hier die Intensivstation mit Beatmungsplätzen für Neuaufnahmen abgemeldet. Die Station stand für Notfälle nicht mehr zur Verfügung. „Derzeit gibt es dort aber wieder Kapazitäten“, sagte Sprecher Udo Israel gegenüber der StäZ. Derzeit seien im Diakoniewerk vier Grippe-Patienten in Behandlung. „Da wir ein kleines Haus mit besonderer Ausrichtung sind, ist das Aufkommen an Grippefällen nicht sehr hoch“, so Israel. Anders sieht das bei den Mitarbeitern aus. Elf Prozent der Angestellten seien derzeit krank gemeldet. „Aus Datenschutzgründen wird aber nicht erfasst, welche Krankheit jeweils vorliegt“, sagte Israel.

Die Ausfälle versuche man im Diakoniewerk durch verschiedene Maßnahmen zu kompensieren. Im Pflegebereich würden Mitarbeiter fachübergreifend eingesetzt, das heißt, ein Pfleger von der chirurgischen Station hat beispielsweise Dienst auf einer internistischen Station. „Zeitweise wurden auch Auszubildende aus dem Theorieunterricht genommen und auf Station eingesetzt“, so Israel. Da der Aufwand pro Patient bei Grippe wesentlich höher ist, komme es dennoch zu Mehrarbeitsleistung bei allen Pflegekräften. Jedoch: „Der medizinische Betrieb läuft uneingeschränkt.“

Anmerkung: In einer früheren Version des Beitrag hatten wir geschrieben, das Bergmannstrost verweise Patienten an den „Notdienst der Krankenkassen“. Richtig ist: „Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung“. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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