Karen Leonhardt: „Es ist inspirierend, Vorurteile über Bord zu werfen.“

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Lauscht der aufmerksame Lauscher beim Wochenmarkt auf dem halleschen Markt in der Gemüsestandanstehschlange Gesprächen, ist oft ein gewisser Negativismus herauszuhören. Das scheint schon immer so gewesen zu sein, nicht erst, seit es Gemüsestandanstehschlangen gibt. Diesem postulierten Gefühl, dass „… die Welt schlecht ist und sich niemand um die wirklich wichtigen Dinge kümmert“, kann begegnet werden, bevor Kopfschütteln zu Kopfschmerz führt. Zum Beispiel mit Engagement. Auch in Halle. Die HALLIANZ für Vielfalt unterstützt nun auch mit Geld und nicht nur warmen Worten demokratisches Handeln, Vernetzung, Bildung und Ideen. Wie genau, erzählte die Koordinatorin des Engagemtfonds der HALLIANZ für Vielfalt, Karen Leonhardt, StäZ-Mitarbeiter Volly Tanner in die Tastatur:[ds_preview]

Karen Leonhardt ist Koordinatorin des Engagementfonds der HALLIANZ für Vielfalt. Foto: Marcus-Andreas Mohr

Guten Tag, Frau Karen Leonhardt. Sie sind die Ansprechperson, wenn sich hiesige Menschen für den HALLIANZ Engagementfonds interessieren. Es geht also um Kohle; um Förderung, also finanzielle Förderung.
Der HALLIANZ Engagementfonds ist ein lokaler Fördertopf für ehrenamtliche Projekte in Halle. Alle, die sich für mehr Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz einsetzen, können Geld für ihr Vorhaben bei uns beantragen. Insgesamt können wir aus dem Engagementfonds in diesem Jahr 17 Projekte fördern.

Karen Leonhardt beim Hallianz-Spendenlauf 2017 auf dem Hansering. Foto: Marcus-Andreas Mohr

Welches Engagement soll denn pekunär unterfüttert werden? Und wo kommt das Geld eigentlich her?
Wenn wir von Demokratie sprechen, ist klar, dass diese nicht nur von „oben“, also von staatlicher Seite, organisiert werden kann. Demokratie lebt vom Mitmachen und von der breiten Beteiligung und Diskussion. Der HALLIANZ Engagementfonds fördert deshalb Projekte zur Ausgestaltung einer vielfältigen lokalen Kultur des Zusammenlebens, der praktischen Begegnung und Verantwortungsübernahme. Außerdem wollen wir Projekte zum offenen Dialog und der Auseinandersetzung mit Diskriminierungen und Vorurteilen fördern. Ein wichtiges Ziel ist es, Kontakte zwischen Menschen aus unterschiedlichen sozialen, kulturellen oder religiösen Milieus zu unterstützen und gegenseitiges Verständnis und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Das Geld für den Engagementfonds kommt zum großen Teil aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“. Außerdem unterstützen uns aber auch zahlreiche Spender, Unternehmen und Einzelpersonen. Jedes Jahr organisieren wir zum Beispiel den HALLIANZ Spendenlauf (in diesem Jahr am 21.9.2018 auf dem Hansering), um Spenden für den Engagementfonds zu sammeln. Alle Spendengelder fließen zu 100% in Förderprojekte.

Der Fonds wird von der HALLIANZ vergeben, einem Zusammenschluss von gesellschaftlich aktiven Kräften unserer Stadt. Wer ist denn mit im Boot? Die Freiwilligen-Agentur, deren stellvertetende Geschäftsführerin sie sind, ist da natürlich dabei. Wer aber noch?
Wir arbeiten eng mit dem Friedenskreis Halle und der Stadt Halle (Saale) zusammen, um möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Themen zu erreichen und sie in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zu unterstützen. Das zentrale Beratungs- und Entscheidungsgremium der HALLIANZ für Vielfalt ist der Begleitausschuss – oder kurz BGA. Die Mitglieder des BGA sind ehrenamtlich aktiv und sehr gut vernetzt, so dass sie die Koordinator*innen der HALLIANZ für Vielfalt beraten und unterstützen. Mit dabei sind zum Beispiel Behördenvertreter, z.B. des Jugendamtes oder der Polizeidirektion Halle, zahlreiche zivilgesellschaftliche Netzwerkorganisationen, wie die Bürgerstiftung Halle, Bündnis „Halle gegen Rechts“, der Stadtjugendring Halle, der Kinder- und Jugendrat oder der Verband der Migrantenorganisationen. Außerdem haben alle Stadtratsfraktionen einen Sitz im Begelitausschuss. Ich persönlich unterstütze mit meinem städtischen Kollegen Mirko Petrick die Arbeit des BGA. Wir bereiten Entscheidungen vor, koordinieren die Vernetzung mit anderen Partnerschaften für Demokratie oder organisieren die Öffentlichkeitsarbeit und den HALLIANZ Engagementfonds sowie Jugendfonds. Bei letzterem handelt es sich um einen Fördertopf von Jugendlichen für Jugendliche, die sich für Demokratie, Vielfalt und Toleranz stark machen.

Uns ist klar, dass Vorurteile auch etwas Normales sind. Jeder Mensch trägt sie mit sich herum.

Wie muss ich mir das Antragsprocedere vorstellen? Wer prüft die Ideen und die spätere Verwirklichung?
Ehrenamtliche Initiativen oder Vereine können jeweils zum 15. jeden Monats einen Projektantrag einreichen. Die Anträge und Kriterien findet man auf unserer Website www.hallianz-fuer-vielfalt.de. Anschließend trifft sich ein sechsköpfiger Förderbeirat und entscheidet bis zum jeweiligen Monatsende über die Förderungen. So erhalten die Projekte sehr kurzfristig eine Rückmeldung zur Förderung. Es werden Projekte in Halle gefördert, die in den Stadtteilen aktiv sind, die durch ehrenamtliches Engagement getragen werden und vor Ort Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit verbessern. Wir haben in der Vergangenheit zum Beispiel Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Engagementaktionen im Quartier, Begegnungsfeste, das Zeitpatenprojekt, Workshops, Ausstellungen oder Seminare für Ehrenamtliche gefördert. Wichtig ist uns, dass die Antragsteller sich mit unseren Themen auseinandersetzen und eigene, praktische Ideen zur Weiterentwicklung von Demokratie und Vielfalt entwickeln. Natürlich ist es dann immer ein besonderes Highlight, wenn wir die geförderten Projekte besuchen können und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen können und erleben, welche Wirkung mit der Förderung erzielt werden kann.

Nun geschieht es leider oft, dass gerade Strukturen, die auch die Personalkräfte dafür haben, sich mit Förderungen auseinander zu setzen, vermehrt an die Töpfe kommen. Der kleine, auf dem Zahnfleisch kriechende Sportverein, der schon am Rande der Leistungsfähigkeit arbeitet, sich zwischen Bürokratie und Vereinsleben zerreibt, hat dafür kaum Zeit. Wie kommen Sie an diese Player heran? Wie offen ist der Engagementfonds?
Wir machen den HALLIANZ Engagementfonds auf vielfältige Art bekannt: Wir gehen in die Stadtteile, informieren auf unserer Webseite und Facebook-Seite und geben die Infos über alle Netzwerkvertreter der HALLIANZ für Vielfalt weiter. Das Besondere ist zudem, dass die Förderung sehr niedrigschwellig ist. Zum Beispiel können bei uns auch Initiativen ohne Rechtsform eine Projektidee einreichen. Man muss also kein Verein sein. Auf die gute Idee kommt es an. Gern beraten wir auch Einzelpersonen und Organisationen zu ihrer konkreten Idee und ob sie zum Engagementfonds passt. Außerdem sind wir in Halle sehr vernetzt und sprechen Initiativen und Vereine auch direkt an, wenn wir denken, dass ihre Aktivitäten zur HALLIANZ für Vielfalt passen könnten.

Ich las gerade auf der HALLIANZ-Seite: „Der HALLIANZ Engagementfonds fördert deshalb Projekte zur Ausgestaltung einer vielfältigen lokalen Kultur des Zusammenlebens, der praktischen Begegnung und Verantwortungsübernahme sowie der demokratischen Beteiligung, des offenen Dialogs und der Auseinandersetzung mit Diskriminierungen & Vorurteilen.“ Nun ist ja niemand, nicht einmal der Mensch, der denkt, dass er es besser macht, vor Vorurteilen gefeit. Ausgrenzung findet statt, permanent; nach unten und nach oben, nach links, rechts, sexuell bestimmt, aus Glauben heraus oder ideologisch. Immer redet mensch vom „Wir“ und „die da …“, wobei die Anderen meist als die Schlechteren, Böseren oder neidbehaftet gesehen werden. Wie ist dieses Dilemma aufzulösen? Wie offen kann Dialog sein? Und was sind die Möglichkeiten, offener in Dialoge zu gehen?
Wir sind als HALLIANZ für Vielfalt der Ansicht, dass eine Gesellschaft oder Gemeinschaft sich dann gut weiterentwickelt, wenn alle Potentiale genutzt werden. Durch dauerhafte Ausgrenzung und Vorurteile werden aber Menschen ausgeschlossen und wichtige Möglichkeiten zur Weiterentwicklung vergeben. Trotzdem ist uns klar, dass Vorurteile auch etwas Normales sind, die jeder Mensch mit sich herum trägt. Vielleicht haben Sie aber auch schon mal erlebt, wie inspirierend es sein kann, ein Vorurteil über Bord zu werfen. Oder wie schnell aus Vorurteilen Hass und Gewalt werden kann. Wir denken deshalb, dass es wichtig ist, sich mit Vorurteilen auseinanderzusetzen. Das geht am besten durch Bildung und persönliche Begegnung. Dabei geht es nicht darum, Probleme unter „den Teppich zu kehren“, sondern zu erkennen, dass jeder in erster Linie ein Mensch ist, der ein Bedürfnis nach Wertschätzung und Beteiligung hat und ein Teil unserer Gesellschaft werden kann.

Die Projekte sollen „stadtteilbezogen“ sein. Was bedeutet das genau?
Uns geht es darum, dass sich konkret vor Ort – im Stadtteil, im Quartier, im Verein und der eigenen Straße – etwas verändert. Wenn eine Bürgerinitiative sich zum Beispiel für mehr Freundlichkeit und Offenheit im Quartier stark machen möchte und dazu ein Stadtteilfest organisieren will, ist sie beim HALLIANZ Engagementfonds an der richtigen Stelle. Oder ein Sportverein will neue Zielgruppen ansprechen und zum Mitmachen gewinnen und braucht dazu finanzielle Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit. Denkbar sind auch Workshops oder Diskussionsveranstaltungen zum Zusammenleben im Quartier. Oder Freiwilligenprojekte, bei denen alle Anwohner einbezogen werden. Oder ein Verein will sich mit Diskriminierung und Vorurteilen in den eigenen Reihen auseinandersetzen und braucht für eine Vereinssitzung einen Moderator oder Referenten zum Thema.

Wenn bei Ihnen steht, dass die eingerechten Förderanträge eine maximale Laufzeit bis Ende 2018 haben sollen, bedeutet das dann, dass Ende 2018 auch die Projekte enden sollen?
Ja, die Projekte können maximal vom 1.2.2018 – 31.12.2018 laufen. Aber auch Projekte, die bereits schon einmal gefördert wurden, können sich wieder um eine Förderung bewerben.

Wieviel Geld ist denn eigentlich im Topf – und wieviel Geld kann pro Projekt ausgeschüttet werden?
Insgesamt haben wir pro Jahr 25.000 Euro im Engagementfonds und 8.000 Euro im Jugendfonds. Pro Engagementprojekt können bis zu 1.500 Euro beantragt werden.

Sie sind auch im Präventionsrat der Stadt Halle zugange. Was macht denn dieser Präventionsrat eigentlich? Und was machen Sie da konkret?
Der Präventionsrat wird von der Stadt Halle organisiert und stellt ähnlich wie die HALLIANZ für Vielfalt ein Netzwerk von Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft dar. Im Präventionsrat werden aber allgemeine, gesellschaftliche Entwicklungen in Halle angeschaut und diskutiert, zu allen gesellschaftlichen Themen, z.B. auch Gewaltprävention, Gesundheitsprävention etc. – Der Präventionsrat hat gegenüber dem Stadtrat einen beratenden Charakter, kann aber selbst keine Entscheidungen treffen und hat bisher keine finanziellen Mittel zur Verfügung und ist eher als strategisches Gremium zu verstehen.

Ich las auf Ihrem XING-Profil, dass eine Ihrer Interessen „schwedisch“ ist. Schwedisch? Wie kommt das denn? Ich kenne Freunde, die besonders dem Finnischen frönen, was aber mit dem dortigen Lakritzschnaps zu tun hat – aber schwedisch? Erzählen Sie doch bitte mal.
Schweden ist eines meiner Lieblingsländer! Ich liebe die dortige Mentalität, aber vor allem auch die Ruhe, die Natur, und dass man so viele Outdoor-Sportarten machen kann: Laufen, Wandern, Orientierungslauf.

Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch einen Beitrag leisten kann und will, egal in welcher Form.

Zurück zur HALLIANZ (wie ich finde, immer noch ein fantastisches Wortspiel): Seit wann sind Sie denn da dabei? Im Netz gibt es ein Foto, da haben Sie ein 2014er-Marathon-Shirt an, was ja impliziert, dass Sie bei der HALLIANZ schon eine Weile mitmachen …
Die HALLIANZ für Vielfalt wurde 2007 gestartet, und ist somit über zehn Jahre alt. Ich selbst bin von Anfang an dabei – zunächst war ich allein die Leiterin der externen Koordinierungsstelle, seit 2011 teile ich mir diese Aufgabe mit dem Kinder- und Jugendbeauftragten der Stadt Halle, Mirko Petrick, und seit zwei Jahren haben wir die Koordinierungs- und Fachstelle nochmal durch Christof Starke vom Friedenskreis, Stefanie List von der Freiwilligen-Agentur und Ralph Placke und Adriane Niemeier von der Stadtverwaltung ergänzt. So können wir uns noch besser austauschen, mehr Ideen sammeln und Aufgaben verteilen.

Und wie kommen jetzt aktive Menschen zu Ihnen? Und zu den Förderunterlagen? Braucht es davor noch eine Beratung? Und gibt es Ausschlusskriterien? Der Verfügungsfonds Leipziger Westen zum Beispiel hatte sich den Zielen und Werten von „Tolerantes Sachsen“ unterworfen – und dadurch für einige, zum Beispiel NPD-nahe, Vereine den Fördertopf zugemacht. Gibt es da eine ganz konkrete Ausschlusskriteriensprachversion, die vollverständlich ist?
Zunächst können sich alle Einzelpersonen, Initiativen und Vereine bei uns um Fördermittel bewerben, die sich mit den Zielen der HALLIANZ für Vielfalt identifizieren können. Die Ziele und die Antragsunterlagen sind auf unserer Website www.hallianz-fuer-vielfalt.de zu finden. Unter 0345 470 13 55 oder hallianz@freiwilligen-agentur.de beraten wir gern Interessenten oder kommen auch in Quartiersrunden und stellen den Engagementfonds vor. Es gibt aber auch Ausschlusskriterien: nicht gefördert werden Projekte, die keinen gemeinnützigen Charakter haben, gegen geltendes Recht verstoßen, verfassungsfeindliche Inhalte haben oder außerhalb des Förderzeitraums liegen.

Karen Leonhardt. Foto: Marcus-Andreas Mohr

Zu einem weltoffenen, menschenfreundlichen Grundverständnis gehört zuvorderst, dem Dogma der Ungleichheit etwas entgegen zu setzen. Am Einfachsten mit der Philosophie des „Jeder Mensch ist gleich geboren und hat die selben Rechte, Menschenrechte eben – aber auch Pflichten.“ Ist dieses Grundverständnis überhaupt konsequent durchzuleben? Ist der Spagat zwischen Vernunft und Emotion zu schaffen?
Sicher ist es nicht einfach, diese Zielstellung zu erreichen. Obwohl alle Menschen gleich geboren werden, sind eben auch die persönlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eines jeden unterschiedlich. Wir treten jedem Einzelnen offen und positiv gegenüber, weil wir davon ausgehen, dass jeder Mensch einen Beitrag leisten kann und will, egal in welcher Form. Und sich auch weiterentwickeln kann, egal welche Ausgangsbedingungen der Einzelne hat. Grundlegende Werte sind für uns dabei gegenseitige Wertschätzung, Empathie und Respekt, aber auch die Menschenrechte, unser Grundgesetz und unser demokratisches Rechtssystem. Und daraus ergeben sich eben auch Rechte und Pflichten für jeden Einzelnen. Aber auch Chancen.

Danke, liebe Karen Leonhardt – auf dass Halle – und ganz besonders die Menschen, die Halle sind, menschlich, human im besten Wortsinne bleiben.

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Dirk Dirot
6 Jahre her

So lernt man Halle am besten kennen, durch die Menschen die die Stadt mit Leben füllen, wieder ein sehr schönes Interview Volly. Übrigens ein schönes Beispiel dafür, das Geld und Erfolg nix miteinander zu tun haben. Wenn durch Handeln etwas erfolgt, kann man von Erfolg sprechen. Für manche ist viel Geld Erfolg.…absurd.