Tag der offenen Monitore

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Kurz vor 14 Uhr sieht es nach einem eher schleppenden Start für Halles Neujahrsempfang aus. Hier und da hört man zwar das bekannte und vielen vertraute Knarren der Holzdielen im Festsaal des Stadthauses. Doch der historische Bodenbelag, auf dem sich sonst Rat und Verwaltung Wortgefechte liefern oder aber Halles Beamte Beförderungen feiern, wird wenig belastet. Digitalisierung – lockt das  von der Stadt für ihren Tag der offenen Tür gewählte Thema etwa niemanden? Wollen die Hallenser nicht wissen, wie digital ihre Heimat ist und welche Möglichkeiten das digitale Leben bietet oder künftig bieten soll? Doch! Plötzlich, als hätte auf dem Abstellgleis vor dem Rathaus eine Straßenbahn gehalten, die ihre Fahrgäste förmlich ausspuckt, füllt sich innerhalb weniger Minuten der Saal. Das Knarren der Dielen ist durch den gesamten alten Stadtpalast zu hören und  verstummt erst wieder schlagartig, als Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) zum Mikrofon greift.[ds_preview]

Oberbürgermester Bernd Wiegand (r.) begrüßt die Gäste des Tages der offenen Tür am 7. Januar 2018. Fotos: Jan Möbius.

Es ist längst kein klassischer Neujahrsempfang mehr, zu dem Wiegand einlädt. Also mit Sekt und Häppchen für geladene Gäste aus Politik und Wirtschaft, wie bis zum Amtsantritt des OB im Dezember 2012 üblich war. Gleich im Januar 2013 hatte Wiegand mit dieser Tradition gebrochen und stattdessen einen Tag der offenen Tür eingeführt, praktisch einen Neujahrsempfang für alle Hallenser – mit jeweils wechselnden Themenschwerpunkten. Digitalisierung , das ist das Wort des Tages an diesem Januarsonntag am ersten Wochenende des Jahres 2018. Über 2000 Menschen wird die Stadt am Ende zählen.

Die Verwaltungsspitze der Stadt bekommt von der Halloren-Salzwirkerschaft traditionell Brot und Salz überreicht.

Fast sportlich nimmt der OB Anlauf und geht neben den Stuhlreihen seiner Gäste auf und ab, während er sie mit einleitenden und begrüßenden Worten im Stadthaus willkommen heißt. Immerhin kann er dabei auf einen vollen Saal blicken, wobei er das Rednerpult an diesem frühen Nachmittag betont meidet. Wer seinen Worten folgt, erfährt aber erst einmal wenig über das Thema Digitalisierung in Halle und das, was Computer und Server heute in der Saalestadt möglich machen. Wiegand, auffällig erholt und betont zuversichtlich wirkend, nutzt stattdessen die Gelegenheit für Rück- und Ausblick.

Unbemerkt wie er kam, verschwindet Wiegand dann auch schnell zum nächsten Termin an diesem Tag – ganz ohne Dielenknarren. Oder hat der Sience Slam für plötzliche Ablenkung bei den Besuchern gesorgt? Felix Büsching, Simon Hauser und Samir Salameh legen ihre Auffassungen zur Digitalisierung unter anderem in der Spielewelt dar – der Versuch einer wortstarken Erklärung des Wie, Was und Warum. Überzeugen können sie aber damit aber nicht wirklich. Die Stühle im Festsaal leeren sich schnell einer nach dem anderen, das Stadthaus wird zu einer Art Nebenschauplatz. Immerhin: Der Sekt, rot und weiß in den Farben der Stadt, fließt zu diesem Zeitpunkt und stiehlt der Ideenwerkstatt „Digitale Stadt“ schon irgendwie die Show.

Oberbürgermeister Bernd Wiegand empfängt Hallenser in seinem Büro.

Raus aus dem Stadthaus also, über den Wintermarkt, rein in den Ratshof. Bildschirme, Computer  – hier sieht es tatsächlich schon eher nach Digitalisierung aus. Und wirklich: Wer sucht, der findet auch. Zwar ist der Bürgerservice im Erdgeschoss eher menschenleer, man kennt das Großraumbüro, in dem das digitale Leben seit der Einführung der elektronischen Terminvergabe schon vor Jahren begonnen hat, so sonst kaum, vielleicht wird es auch bewusst von den Hallensern gemieden. In den Etagen darüber wird es dagegen schon viel enger. Menschen schieben sich durch die Flure und bleiben vor Monitoren und Videowänden stehen, bestaunen Roboter, versuchen, in das Arbeitszimmer von OB Wiegand zu gelangen. Dort angekommen sehen sie, was sie im Büro eines Digitalenthusiasten erwarten können: nichts. Kein Papier, kein Stift – analoge Arbeitsmaterialien sucht man in Wiegands Zimmer vergeblich. Nahezu steril wirkt der Schreibtisch des OB.

Netzmap heißt das neue Digitalangebot der Havag, das Mitte des jahres verfügbar sein soll.

Wer sich durch die vielen Angebote im Ratshof an diesem Tag wühlt, der hat die Qual der Wahl. Fast schon zu viel, so scheint es einigen Besuchern, wird geboten. „Man kann sich ja nur schwer auf wichtige Sachen konzentrieren“, sagt Jens Weigt. Dennoch findet der 35-Jährige gut, dass nahezu alle Unternehmen, die mit der Stadt zu tun haben, Präsenz zeigen. Vor allem aber von der Präsentation der Stadtwerke ist er am späten Nachmittag begeistert. „Obwohl wir erst einmal gründlich grübeln mussten, wie wir das Thema Digitalisierung umsetzen können. Bei uns läuft ja schon sehr viel digital, aber vor allem intern, wovon die Kunden nicht viel mitbekommen“, sagt Stadtwerkesprecherin Antje Prochnow. Doch die Stadtwerke haben es geschafft, einmal mehr  sogar mit einer Neuigkeit zu verblüffen und so zum Publikumsmagnet des Tages zu werden.

„Netzmap“ heißt das Geheimnis, an dem Peter Kolbert, Experte für Navigationsysteme der Halleschen Verkehrs AG (Havag), und sein Team tüfteln. Das soll, läuft alles nach Plan, Mitte dieses Jahres an den Start gehen. Digital kann man dann anhand der bekannten Liniennetzpläne, wie sie auch in den Haltestellen hängen, am Computer oder auf dem Handy sehen, wo sich genau welche Bahn oder welcher Bus befindet und sogar die Fahrten in Echtzeit verfolgen. Wer also in Zukunft wissen will, ob der Sprint zur Haltestelle noch etwas bringt oder doch noch ein Kaffee  daheim drin ist, der soll das künftig mit „Netzmap“ schnell herausfinden  können.

Und noch mehr: „Das Ganze ist anhand der Karten, so alles klappt, ziemlich stark erweiterbar. Taxistände und alle wichtigen Dinge, die lokal wichtig sind, diese Anzeigen können wir uns gut vorstellen“, sagt Peter Kolbert – dessen Name inzwischen für viele digitale Errungenschaften des halleschen Verkehrsunternehmens steht. So hat Kolbert etwa an der Entwicklung der großen 50 bis 60 Anzeigetafeln an den Haltestellen mitgewirkt, die fast auf die Minute genau die Ankunft von Straßenbahnen und Bussen anzeigen. Wünschen würde sich Kolbert natürlich eine eigene App für das neue System. Zunächst ist aber erst einmal eine Integration in die Fahrkarten- und Auskunfts-App „Easy.GO“ geplant.

Das offenkundige Interesse an diesem Sonntagnachmittag in Halles  Rathaus jedenfalls spricht schon jetzt für einen Erfolg des neuen Systems. Wäre da nicht das langsame Internet. W‑LAN-Probleme machen dem Stadtwerketeam bei der Präsentation von „Netmap“ zu schaffen. Offenbar ein interner Kommunikationsfehler, analog versteht sich. Denn auf StäZ-Nachfrage sagte Rathaus-Sprecher Drago Bock: „W‑LAN gibt es inzwischen im Rathaus.“  Auch das ein digitaler Fortschritt.

Virtueller Wohnungsrundgang am Stand der HWG.

Mit einem Schwenk am Havag-Stand nach rechts und etwas Drängelei heraus aus der Menschentraube an den Ständen der Stadtwerke lernt man schnell, dass auch Halles Vermieter in Sachen digital ihre Hausaufgaben gemacht haben. Die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG) zum Beispiel bietet an diesem Nachmittag Rundgänge an durch Wohnungen, die sie vermieten will. Dazu müssen Interessenten nicht einmal den Fuß vor die Tür setzen – was bei nasskaltem Wetter ohnehin keine gute Idee ist. Am Bildschirm geht es über die Grundstücke, in das Haus und bis in die Wohnung hinein. Dreidimensionale Animationen machen es möglich und sollen die Entscheidung zügig erleichtern. Immerhin ist der Wohnungsmarkt hart umkämpft, Zeit also bares Geld. „Finde ich gut. Wenn man auf die Maße und so trauen kann, passt das. Ich kann mir gut vorstellen, so künftig nach Wohnungen zu suchen“, sagt Adriana Helm.

Die 25-Jährige ist Digital-Fan durch und durch und würde am liebsten alles über ihr Telefon steuern. „Viel“, so sagt sie, „geht ja schon. Aber man ist immer auf das W‑LAN angewiesen, weil das mobile Internet hier oft schlapp macht.“ Mit der Meinung ist sie nicht allein. Und man staunt: Nicht nur die Ü‑30-Generation bedauert, dass es in Halle und Umgebung teilweise nur langsam im Netz voran geht. Zwei rüstige Seniorinnen mit beachtlich modernen Smartphones der neuesten Generation diskutieren am Stand des Uni-Klinikums über genau dieses Thema. „Schön und gut, dass sich Halle hier als digitale Stadt zeigen will“, sagt Ursula Kindler. Die 80-Jährige kritisiert jedoch, dass sie teilweise Probleme habe, unterwegs digitale Angebote zu nutzen, weil ihr Telefon keine Internetverbindung finde. „Wenn wir uns schon darüber beschweren. Wie geht es dann wohl den jungen Leuten?“ Eine gute Frage. Die aber an diesem Tag nicht geklärt werden kann und wohl noch für reichlich Gesprächsstoff sorgen wird.

Ein Pflegeroboter der MLU begrüßt die Gäste des Tages der offenen Tür im Ratshof.

Verfügbares Internet daheim und unterwegs – das wird nämlich immer mehr auch eine Herausforderung in der Medizin. Denn irgendwann, so die Vision von Dr. Patrick Jahn aus der Pflegeforschung des Universitätsklinikums Halle im Stadtteil Kröllwitz, werden digital gesteuerte Roboter im stationären Alltag Einzug halten. Einen dieser möglichen Digital-Pfleger hat Jahn auch gleich mitgebracht. Der ca. 1,40 Meter große „Pepper“, so sein Arbeitsname, bringt mit seinen großen Augen das Publikum in Schwärmen. Kindchenschema nennen Wissenschaftler das, was dieser digital-elektronische Bursche bei seinen Zuschauern auslöst.  Er tanzt, antwortet auf einfache Fragen mit deutlichen Antworten und folgt seinem Gesprächspartner per Blickkontakt. Niedlich zwar, 20.000 Euro werden aber für einen „Pepper-Prototyp“ fällig, den die Uni am Fraunhofer-Institut kaufen kann.

Kindchenschema bei der Vorstellung des Pflegeassistenzroboters „Pepper“.

Für Jahn ist das aber gut angelegtes Geld, auch die Finanzierung der weiteren Entwicklung. „Es geht ja nicht um die Frage, ob es zum  Einsatz von Robotern um Stationsalltag kommt, sondern wie der dann aussieht.“  Sorgt das aber nicht für Angst bei den Schwestern, Pflegern oder gar beim Anblick von OP-Robotern bei Ärzten? „Es gibt natürlich Befürchtungen, dass durch Geräte wie ‚Pepper‘ Arbeitsplätze abgebaut werden. Der digital gesteuerte Pfleger kann und soll aber nie die Schwester ersetzen“, sagt Jahn. Vielmehr sollen „Pepper“ und Co. unterstützen.

Etwa, so der Wissenschaftler, bei der Aufklärung vor Eingriffen oder wenn Kindern zum Röntgen müssen. „Pepper kann dann zur Beruhigung etwas vorlesen. Patienten können mit einem Programm und dem Display auf dem Bauch des Roboters über die Risiken von Eingriffen aufgeklärt werden. Pepper kann auch über bevorstehende Termine wie Untersuchungen informieren und dem Patienten sagen, wie lange er davor nichts essen darf.“ Am Patienten selbst, so Jahn, sei das alles noch nicht ausprobiert worden. Deshalb gebe es noch keine Erfahrungen darüber, wie Patienten auf „Pfleger Pepper“ regieren. Dazu könnte es aber schon Anfang Februar kommen – so der Plan.

Ist Halle also im digitalen Zeitalter angekommen? So ganz und so vollständig? Freilich hat das Stadtplanungsamt ein digitales 3D-Modell von Halle. Und natürlich können viele Dinge von Bürgern heute inzwischen Online erledigt werden – bis hin zu Ratsangelegenheiten. Selbst Feuerwehr und Katastrophenschutz engagieren sich in wissenschaftlichen Projekten zur Entwicklung von Frühwarnsystemen, die über Handys Alarm schlagen können. Doch das alles hilft nur wenig, wenn Breitbandausbau und öffentliches W‑LAN weiter kaum Beachtung finden. Was geht, hat der Tag der offenen Tür in Halles Rathaus gezeigt. Aber auch, was dazu noch nötig ist.

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