Marcell Scholz: „Kümmert Euch mit um die Omi im Haus!“

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Was war denn Dein berührendstes Erlebnis?
Ja, da gibt es ein ganz klares Beispiel, und den meisten in Halle sollte das auch noch ein Begriff sein. Damals gab es, vor zwei Jahren, einen Unfall auf der Europa-Chaussee. Da ist ein Motorradfahrer mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit in eine Polizeikontrolle geraten und hat dabei den Polizisten erfasst, und beide sind gestorben. Und ich war derjenige, der unter anderem mit vor Ort war. Machen konnten wir da natürlich nichts mehr, dazu waren die Geschwindigkeiten und wirkenden Kräfte zu hoch, und dennoch war das sehr ergreifend. Man muss sich zum einen um den Partner des Polizisten kümmern, und dann gab es da auch noch so ein paar familiäre Hintergründe des verstorbenen Polizisten, die das Ganze sehr ernst gemacht haben. Aber im Allgemeinen sind so schwere Unfälle und so schwer Verletzte, dass man gar nichts mehr machen kann, eher selten und somit eine Ausnahmesituation, zumal der Polizist eben auch verankert war im Fußball, als Schiedsrichter und so. Das zog schon weite Kreise, in denen das dann bekannt wurde.

Thema muss natürlich auch die Rettungsgasse sein, wenn wir uns schonmal unterhalten. Ist die Lage wirklich soviel schlechter geworden? Überall nur Handyknipser und Unverständige?
Die Rettungsgassen machen schon immer Probleme, und das wird wahrscheinlich auch immer so bleiben, weil die Leute das einfach vergessen, und wenn man nicht mit dem Rettungsdienst zu tun hat, denkt man auch nicht immer daran. Es ist ja auch solange völlig irrelevant, bis es dann doch mal gebraucht wird, und dann fällt es den Leuten erst wieder ein. Aber bisher bin ich immer relativ gut durchgekommen und kann also gar nicht so groß meckern. Was aber zugenommen hat, ist so ein bisschen die Zahl und Art der Schaulustigen. Aber da entwickelt man im Laufe der Zeit auch seine Methoden, wie man die sich so ein bisschen vom Hals hält.

Zum Beispiel?
Wenn man da mal einfach klare Worte spricht, dann sind die meistens schnell wieder beiseite oder man bezieht sie eben mit ein und sagt: machen sie mal das, und er da drüben macht mal das, räumen sie mal das beiseite. Aber es ist, denke ich, nicht so schlimm wie es immer dargestellt wird.

Der Rettungsdienst schafft es nicht immer, da zu sein, und manchmal ist man schneller, wenn man den Nachbarn selber ins Krankenhaus bringt, aber dazu sollte man ihn kennen.

Wie muss ich mir denn Deine Schichten so vorstellen? Wie lang, wie viele Einsätze? Was gibt’s denn zum Schluss des Monats so im Lohntütchen zu bewundern?
Ja, also es gibt in der Regel zwei Schichten à zwölf Stunden, einmal Tag, einmal Nacht. Das variiert ein bisschen von den Bereichen her. Es gibt Bereiche mit Achtstunden-Schichten, es gibt auch Bereiche, die machen 24 Stunden am Stück, gerade in der Feuerwehr kommt das häufiger vor. Aber im Rettungsdienst sind es meistens zwölf Stunden, wenn das Fahrzeug Tag und Nacht läuft. Es gibt Fahrzeuge, die fahren nur tagsüber, da ist das dann auch anders aufgeteilt, aber im Regelfall sind es zwölf. Naja und bei mir auf dem Dorf ist es zum Glück etwas ruhiger, das ermöglicht es mir, eine gewisse Entspannung zwischen den Einsätzen zu finden. In zwölf Stunden haben wir vielleicht so drei, vier Einsätze am Tag und in der Nacht sind es so zwei bis drei, so dass man nachts auch mal das Auge zu machen kann in seiner Bereitschaftszeit. In Städten wie Halle oder Leipzig sieht das da anders aus. Für Halle kann ich sagen, da fährt man so um die sechs bis acht Einsätze am Tag und nachts dann so vier bis fünf. Da ist dann auch nicht mehr viel mit ausruhen. Für die jüngeren Kollegen mag das was sein. Eigentlich gehöre ich zu denen ja auch noch; aber ich persönlich bin mit meiner Landrettungswache recht zufrieden und möchte auch nirgends anders hin. Tja, Geld regiert die Welt und der Rettungsdienst wird alle paar Jahre neu ausgeschrieben. Das heißt also, wenn die Stadt sagt, wir brauchen hier und hier eine Rettungswache, dann bewerben sich die ganzen Hilfsorganisationen darum. Hinzu kommen private Anbieter wie meine Firma und, da europaweit ausgeschrieben werden muss, theoretisch auch Fremdanbieter z.B. Moskau Medic oder sowas. Am Ende wird geschaut, wer es zu welchem Preis macht und was er noch für Vorteile mit bringt, zum Beispiel Katastrophenschutzteilname. Wenn alles gut läuft, bleibt alles beim Alten für einen selbst. Wenn es schlecht läuft, wechselt der Arbeitgeber und man bekommt einen neuen Arbeitsvertrag vorgelegt. Und der muss nicht besser sein als vorher. Zum Glück ist das in Halle erstmal rum. Die Wachen bleiben wie vorher. Ich, bei meiner Firma und unterm Strich gibt es mehr Geld, nun endlich, angelehnt an den öffentlichen Dienst. Ich will keine genauen Zahlen nennen, aber unter meinen Freunden, die nicht studiert haben oder ewig beim Bund sind, verdiene ich am besten, glaube ich.

Wie entspannst Du eigentlich von der Anspannung, schließlich ist die Verantwortung enorm, die Ihr da tragt im Job?
Die Verantwortung ist groß, keine Frage. Aber viele Einsätze sind Routine, und ich schaffe es ganz gut, zwischen den Einsätzen wieder runter zu kommen. Zumal ich einen sehr guten Team-Partner habe, mit dem man schnell wieder auf andere Gedanken kommt. Zwischen Einsätzen sitze ich oft auf der Wache und gehe meinen Hobbys etwas nach. Ich bastele dann Kostüme und Ausrüstung für diverse Mittelalter-Events, die ich besuchen will. Ein Luxus, den nicht jeder in seinem Job genießen kann. Aber eben auch immer bereit, sofort aufzuspringen und zu einer Reanimation zu fahren.

Wenn Du Gehör finden würdest bei den vielen Menschen da draußen, was würdest Du ihnen einfach einmal sagen wollen?
Macht Eure Tür auf, geht zu Eurem Nachbarn und fragt wie es ihm geht. Kapselt Euch nicht immer mehr ab, nur weil es Euch die Gesellschaft vorgibt. Kümmert euch mit um die Omi im Haus und lebt nicht nur für Euch. Wir müssen alle wieder mehr eine Gemeinschaft werden und nicht nur für uns leben. Der Rettungsdienst schafft es nicht immer, da zu sein, und manchmal ist man schneller, wenn man den Nachbarn selber ins Krankenhaus bringt, aber dazu sollte man ihn kennen.

Danke für Deine Antworten.

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