Kommentar: Gebt Hasi eine Chance!

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Wenn am Mittwoch der Stadtrat im Geheimen über die Zukunft des Freiraumprojektes in der Hafenstraße 7 entscheidet, dann geht es schon lange nicht mehr einfach nur um ein paar Menschen, die vor knapp zwei Jahren eine verschlossene Tür überwunden haben, um ein verrottendes Haus zu besetzen. Es geht auch nicht einfach nur um das, was sie dort vorhaben oder bereits geleistet haben, nicht allein um das Engagement dutzender Hallenserinnen und Hallenser für eine vorher von allen guten Geistern verlassene Immobilie. Das ist schade. Denn so wie die Hasi in den letzten beiden Jahren gearbeitet hat, wie sie auf die Nachbarschaft zugegangen ist, wie sie den Freiraum, den sie ertrotzt hat, selbstlos und basisdemokratisch gestaltet hat, hätte die Hasi die Chance verdient, diese Pflanze weiter zu entwickeln. Denn Halle braucht auch solche konkreten Projekte, damit die Stadt für viele unterschiedliche Menschen lebenswert bleibt.

Seit die CDU und vor allem im Schlepptau die AfD das Thema für sich entdeckt haben, geht es aber offenbar um viel mehr. Der Rechtsstaat sei in Gefahr, der Linksextremismus auf dem Vormarsch, gar die Stabilität des Landes sieht der Innenminister in Gefahr. Wie bitte?[ds_preview]

„Wehret den Anfängen“ sollte auch heute vor allem dem gesellschaftlichen Rechtsruck gelten.

Wie immer, wenn es nicht mehr um die Sache allein geht, geschieht den Betroffenen durch diese Aufgeladenheit eine Menge Unrecht. Der Innenminister, von der AfD ganz zu schweigen, vergreift sich in Sachen Hasi nicht nur an Menschen, die zumindest ausweislich aller bisher verfügbaren Statistiken niemandem ernsthaft Schaden zugefügt haben. Er vergreift sich auch im Ton. „Wehret den Anfängen“, ein alter Spruch der Römer, war jahrzehntelang Mahnung gegen jegliches Neuaufkeimen des Nationalismus und Nazismus, gespeist aus den Erfahrungen und den Schwüren der Überlebenden der Konzentrationslager. Den Spruch gegen eine Gruppe junger Leute in einem abgelegenen Haus zu wenden, die zusätzlich zu ganz normaler ehrenamtlicher Arbeit vielleicht überwiegend links sind, aber vor allem dezidiert antifaschistisch auftreten und dadurch auch bereits zur Zielscheibe für Rechtsextreme geworden sind, ist nicht nur abenteuerlich, sondern geschichtsvergessen. „Wehret den Anfängen“ sollte auch heute vor allem dem gesellschaftlichen Rechtsruck gelten.

Viel dreht sich in der Hasi-Debatte um die vermeintlich illegale Besetzung. Da könne ja jeder kommen und sich fremden Eigentums bemächtigen, so das Totschlagargument. Vielleicht sollte man in Sachen Hasi einmal die Bienen bemühen. Nicht nur, weil Bienen vor allem für Konservative jeher als Ideal auch für die menschliche Gesellschaft dienen. Sie sind fleißig und leistungsbereit, und jeder arbeitet an seinem zugewiesenen Platz. Bienen verkörpern aber auch ein anarchisches Prinzip, das ein besonderes Kapitel Rechtsgeschichte begründet. Wer frei schwärmende Bienen verfolgt, für den gelten nämlich keine Besitzschranken: Er darf jedes Grundstück betreten, ohne um Erlaubnis zu fragen. So steht es im BGB, und das Beispiel zeigt, dass Grundbesitz nicht das einzige und schon gar nicht das allerhöchste Gut unserer Rechtsordnung ist. „Eigentum verpflichtet“ hat der Grüne Sebastian Striegel den Hasi-Gegnern vor allem aus der AfD entgegengehalten, und es spricht Bände, dass der Satz aus dem Grundgesetz die AfD – leider aber auch die CDU, die ihn 1948/49 mit ins Grundgesetz formulierte – zur Weißglut treibt.

unsere Rechtsordnung ist gut, weil Abwägung und Verhältnismäßigkeit zu ihren Grundprinzipien gehören.

Die entsprechende Passage im Grundgesetz lautet vollständig: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ In Sachen Hasi muss man sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Es geht immerhin um ein Grundstück, das die öffentliche Hand beziehungsweise ein kommunales Unternehmen seit Jahrzehnten herunterkommen lässt. Welchem Allgemeinwohl sollte es jemals zugute kommen, außer als tote Bilanzmasse einen öffentlichen Haushalt zu – nun ja – bereichern? Und wenn die Stadt oder die HWG es verkaufen würde, in welchem Sinne wäre dann dem Allgemeinwohl gedient? Sicher, bleibt das Hasi-Grundstück bei HWG und Stadt, dann könnten Kosten entstehen. Aber es wären Kosten, die nach dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ Stadt und HWG schon längst hätten aufbringen müssen, statt dem Verfall seinen Lauf zu lassen. Daraus der „Hasi“ einen Strick zu drehen, die ja gerade auf den Missstand hinweist, wäre grotesk.

Zur Debatte steht in Sachen Hasi aber auch, wie viel Unangepasstheit sich heutzutage noch mit dem freiheitlichen Rechtsstaat verträgt. Und inwiefern ein Rechtsstaat à la Stahlknecht überhaupt noch freiheitlich wäre. Ist ein Sticker, der zum Widerstand gegen die – in Sachsen-Anhalt über viele, aber nicht über alle Zweifel erhabene – Polizei aufruft, schon linksextrem und verfassungsfeindlich? Ist jemand, der zur Überwindung des Extrem-Kapitalismus und seiner globalen Auswüchse aufruft, schon Gegner der Grundordnung des Staates? Dann wäre der Papst auch ein Staatsfeind. Sind Seminare, die zu zivilem Ungehorsam aufrufen – immerhin eine Tradition, aus der die heute staatstragende Partei der Grünen hervorgegangen ist – ebenfalls verfassungsfeindlich? Was wäre der Steinewerfer Joschka Fischer dann gewesen, der später Außenminister geworden ist?

Eine Besetzung, da haben CDU und AfD, und auch die Skeptiker in der SPD recht, bleibt ein rechtswidriger Akt. Aber unsere Rechtsordnung ist eine gute Rechtsordnung, weil Abwägung und Verhältnismäßigkeit zu ihren Grundprinzipien gehören. Und weil Urteile vor Gericht und nicht im Landtag oder im Stadtrat gesprochen werden. Gegen Mitglieder der Hasi liegt seit zwei Jahren kein Urteil vor. Lediglich eine Ordnungswidrigkeit ist aktenkundig. Das war es. Rechtsstaatlicher als bei der Hasi kann eine Besetzung von daher wohl gar nicht laufen. Es wurde miteinander geredet, es wurden Kompromisse und Vereinbarungen geschlossen. Alles ganz ordentlich und zivilisiert. Die Bereitschaft zu Abwägung und Verhältnismäßigkeit mag in diesen Tagen rar sein. Trotzdem bleibt es absurd, die Besetzung der „Hasi“ permanent und fortwährend zu kriminalisieren.

Macht Euch mal locker, möchte man den Bedenkenträgern also zurufen. Besonders aber der SPD, die gerade auf vielen Ebenen mit sich selbst und ihrem Selbstverständnis ringt. Scheitert die Hasi an ihrem Abstimmungsverhalten, hätte sie im liberalen und im linken Teil der halleschen Bevölkerung in nächster Zeit wohl einen schweren Stand. Und sie würde vor allem der AfD einen Triumph bescheren, dessen Geheul über Wochen und Monate das kommunalpolitische Klima weiter vergiften würde. Aber auch die CDU sollte sich überlegen, wie weit sie beim Versuch, der AfD wieder Wähler abzujagen, gehen sollte.

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Albrecht Pohlmann
6 Jahre her

Lieber Herr Knothe, der Papst – jedenfalls der gegenwärtige – ist ein Staatsfeind. Sage ich als alter Atheist. Und angesichts der tatsächlichen Verhältnisse innerhalb und zwischen den meisten Staaten der Erde – mögen sie noch so demokratisch verfaßt sein – sehe ich solche Bezeichnung als Ausweis eines kritischen Humanismus (von den vermeintlichen „Staatsfeinde“ von rechts rede ich hier nicht). – Zur Sache: dieser Kommentar ist ausgezeichnet und belegt erneut die Existenzberechtigung der StäZ. Die übrigen halleschen Medien hätten dies nie hinbekommen! Die Haltung von AfD, CDU und SPD zeigt vor allem, daß hier Kleingeister am Werk sind, welche den Wert… mehr lesen »