Wenn du am Heiligen Abend einkaufen willst, bist du ein schlechter Mensch

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Seit einigen Wochen streift mich immer wieder die Diskussion darum, ob die Geschäfte am Heiligen Abend geöffnet sein sollen oder nicht. Dieser besondere Tag fällt in diesem Jahr auf einen Sonntag, so dass das Thema überhaupt erst zu einem wird, da an Sonntagen die Läden grundsätzlich nur mit Sondergenehmigung öffnen dürfen. Nun haben wir es uns angewöhnt, nicht inhaltlich, sondern emotional zu diskutieren. Das führt dazu, dass Bildchen mit Schrift durch das Netz gejagt werden. Kommentiert wird größtenteils mit Gefühlen und Smileys, die diese ausdrücken.

Juliane Uhl, Foto: Knut Mueller

Neulich sah ich also ein solches Posting bei Facebook. Abgebildet war eine Familie bei Kerzenschein, offensichtlich in einer trauten Weihnachtssituation und darauf stand die Frage, ob man denn am Heiligen Abend einkaufen wollen würde. Ich schrieb darunter: „Wenn ich etwas brauche und ein Laden geöffnet hat, ja klar!“ Innerhalb weniger Minuten hatte ich ein Wutsmiley am Kommentar hängen, was wiederum  mich wütend machte. Wenn du am Heiligen Abend einkaufen willst, bist du also ein schlechter Mensch? Ich sah mir die Sache genauer an und musste feststellen, dass auch andere öffentliche Meinungsbekundungen in diese Richtung gingen. Zum Beispiel heißt es, dass du Probleme mit der Organisation deines Lebens hast, wenn du an diesem Tag einkaufen gehen würdest. Wow, da liegen die also, die Probleme.[ds_preview]

Denken wir das Thema doch einmal durch und versuchen wir es mit klarem Verstand: Ein Geschäftsinhaber möchte am 24.12. gern seinen Laden öffnen und hat dafür Mitarbeiter, die gern arbeiten möchten. Wo ist das Problem? Eine Patentante hat immer noch kein Geschenk für das Patenkind gefunden und hat am 24.12. endlich Zeit und Muße, dies zu suchen. Endlich ist auch der Weihnachtsmarkt abgebaut und man erreicht die Geschäfte wieder, ohne über alkoholisierte Menschen zu stolpern. Wo ist das Problem? Ein Familienvater bereitet das Weihnachtsessen vor und bemerkt, dass er keine Hefe im Haus hat, die er dringend benötigt. Er fährt zum Supermarkt und kauft welche ein. Wo ist das Problem?

Nun stelle ich mir vor, dass mir viele Probleme zugeworfen werden. Zum Beispiel der Arbeitnehmerschutz: Die armen Leute müssten ja dann arbeiten, wenn sie bei ihren Familien sein könnten. Ja, das müssen Krankenschwestern und Taxifahrer auch. Weihnachten sei doch so eine besinnliche Zeit, da kann man doch auf das Einkaufen mal verzichten. Sicher, wir leben ja auch in einer unheimlich besinnlichen Gegenwart. Ich vermute, dass ein Einkauf an diesem Tag wesentlich bewusster ist, als an den 364 restlichen Tagen des Jahres. Legen wir also die Moralkeule mal wieder beiseite.

Des Weiteren ist jeder Einkauf, den man nicht mehr vor Ort erledigen kann, ein weiteres Argument dafür, bei Internetversandhändlern zu bestellen. Und wohin das führt, weiß man. Stellen Sie sich vor, ein kleiner Buchladen öffnet am 24.12. vormittags und lädt zu Keksen und Kakao ein. Dann hätten wir Mütter Mann und Kinder los und könnten in Ruhe alles vorbereiten. Warum sollte diese Entscheidung nicht im Ermessen des Geschäftsinhabers liegen?

Im nächsten Jahr fällt der Heilige Abend zum Glück auf einen Dienstag. Und bis dahin habe ich es auch geschafft, mein Leben zu organisieren und den Ansprüchen derer zu genügen, die sich zu Weihnachten Überstülper für ihre erhobenen Zeigefinger wünschen.

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Laura Lütt
6 Jahre her

Danke!
Nach der Überschrift hatte ich schon gehofft, demnächst eine Entgegnung schreiben zu können… Aber so ist es natürlich viel besser!

Dirk Dirot
6 Jahre her
Reply to  Laura Lütt

Vielleicht überlässt man das Öffnen an einem Sonntag, an dem zufällig auch der Coca Cola Mann kommt, den kleinen Läden- die meistens von den Eigentümer betrieben werden( vorausgesetzt, der Hang zur Selbstausbeutung ist vorhanden). Den könnte es helfen, bei großen Geschäften wäre das ein Irrsinn- ökonomisch gesehen. Ansonsten hat man manchmal das Gefühl, das den Menschen der Lebenssinn verloren geht, wenn sie nicht ihre Plastikkarte zücken können. Und so überraschend kommt Weihnachten auch nicht. Vielleicht fängt man sich aber auch bei Wind um nichts eine Erkältung ein – hier wird es wirklich der Markt regeln(wenn er sonst nichts mehr geregelt… mehr lesen »

Leser#X
6 Jahre her

Achtung: Wall of Text Grundsätzlich, finde ich Ihren Beitrag äußerst gut geschrieben und schlüssigbis auf einen kleinen Punkt, der aber ausschlaggebend zu sein scheint. Es ist nun leider nicht die Regel, dass ein Geschäftsführer seinen Angestellten die Entscheidung überlässt, ob er einen zusätzlichen Tag Geschäfte machen kann, und geht in der mehr oder weniger großen Belegschaft umher und fragt „Na, wie wär‘ es denn, wollen Sie vielleicht Heilig Abend arbeiten? Ach … nein? Nun gut, dann lassen wir einfach mal den Laden zu.“ Ich kenne jedenfalls keinen Verkäufer, der mir das so von seinem Arbeitgeber bestätigen würde. Die Realität sieht leider… mehr lesen »