Veit Keller: Im Sinne einer kulturellen Nachhaltigkeit

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Derzeit sorgst Du mit „Die weißen Riesen“ für Aufregung, eine zutiefst dystopische Erzählung, passend scheinbar zum Zeitgefühl. Ist Dystopia Realität für Dich? Die Lust am Untergang? Willst Du mahnen oder macht es Spaß, einer Zivilisation beim selbstdestruktiv Sein zuzuschauen? Jan Off, der große Schriftstellerhaudegen sagte einst: „Es gibt immer charmante Momente beim Untergang einer Zivilisation.“
Nach dem Maya-Kalender und diversen gescheiterten Zukunftsvisionen der 60er und 70er Jahren herrscht meines Erachtens doch eine gewisse Leere in den Köpfen der Menschen. Das Bild der Zukunft wird ständig berichtigt und viele haben tatsächlich, aufgrund globaler Problemstellungen, die die Wirtschaft nicht berichtigen möchte, ein Problem damit eine bessere Zukunft zu sehen. Persönlich sehe ich aber solche Visionen eher als eine, die Gesellschaft reflektierende, Modeerscheinung. Nun ja, und da solche Visionen von Zombies, Zusammenbruch und Anarchie gerade in Mode sind, muss man doch leise reflektieren, das wir gerade ziemlich im Arsch sind. Was nun die Erzählung „Die weißen Riesen“ angeht, übrigens auf meinem Literaturblog für jeden frei zu lesen unter: https://veitfactory.wordpress.com/2017/11/13/die-weissen-riesen-dystopische-erzaehlung-veit-keller-2017/ , ist es eindeutig der Spaß, welcher überwiegt. Das Format der Dystopie habe ich aus recht unzusammenhängenden Gründen gewählt. Diese und folgende Erzählungen sind für mich kleine Ausflüge in andere Felder der phantastischen Literatur. Meine Bücher und gedruckten Geschichten bleiben jedoch weiterhin in meinem ganz eigenen, also dem schwarzromantischen Stil. Solche „Ausfüge“ sind für mich wie Fingerübungen. Zum Beispiel die Geschichte bei „Die weißen Riesen“ handelt von einem Geschwisterpärchen, das sich in einer zur Wüste verwandelten zukünftigen Welt behaupten muss. Mein großes Anliegen war hier, die Personen mehr untereinander zu konfrontieren und die Handlung aus den unterschiedlichen Perspektiven zu beschreiben. Und das hat wirklich großen Spaß beim Schreiben gemacht. Ab einem gewissen Punkt ging das Schreiben wie von selbst von der Hand. Die Charaktere haben sich förmlich selbstständig gemacht und ich musste es nur niederschreiben. Zum Teil sind auch, was für mich untypisch ist, sehr humorvolle Situationen entstanden. Die Dystopie begleitet die Geschichte wie ein ziehender Schmerz. Vieles der Handlung ist gespickt mit Ereignissen, die vor der Desertifikation der Erde passiert waren. Stück für Stück findet sich so ein Gesamtbild, mit Teilen der Vergangenheit mit Geschehnissen der Zukunft. Das macht diese Erzählung wirklich am Interessantesten. Die emotionale Tiefe der zwei Geschwister zueinander bei ihren Abenteuern und ihre, für alle Anderen, unnatürlichen menschlichen Regungen, sind hier auch ein sehr starkes dramaturgisches Mittel, das eine besondere Stimmung erzeugt, in der Richtung einer entmenschlichten, zukünftigen Gesellschaft. Das Ende ist jedoch offen gehalten. Und damit meine ich kein offenes Ende… Ich schreibe weiter, wenn es eine bestimmte Anzahl an Likes bei WordPress gibt. Das Gleiche wird dann auch bei meinen anderen „Ausflügen“ in Horror, Erotik, Mysterie (oder was noch so kommt) sein. Ich bin schon einmal gespannt, wie sich dieses Experiment entwickeln wird. Auf jeden Fall macht es mir sehr viel Freude, mich in diese bislang unbekannten Bereiche vor zu wagen.

Du lebst ja in Halle – und hier ist ja auch gerade Thema, das Literaturhaus Halle überregional zu etablieren. Hast Du Kontakte in den Verein hinein? Berühren Dich dessen Aktionen überhaupt? Wie sind die Verzahnungen untereinander im halleschen Literaturbetrieb so?
Oh, tatsächlich hast du mich da nun kalt erwischt und jedoch auch ein wenig inspiriert jetzt mal nach „Literaturhaus Halle“ zu googeln. Also tendenziell werde ich gerne mal auf den Verein zugehen. Gerade weil ich nun ja mit der Lesebühne „Schwarz auf Weiß“ ein sehr anspruchsvolles Format betreue, könnte eine Zusammenarbeit nicht verkehrt sein. Aber ich muss erst einmal schauen, in wie weit dies möglich ist und wie der Verein funktioniert. Über Verzahnungen kann ich auch wenig sagen. Im Allgemeinen habe ich, was Lobbys angeht, ein klein wenig Vorurteile. Mir fehlt da etwas die Offenheit nach außen, welche ich gerade in meinen, zum Teil sozialen Kulturprojekten immer an erste Stelle bringe. Soweit ich jedoch einige Gruppierungen, Vereine und Literaturgruppen betrachten konnte, sind es immer sehr geschlossene Systeme, ähnlich eines Betriebes. Die Ansätze sind individuell und der Austausch untereinander eher oberflächlicher, anstatt interaktiver Natur. Was das angeht bin ich gespaltener Meinung. Grundsätzlich fehlt gerade Halle dahingehend ein zentraler Kern. Andererseits schaffen die vielen kleinen Projekte eine vielfältigere Spanne. Leider kann man von der Publikumsseite oder von der Seite der Buchkäufer, nur bedingt absehen, wo diese Unterschiede sind – halt nur was einem aktuell von Gruppe A oder Gruppe B präsentiert wird. Das ist schon schade.

Und ansonsten? Halle so? Ein guter Ort für Schwarzromantik?
Hm, ich glaube, dass ich es nicht wirklich an einem Ort festmachen möchte. Wenn man jetzt allerdings vom Buchverkauf und der Ansiedlung meiner Fans ausgeht, ist Halle nur auf einem guten fünften Platz von zehn. Den meisten Zuspruch gibt es gerade aus Richtung Dresden, gefolgt von Frankfurt (Main), dahinter Altenburg und Leipzig. Wenn man es jetzt aber im Allgemeinen betrachtet, ist Halle nicht umsonst zu meiner Wahlheimat geworden. Es mag zwar etwas pathetisch klingen, jedoch geht es bei dem Genre der schwarzen Romantik ja um verdorbene oder vergangene Sehnsüchte; um eine lakonische Liebe und Sinnen. Das schafft eine sehr eigentümliche Schönheit, jedoch auch einen etwas realistischeren Sinn auf das Leben und die Umstände. Halle ist da nicht anders als andere Städte. Auch hier sind diverse Gesellschaftsschichten mit ihren jeweils ewigen Neurosen und Überverantwortungen präsent. Aber das Entscheidende ist, dass die Menschen hier ein klein wenig offener und herzlicher sind als in einer zu großen und zu anonymen Stadt. Andererseits ist Halle auch kein in sich verbarrikadiertes Stammgastwirtshaus wie so manche Provinzstadt. Ich habe schon viele Menschenschicksale hier kennenlernen können und bin wirklich stetig fasziniert, was für Lebenswege in dieser Stadt nebeneinander friedlich existieren können. Es ist wirklich immer wieder spannend.

Wenn Du in der Kulturpolitik Deiner Stadt etwas verändern könntest, mitgestalten könntest, gar Entscheidungen fällen und verantworten könntest – was würdest Du tun? Und was würdest Du Dir von den heutigen Entscheidern wünschen? Falls diese Dich mal fragen.
Politik ist für mich nicht unbedingt etwas, das Parteien entscheiden. Ich bin längst in dieser Stadt kulturpolitisch tätig, ganz einfach, da ich mit anderen Künstlern und Menschen zusammenarbeite, meine Auftritte und Formate für ein immer möglichst breitgefächertes Publikum aus allen Gesellschaftsschichten anbiete und mich mit den unterschiedlichsten Menschen hier unterhalte. Bei mir steht eben eher der föderative Ansatz eines Einzelnen vorn. Wenn man mich fragen würde, würde ich mir, glaube ich, erst einmal den „Bestand“ ansehen. Als Künstler arbeite ich ja stetig mit einem bestimmten Gros an gegebenem Material und versuche daraus etwas zu gestalten. So sollten die Entscheider auch herangehen. Nicht auf Anträge warten, sondern in Eigenregie einmal die Kulturorte etwas unter die Lupe nehmen, Gemeinsamkeiten finden und dann verbindende Projekte anregen. Nun, so mache ich es zumindest mit den Menschen und ich glaube in einer höheren Verantwortung, mit entsprechen Budget, geht dass bestimmt auch.

Danke, Veit, für Deine Antworten.
Danke für das Interview, Volly.

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