Veit Keller: Im Sinne einer kulturellen Nachhaltigkeit

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Mit Schriftstellern zu reden birgt in sich immer und auch genussvoll die Möglichkeit der Ausschweifung. Schließlich ist das Erzählen meist nicht nur Beruf, sondern auch Berufung. Beim Wahlhallenser Veit Keller, der sich bundesweit in schwarzromantischen Gefilden austobt, ist dies nicht anders. Volly Tanner traf ihn und sprach mit ihm über Halle, kulturelle Vielfalt, experimentelles Arbeiten, Kunststudenten und die Zukunft.[ds_preview]

Guten nebeligen Tag, Veit. Du kommst heute Abend – am Dienstag, den 28.11. – ganz schwarzromantisch auf die Open Mic Bühne. Erzähl mal bitte uns Unwissenden, was das für eine Veranstaltung ist und wo die stattfindet.

Veit Keller, Foto: privat

Hallo Volly, danke für deine Einladung zu diesem Interview. Ja, das Café Ludwig ist ein sehr engagiertes Café direkt im Giebichensteinviertel von Halle, wo ja auch die gleichnamige Burg mit ihrer Kunsthochschule steht.
Ich selbst, als Autodidakt, habe es nicht so weit zu diesem feinen Café (einfach ein paar Blöcke weiter) und treffe mich dort gerne mit Kollegen und Freunden zu Meetings oder Gesprächen. Die Konfrontation mit Kunststudenten kommt jedoch recht selten zustande. Manchmal scheint es mir in Halle so, als haben Studenten ein völlig von der eigentlichen Bevölkerung abgelegenes Netzwerk, Veranstaltungen und ein eher in sich strukturiertes Personenumfeld bzw. „Wahrnehmungsraster“ – alles sehr merkwürdig für mich als Künstler, in einem Kunststudentenviertel. Das „Open Mic Konzept“ wird vom Café Ludwig verantwortet und das Café selbst schafft es dadurch, etwas die Grenzen verschwimmen zu lassen. Es sind eben nicht nur Studenten, die sich dort treffen, sondern eben auch Leute wie ich, die eher mit den Menschen in der Stadt zu tun haben und hier arbeiten bzw. wohnen und wohnen bleiben. Das Café Ludwig befindet sich in der Eichendorffstraße 20 und seine Veranstaltung „Open Mic“ feiert diesen Dezember sein zweijähriges Jubiläum. Zugegebenermaßen muss ich sagen, dass ich bei der letzten Veranstaltung im Oktober gerade einmal, das erste Mal, dort teilgenommen habe. Ähnlichen Konzepten, wie zum Beispiel der offen Lesebühne von Markus Böhme im leider mittlerweile sehr vermissten Hellheim in Leipzig-Plagwitz, bin ich natürlich auch schon beigewohnt. Es fühlt sich für mich besser an, als Formate, die das liefern, was die Leute erwarten. Offene Lesebühnen haben keine Limitierung an Medium oder Titel. Es ist alles etwas lockerer und sympathischer. Man weiß nie was einen erwartet und wie sich der Abend gestaltet. Enttäuscht wurde ich jedoch bislang bei so etwas noch nie. Gleichsam lässt sich kein gemeinsamer Nenner finden. Die unterschiedlichsten Textgattungen und Vortragsweisen kommen in solchen Bühnenformaten nebeneinander – und das ganze ohne Abstimmungen oder Regeln. Ok, Zeitbegrenzungen braucht es immer. „Das Open Mic“ im Café Ludwig hält sich da noch mehr offen, als nur auf Literatur zu pochen. Tatsächlich gab es letzten Monat recht viele Musiker und ich konnte sogar ein paar Syrer, die nur zu Gast waren, überreden, sich in die frei ausliegende Interpretenliste zu schreiben. Es ist nämlich auch in diesem Format möglich, einfach etwas zu erzählen. Ich war in diesem Fall neugierig, ein paar authentische Geschichten zu hören, die etwas entfernter von der Medienmache sind. Zwar kamen die Betreffenden dann doch leider nicht auf die Bühne, jedoch unterhielt ich mich etwas später noch mit ihnen im Raucherbereich.

Poetry-Slam war mir schon damals etwas zu oberflächlich.

Funktioniert Open Mic eigentlich melancholisch? Ich war vor einiger Zeit auf einem Poetry Slam und hatte eher den Eindruck, ohne lustige Witze ist da kein Brot zu rocken. Comedy für Abiturienten sozusagen. Ist Open Mic da besser?
Melancholisch? Ja bestimmt, das auch. Im allgemeinen triffst du jedoch den Kern der Aussage: „Was ein Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“. Ich stelle diesem jedoch entgegen: „Wenn man immer das selbe zu essen bekommt, und es wird immer mehr und mehr und mehr beim kauen, und es immer fader schmeckt, so oft es aufgearbeitet wird; hat man da nicht Lust auf etwas anderes?!“ Das ganze Thema ist wohl etwas komplexer. Auch im Comedien- und Slambereich gibt es ein paar sehr gute „Handwerker“, die sich von der Masse abheben. Zum Beispiel Jochen Malmsheimer glänzt gar vortrefflich durch seine Art des Vortrags. Es gibt diverse Spielmittel mit Sprache und Vortrag, die natürlich zu einem Bühnenauftritt mit dazu gehören. Bei mir steht jedoch in einem Literaturbühnenkonzept tatsächlich eher der Text und seine Aussage im Vordergrund – bei meiner Kunst im Allgemeinen. Theater mache ich auch gerne, aber Stand-Up ist einfach nicht mein Ding. Es hat etwas von personifizierter Darbietung und bei mir steht, wie gesagt, immer eher der Text und das Stück im Fokus. Ich mag es einfach, mich durch die Mittel, welche eine Bühne bietet, je nachdem wie die Formate gefasst sind, bestmöglich meiner Kunst zu unterwerfen … oder so ähnlich. Ja, das Format ist da entscheidend. Poetry Slam hatte ja auch mal mit einem offenen Charakter angefangen und sich als Vorreiter für freie Literatur benannt. Als ich damals, so gegen 2005, im Kunstpavillon in Eisenach oder der Engelsburg in Erfurt versuchte, meinen Texten ein erstes Mal verhelfen wollte, ihre ersten Schritte zu einem Publikum zu finden, waren Star Slammer wie André Hermann oder Andy Strauß noch relativ normale Menschen. Das Konzept wirkte jedoch damals schon etwas wie ein Bauernfänger für mich. Es war mir schon damals etwas zu oberflächlich und somit habe ich mich recht schnell eher in die Richtung orientiert, ernsthafte Texte zu verfassen und keine karikative Bühnenrolle einnehmen zu wollen. Das Interessante für mich, in meinem (wirklich) freischaffenden Umgang mit Bühne und Publikum, ist die ständige Reibung mit den unterschiedlichsten Inhalten. Dabei sind es aber auch klassische Themen, wie Gefühle, Jahreszeiten und Gesellschaft. Selten schreibe ich über mich, aber natürlich fließt ja beim Schreiben zwangsläufig etwas von einem Selbst mit hinein. Was nun die Popularität angeht, habe ich festgestellt, dass es tatsächlich nur eine Frage von Qualität, Kontinuität und Authentizität ist und nicht dem Genre. Es dauert zwar etwas länger bei komplexen und inhaltsschwangeren Texten sich zu etablieren, schlussendlich glaube ich aber, dass es langfristig keine großen Unterschiede zwischen den Genres bei der Publikumswahrnehmung gibt.

Du selber trägst ja in Halle auch eine Lesebühne ins Volk hinein. „Schwarz auf Weiß“ heißt diese und findet Anfang 2018 wieder in der Goldenen Rose statt. Wie gestaltest Du denn die Show? Nur Melancholie und Dystopie? Oder auch mal knallbunter popliterarischer Zirkus? Welches Konzept verfolgst Du?
Die Lesebühne „Schwarz auf Weiß“ ist ein völlig neuer Ansatz, der zwischen einer klassischen Lesebühne und einer Präsentation passiert. Am Anfang steht immer ein Thema. Am 5. Januar wird „Schwarz auf Weiß“ in der „Goldenen Rose“ stattfinden (19 Uhr Einlass und 20 Uhr Beginn), und ich habe das Thema „Stille“ gewählt, da ich mich grob nach den Jahreszeiten richte. Folglich findet die Bühne viermal in Jahr statt. Im Fokus stehen auch hier die Texte, welche diverse Aspekte zu diesem Thema, in vier Etappen, beleuchten. Also was Stille alles sein kann: schön, verstörend, ausklingend, kalt, beruhigend, usw.. Die Textform ist dabei auf eine Mischung von Belletristik und Lyrik gefasst. Für gewöhnlich sind die gelesenen Texte von mir und einem Gastautoren. Aber es gibt noch mehr. Die klassischen Literaten kommen auch mit ins Spiel. Die einzelnen Etappen enden jeweils mit einem Hörbuchbeitrag von bekannten Schriftstellern, zum Thema passend. So gab es zum Beispiel jetzt im Oktober zum Thema „Wandel“ Beiträge von Kafka (persönlicher Wandel), Schiller (Wandel in der Natur) und Brecht (gesellschaftlicher Wandel), sowie einen Gastautoren, welcher zu DDR-Zeiten aktiv in der Literaturszene tätig war. Eine kleine Beamer-Präsentation unterstreicht die Audiobeiträge dann noch mit Informationen und Illustrationen. Am Ende des Abends gibt es dann noch einen kleinen Filmbeitrag zu dem Thema. Ja, das passiert bei „Schwarz auf Weiß“. Zwischen den vier Etappen gibt es je 10 Minuten Pause. Diese sind notwendig, damit das Publikum reflektieren kann. Zudem passiert genau hier das, weshalb die Lesebühne „Schwarz auf Weiß“ heißt. Hier liegen nämlich die Texte aus, welche gelesen wurden. Auch verkriechen ich und mein jeweiliger Gastautor uns nicht Backstage, sondern sind in diesen Pausen mit im Publikum, so dass ein Dialog möglich wird. Für den 05.01.2018 bin ich gerade noch in der Vorbereitung der klassischen Hörbuchbeiträge. Zwei von drei Autoren habe ich schon ausgesucht, Rilke und Tolstoi werden diesmal zu hören sein. Der Gastautor möchte zunächst nicht genannt werden, was ich respektiere. Kann aber garantieren, dass seine Werke gut zum Thema passen werden.

Amateure sind mir genauso recht wie Literaturgrößen.

Da wollen unsre Leserscharen natürlich trotzdem wissen, wen Du da so mit auf der Bühne haben wirst, Anfang 2018.
Wie gerade gesagt, es ist eine kleine Überraschung. Im Prinzip ist es jedoch völlig offen gehalten. Jede Folge von „Schwarz auf Weiß“ ist so gesehen ein einzigartiges Konzeptkunstwerk. Mir geht es in diesem Konzept weniger um die Namen, sondern viel mehr um die Texte. Das Thema, in diesem Fall „Stille“, sollte sich darin wiederfinden können und am Ende des Abends an Vielfältigkeit gewonnen haben. Amateure sind mir da genauso recht wie aufgeschlossene Literaturgrößen. Ich bin nunmehr ständig am Suchen nach neuen Autoren. Jedoch irgend eine Karriere zu pushen oder einen namhaften Literaten einzuladen, um Leute zu ziehen liegt mir fern. Es macht bei diesem homogenen Konzept auch nicht wirklich einen großen Unterschied, glaube ich.

Es gibt ja noch eine theatrale Buchleseshow zu dem Buch „Der Krähenwald“, und Du bist mit der Show andauernd unterwegs. Um was geht es denn in diesem literarischen Bühnenstück?
„Der Krähenwald“ ist das erste Buch, das ich öffentlich zum Verkauf angeboten habe. Es war sozusagen mein Start in die Autorensphären einer deutschen Buchlandschaft. So könnte man es betrachten, wenn man es rein aus der Perspektive eines Autoren-Leser-Verhältnisses betrachtet. Und manchmal finde ich es auch gut, wenn Menschen mit diesem Vorurteil in eine der Vorstellungen kommen, denn die Verblüffung ist dann oft sehr groß. Das freut mich immer sehr. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein Künstler bin, der in vielerlei Handwerken tätig ist. Neben dem Schreiben, male ich (als Gudo Ludwig) zum Beispiel noch und trete mit Feuerprogrammen (Gruppe: „Veu‑R – Das Feuertheater“) theatral auf. Und das Medienübergreifende liegt mir sehr. Mit „Der Krähenwald“ hatte ich ein Projekt ins Leben gerufen, das Malerei, Schneiderei, Hörspiel, Literatur und Schauspiel verbindet. Es ist von daher eher ein Literaturtheater mit Vernissage. Ich erzähle als Krähenprinz, einer Nebenrolle des Buches „Der Krähenwald“, die Geschichte eines namenlosen Wanderers, dem Protagonisten des Buches nach. Inhaltlich geht es um eine Suche und ein Werden. Es ist alles nicht so eindeutig wie in anderen Büchern, da die Handlung in der stetigen Nachbiografiesierung des Protagonisten passiert. Die Handlung passiert sozusagen aufgrund der Summe seiner bisherigen Erfahrungen und somit entwickelt sich der Charakter stetig weiter – verändert mitunter seine Ansichten und Verhalten. Das Genre ist Phantastik und die Reise von allerlei mystischen Geschöpfen begleitet, welche mit Metaphern und Analogien das Genre ein wenig in den philosophischen Bereich bringen. Während der Buchleseshow enthülle ich Stück für Stück die Originalmalereien aus dem Buch, welche im Zuschauerraum verteilt stehen. Da der Wanderer seine Geschichte in dem Buch ja in der Ich-Form nacherzählt, nimmt das Publikum den Platz des Wanderers ein. Ich agiere also in einem sehr imposanten Federkostüm und geschminkt, direkt im Zuschauerraum und spreche das Publikum direkt an. Beim Enthüllen der Bilder kommen dann noch die Hörspielbeiträge ins Spiel. Es sind ebenfalls Auszüge aus dem Buch, gelesen von einem weiteren Teilnehmer, und erfahrenen Leser, des „Projekt: Krähenwald“, welches wir zusätzlich noch mit ein paar Toneffekten zu Hörspielbeiträgen modifiziert haben. Diese rücken die Aufmerksamkeit des Publikums von meiner Rolle weg und führen es zu der Betrachtung der einzelnen Bilder. Die Bilder selbst sind innerhalb der Projektarbeit von „Projekt: Krähenwald“ entstanden. Von insgesamt 30 digital korrespondierenden Projektteilnehmern der „Lesegruppe: Krähenwald“ haben schließlich fünf Bildillustrationen mit eingegeben. Bereits damals war klar, dass es ein Format brauchte, das von Weitem zu sehen sein sollte, so habe ich das A2-Format als Mindestmaß vorgegeben. Die Bildfindung und Umsetzung habe ich frei gelassen, mich jedoch in ausführlichen Gesprächen mit den Künstlern damit auseinandergesetzt. Übrigens gibt es ab Mitte Januar die Möglichkeit, sich die Bilder, sowie eine aushängende Dokumentation des Projektes, im Ratshof in Halle, anzusehen. Ab Mitte Januar bis Ende Februar hängt sie dort in der vierten Etage aus. Da ich natürlich ohne Bilder nicht auftreten kann, gibt es zu Zeiten von Ausstellungen keine Bühnenshow zu „Der Krähenwald“. Was jedoch nicht schlimm ist, da ich bereits gerade dabei bin, mein zweites Buch zu schreiben und eine entsprechende Bühnenshow hinzuzuentwickeln.
„Der Krähenwald: Eine Ausstellung“ ist sozusagen der nächste Projektschritt. Auch ein Hörbuch und Weiteres ist angedacht. Ich lasse da dem Projekt freien Raum für diverse kreative Köpfe. Nachzulesen ist vieles über das Projekt auf meiner Hompage: www.veit-factory.de. Mein nächstes Buch werde ich auf jeden Fall eher einem Verlag anvertrauen. „Der Krähenwald“ wurde ja in der kleinen Druckerei Schulze in der Burgstraße auf edlem italienischen Papier gedruckt (nicht geplottet) und jedes Exemplar von der Buchbinderei Marré in Teicha handgebunden. Der Vertrieb lief nur über mich, sowie ausgewählte ziehende Händler. Im Hintergrund stand, dass ich ein Buch wollte, hinter dem ich stehen kann und das auch nachhaltig für die kommunale Wirtschaft funktioniert. Mit einen Warenpreis von 35 Euro ist das Buch dann natürlich eine gewisse Investition für die Käufer. Zudem ist der Vertrieb in Eigenregie recht zeitaufwendig und kompliziert. Nichts desto trotz ist die Erfahrungstrecke doch bisher recht positiv bei mir. Gut, ich bin natürlich kein Kaufmann, sondern eben Künstler. Das Interessante für mich war, dass es dann auch wirklich die Menschen gekauft haben, welche es schätzten. Man kann sagen, dass es bei einem so speziellen Buch dann doch die richtigen Menschen erreicht hat und ich habe mit fast allen zuvor mindestens ein Wort wechseln können oder ein Gespräch geführt. Das ist irgendwie dann auch recht cool und im Sinne einer kulturellen Nachhaltigkeit genau passend zu dem Projekt. Bei meinem zweiten Buch mache ich es mir jedoch etwas einfacher und beschränke mich auf meine Kunst. Das hat dann den Vorteil, dass man das Buch etwas günstiger erwerben kann und ich zudem etwas mehr daran verdiene, wenn es mit ISBN ist und zudem auf dem deutschen Buchmarkt von einem Fachverlag für Phantastik vertrieben wird. Selbst ein Verlag zu sein liegt mir da dann doch nicht so richtig.

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