Keimdetektivin Patricia Horn: „Antibiotika sind ein wertvolles Gut.“

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Am Sonnabend ist Europäischer Antibiotika-Tag. Gefährliche Keime kann man nur mit Antibiotika bekämpfen. Die jedoch werden immer wirkungsloser, weil die Keime Resistenzen bilden. Wirkt aber kein Antibiotikum mehr, ist die Medizin praktisch hilflos. Um auf den sinnvollen Gebrauch der kostbaren Wirkstoffe hinzuweisen, hat das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), eine Agentur der EU, den Antibiotika-Tag ausgerufen. Das hallesche Elisabethkrankenhaus (EK) geht schon seit einiger Zeit neue Wege und hat vor zwei Jahren eine zentrale Abteilung für Antibiotikamanagement eingerichtet. Im Gespräch mit StäZ-Redakteur Felix Knothe erläutert die Leiterin Patricia Horn, warum man inzwischen viele Patienten bereits bei der Ankunft auf Keime untersucht und was die Globalisierung mit der Entstehung solcher Keime zu tun hat.

Oberärztin Patricia Horn ist Leiterin des Antibiotikamanagements am Elisabethkrankenhaus. Foto: StäZ
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Frau Horn, „Europäischer Antibiotika-Tag“ klingt nach Normalität. Im Englischen heißt der Tag „European Antibiotics Awareness Day“. Awareness heißt Bewusstsein, „awareness campaigns“ sind Sensibilisierungskampagnen. Warum müssen wir sensibel sein in Bezug auf Antibiotika? Was müssen Patienten auf dem Schirm haben?
Wir müssen uns bewusstmachen, welch wertvolles Gut letztlich unsere Antibiotika sind. Wir haben nicht viele dieser sehr wichtigen Wirkstoffe, und wir müssen mit ihnen sorgsam umgehen – in allen Lebensbereichen.

Wie sich Bakterien vermehren, das ist Evolution im Zeitraffer.

Wie ernst ist das Problem der „resistenten Keime“, von dem man immer wieder liest?
Ärzte auf der ganzen Welt beobachten zunehmend, dass bestimmte Bakterienarten immer widerstandsfähiger gegen die gebräuchlichen Antibiotika werden. Diese werden also mehr und mehr wirkungslos. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe kann damit aber nicht Schritt halten. Zwar gibt es Reserveantibiotika, die als allerletzte Option zum Einsatz kommen sollten. Die Befürchtung vieler Mediziner ist, dass sich bestimmte Keime bald auch mit den mächtigsten Antibiotika-Keulen, die wir haben, nicht mehr behandeln lassen.

Wie bilden sich solche Resistenzen?
Bakterienarten gibt es zu tausenden, und Bakterien gibt es auch schon viel länger als uns Menschen. Durch den sehr kurzen Vermehrungsrhythmus haben sie einen schnellen Weg, sich an die Umwelt anzupassen, durch natürlich Auslese. Wenn Sie so wollen, ist das Evolution im Zeitraffer. Durch unseren Antibiotikaverbrauch haben wir in den vergangenen Jahrzehnten einen großen Selektionsdruck auf Bakterien aufgebaut. Das Prinzip „survival of the fittest“, Überleben des Bestangepassten, lässt sich hier ganz konkret beobachten. Ein Beispiel: Schon gegen das Penicillin [das erste Antibiotikum, das 1928/29 entdeckt wurde, Anm. d. Red.] gab es relativ schnell Resistenzen der Bakterienart Staphylokokken. Heute wirkt Penicillin oft gar nicht mehr gegen Staphylokokken. Dieser Wettlauf setzt sich bei allen Antibiotika bis heute fort. Die Zeit aber, bis Bakterien Resistenzen gegen einen neuen Wirkstoff entwickeln, verkürzt sich immer mehr. Heute geht man davon aus, dass ein neues Antibiotikum nach rund einem halben Jahr irgendwo auf der Welt den ersten Resistenzmechanismus hervorruft, und das führt dann auch schneller zu Problemen bei der Behandlung von Infektionen.

Nur weil ein Keim multiresistent ist, muss er nicht sofort Gefahr bedeuten.

Ist die Globalisierung Motor auch dieser Entwicklung?
Ja. Zum einen erreichen uns diese resistenten Bakterien einfach schneller. Wir bringen sie zum Beispiel aus dem Urlaub mit, ohne es zunächst zu merken. Besonders in südeuropäischen Ländern wurden sehr breit wirksame Antibiotika in großen Mengen eingesetzt, so dass dort häufig multiresistente Keime nachzuweisen sind. Zum anderen lässt zum Beispiel die globalisierte Pharmaindustrie viele Antibiotika oder Vorstufen davon in Asien herstellen mit dem Effekt, dass es dort wegen schlechter Abwasserentsorgung Gegenden gibt, in denen es sehr hohe Antibiotika-Anreicherungen im Boden gibt. Dort entstehen dann multiresistente Keime. Und dann werden weltweit in der Tiermedizin und in der Tiermast massiv Antibiotika eingesetzt – ein extrem hoher, vollkommen unnötiger Selektionsdruck für Bakterien, der dazu führt, dass uns auch über unser Essen, über das Fleisch, multiresistente, schwer behandelbare Keime erreichen können.

Die Gefahr lauert also inzwischen überall?
Nur weil ein Keim multiresistent ist, muss er nicht sofort Gefahr für den Körper bedeuten. Man wird nicht automatisch davon krank. Aber solche Keime leben dann neben allen anderen Bakterien in uns, auf unserer Haut und in großer Menge und Vielfalt in unserem Darm. Im Moment einer Erkrankung, wenn der Körper geschwächt genug ist können sie zum Problem und manchmal eben zum Hauptproblem werden.

Der Einsatz von Antibiotika müsste also in allen Bereichen drastisch zurückgefahren werden, ist es das?
Probleme wie in der Tiermast muss die Politik lösen, und auch der Verbraucher sollte wissen, dass manche Produktionsbedingungen für unser Billigfleisch eben mittelbar eine Gefahr für uns alle sind. Aber auch in der Medizin müssen wir viel rationaler mit Antibiotika umgehen. Es kommt zum Beispiel immer noch oft vor, dass bei einer normalen Grippe Antibiotika verschrieben werden. Weil Grippe eine Virusinfektion ist, helfen Antibiotika da gar nicht. Sie wirken gegen Bakterien. Viele niedergelassene Ärzte verschreiben sie dennoch, etwa um bakterielle Zusatzinfektionen zu vermeiden oder weil der Patient sich damit einfach besser fühlt. Vorbeugende Antibiotika-Behandlung ist aber das völlig Verkehrte, denn es erhöht unnötig den Selektionsdruck auf die Bakterien. Hinzu kommt, dass man mit so einer Behandlung die Vielzahl an nützlichen Bakterien, die in jedem von uns leben, mit erwischt. Nehmen sie die Darmflora: Sie trägt wesentlich zu einem gesunden Immunsystem bei. Antibiotika verändern und reduzieren die Flora und machen den Patienten so erst anfälliger für die wenigen gefährlichen Keime, besonders natürlich für Keime, die bereits resistent sind. Denn die bleiben übrig und haben dann leichtes Spiel.

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U. Geiß
6 Jahre her

Wird im EK auch Therapeutic Drug Monitoring (TDM) zur Überwachung von Antibiotika-Wirkspiegel während der Therapie eingesetzt?