Gespräch über das Ballett: „Wir ernähren uns vom Applaus“

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Das Pas de deux zur „Kameliendame“,  dem neuen Stück des Ballettensembles von Ralf Rossa an der Oper Halle, findet dieses Mal unterm Dach des Opernhauses statt, im holzgetäfelten Büro des stellvertretenden Ensembleleiters Michal Sedláček. Sedláček tanzt in dem Stück den Armand, den männlichen Hauptpart und Geliebten der „Kameliendame“ Marguertite. Yulia Gerbyna, die die Marguerite tanzt, ist wie Sedláček in Zivil zum Doppelinterview mit der Städtischen Zeitung gekommen. Es wird ein langes Gespräch über das neue Stück, über Klischees, den Narzismus und den Dauermuskelkater der Balletttänzer.

Yuliya Gerbyna, Foto: Konrad Kästner/TOO.

Frau Gerbyna, Herr Sedlacek: Für die, die „Kameliendame“ noch nicht gesehen haben: Lohnt es sich?
Yuliya Gerbyna: Na klar. Es ist ein sehr schönes Stück. Es ist Weltliteratur fürs Ballett adaptiert. In dem Roman vernetzten sich viele Themen: Liebe, Macht, die eine starke Frau, die an den Verhältnissen scheitert.
Michal Sedláček: Es ist definitiv keine Geschichte zum Lachen. Aber obwohl sie traurig und tragisch ist, ist es eine, die man gerne liest.
Gerbyna: Und es steckt viel Aktuelles in dem Stück.

Die Anti-Emanzipation gibt es bis heute

Inwiefern? Vielleicht können Sie uns kurz Ihre Rolle erklären?
Gerbyna: Marguerite ist eine Kurtisane und wird deshalb von der Gesellschaft nicht als kluge, empfindsame und selbständige Frau wahrgenommen, die sie aber ist. Zu den gehobenen Kreisen darf sie nicht gehören, auch wenn sie ihr Leben ändert. Sie ist eine starke Persönlichkeit, mit vielen Facetten. Als Kurtisane verkehrt sie in höchsten Kreisen. Und doch ist sie verletzlich, weil sie sich emotional öffnet. Der Vater ihres Geliebten mischt sich in ihre Liebe ein, zerstört sie, und dann erkrankt sie auch noch an Tuberkulose – und stirbt daran. Sie scheitert aber letztlich vor allem am Klischee, an den sozialen Schranken. Viele solcher wirkmächtigen Klischees über Frauen gibt es bis heute. Die Anti-Emanzipation gibt es bis heute: das Bild, dass Frauen auf Männer angewiesen sein müssen, oder dass sie sich vom Mann aushalten lassen, ist immer noch sehr stark.[ds_preview]

Würde heute auch etwas anders laufen als im 19. Jahrhundert?
Gerbyna: Vielleicht würde man heute die Stricke zu den Eltern eher zerreißen und sagen, wir brennen jetzt durch. Das war damals nicht üblich.
Sedláček: Aber es gibt doch bis heute kulturelle Kreise, wo diese Abhängigkeiten durchgezogen werden. Zwangsehe ist vielleicht ein extremes Beispiel, aber auch im normalen Leben fällt es vielen auch heute noch schwer, sich von den Erwartungen der Eltern oder der Gesellschaft zu lösen.

Michal Sedláček, Foto: Konrad Kästner/TOO.

Herr Sedláček, was ist eigentlich die Rolle des Mannes in dieser tragischen Beziehung?
Sedláček: Danke, dass Sie fragen. Die „Kameliendame“ handelt ja nicht nur von Marguerite, sondern auch von Armand, der sich in Marguerite verliebt. Er weiß bis zum Schluss nicht, warum sie sich wieder von ihm trennt.

Weil sein Vater sie unter Druck setzt.
Sedláček: Ja. Armand hat die Einmischung des Vaters zwar einigermaßen ignoriert und sich mit ihm auseinandergesetzt. Dann geht der Vater aber zu ihr und macht ihr kompromisslos klar, dass die Beziehung für Armand nicht gut ist. Als Mann in der oberen Gesellschaft darf er natürlich eine Prostituierte besuchen, aber er darf sich nicht verlieben. Armand weiß bis zum Schluss nicht, woran es lag, dass Marguerite ihn verlässt. Er beleidigt und erniedrigt sie, weil er denkt, sie sei wegen des Geldes gegangen und habe ihre Liebe verraten. Am Ende hat nicht nur sie alles verloren, sondern auch er. Ohne eigene Schuld.
Gerbyna: Ich habe mich immer beim Lesen gefragt: Hätte sie genauso gehandelt, wenn sie gesund gewesen wäre? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, sie hat sich auch von Armand getrennt, weil sie wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hat.

Also Trennung aus Liebe?
Sedláček: Ja, aus Liebe.

Klischees über Tänzer: Alle Männer, die das machen, sind Tunten und laufen mit Strumpfhosen herum. Und alle Frauen sind leichte Mädchen.

Liebe, Macht, Sex: Gibt es heute immer noch die gleichen Mechanismen wie damals?
Sedláček: Eine Prostituierte außerhalb eines Puffs zu treffen, hat bis heute kein gutes Prestige. Auch wenn sie Bauarbeiterin wäre, wäre das beispielsweise für einen Geschäftsführer nicht gerade eine passende Partie. In Krankenhäusern heiraten die Krankenschwestern die Ärzte, kaum jedoch umgekehrt. Status ist also immer noch ein Thema in menschlichen Beziehungen. Das Wichtige an dem Stück, damals wie heute, ist die Botschaft, dass auch eine Prostituierte ein Mensch ist. An der Aktualität der Botschaft hat sich im Grunde nicht viel verändert. Wir verletzen uns heute nur auf andere Art: Eine Trennung funktioniert heute per Whats-app.

Wäre spannend, das mal als Ballett zu sehen.
Sedláček: Es wäre auf jeden Fall ein sehr schnelles Stück. Jeder schaut doch heute alle zwei Minuten aufs Handy, welcher Kram schon wieder irgendwo gepostet worden ist. Wir sind überfordert von all den ganzen Informationen. Alle zehn Minuten lesen wir von Krieg und Gewalt irgendwo auf der Welt. Dann ploppt wieder eine Message von der besten Freundin auf. Pling, pling, pling. Wir nehmen das alles zur Kenntnis, aber an uns heran lassen wir es nur noch sehr sehr selten.
Gerbyna: Schon die Frage „Wie geht es Dir“, ist heute viel oberflächlicher als früher. 50 Prozent mindestens würden einfach immer sagen: „Gut“ – egal ob das stimmt. Im Stück sieht man das sehr gut. Wir sehen dort eine sehr oberflächliche Gesellschaft.
Sedláček: Außer Armand interessiert es niemanden, wie es Marguerite geht.

Man muss also zum Ballett gehen, um Emotionen und Gefühle authentisch zu erleben?
Gerbyna: Ja, das kann man so sehen. Beim Ballettzuschauer muss die eigene Phantasie sehr stark mitmachen. Das öffnet bestimmte Teile des Herzens und des Hirns. Beim Ballett spürt man das menschliche Dasein auf eigene Art, durch die Präsenz der Tänzer. Da ist unsere Kunst.
Sedláček: Man kann sich beim Ballett sein eigenes Kopfkino anstellen. Aber nur weil hier Kostüme und eine schöne Kulisse dabei sind, heißt das nicht, dass das Stück nicht auch etwas mit unserer Zeit zu tun hat. Aber auch wenn jemand nichts Großartiges hineininterpretiert, hoffen wir, er hat einen schönen Abend gehabt. Auch so funktioniert Ballett.
Gerbyna: Klar, das ist auch ok. Nicht jeder muss danach eine Diplomarbeit über das Stück schreiben können.

Ist Halle eine Ballettstadt?
Sedláček: Ich weiß nicht, ob es so etwas wie eine Ballettstadt gibt, aber wir haben viele Fans. Seit Ralf Rossa in Halle ist, haben viele Menschen zum Ballett gefunden und sind begeistert von der Kunst, die er hier macht. Es gibt Leute, die haben manche Stücke 25 Mal gesehen. Andere, die vor 15 Jahren noch jung waren, sind jetzt auch Väter und Mütter und kommen heute mit ihren Kindern ins Ballett.

Ist Ballett wieder mehr en vogue? Es galt eine Zeit lang ja als sehr elitäre Kunstform mit einer hohen Schwelle, die man als Zuschauer überwinden musste. Was hat sich geändert?
Sedláček: Es gab lange zwei starke Klischees über Tänzer: Alle Männer, die das machen, sind Tunten und laufen mit Strumpfhosen herum. Und alle Frauen sind leichte Mädchen. Diese Klischees gibt es auch heute noch. Wir müssen nur zum Arbeitsamt gehen oder zur Ausländerbehörde und sagen, was unser Job ist. Schon wird gefragt, ob die Stange senkrecht oder waagerecht steht.
Gerbyna: Mich fragen sie dann oft, „welche Art Tänzerin“ ich sei.
Sedláček: Bei vielen haben sich solche Vorstellungen aber schon abgebaut. Ballett ist eine Kunstform, die ganz wichtig ist für die Kultur und für das Theater. Das verstehen wieder mehr Menschen als früher.
Gerbyna: Und das Ballett selbst hat sich auch entwickelt. Es ist vielfältiger geworden. Es gibt die modernen Stücke, mit moderner Musik, bei denen keine Spitzenschuhe oder Tutus getragen werden, genauso wie die klassischen Inszenierungen. Es ist für viele etwas dabei.

Foto: Anna Kolata/TOO

Was treibt Balletttänzer an?
Sedláček: Wenn eine Premiere ein supergroßer Erfolg ist, wie bei der „Kameliendame“, dann ist das der größte Lohn. Wissen Sie, wir sind Egoisten in einem Ego-Job…
Gerbyna: …ich würde eher Narzisten sagen…
Sedláček: Gut, das übernehme ich. Wir sind Narzisten. Wie in jedem anderen Beruf, in dem man beschließt, vorne im Rampenlicht zu stehen, ernähren wir uns vom Applaus, noch dazu weil wir, anders als in manch anderen Berufen, nicht viel Geld verdienen, leider. Applaus ist der Grund, warum wir das machen, nicht der Muskelkater jeden Tag.

Muskelkater? Ich dachte, Baletttänzer wären durchtrainiert.
Gerbyna: Klar sind wir das, aber Muskelkater hat man trotzdem. Jedes Mal, fast jeden Tag. Tanzen fordert den ganzen Körper, und man bewegt sich jeden Tag anders.
Sedláček: Und je älter man wird, desto länger dauert der Muskelkater.

Und was macht man gegen Muskelkater? Das interessiert sicherlich viele.
Sedláček: Einfach weiter trainieren.
Gerbyna: Vorher ordentlich warm machen ist das einzige, das hilft. Die ganzen Tricks mit dem muskelentspannenden Glas Bier hinterher, mit den fünf Litern Kirschsaft oder mit dem heißen Bad: Das ist alles Mist. Glauben Sie mir: Ich habe es ausprobiert.

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