Früher war alles besser

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Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben.
Aber den mit dem Bart, mit dem langen Bart. (Heino)

Ein Bekannter von mir fährt jedes Jahr im Sommer zum Zelten in die Vergangenheit. In Leinen und Schurwolle gewandet, treffen sich dort Kelten aus allen Schichten der Bevölkerung und verbringen gemeinsam ein Wochenende in einem Land vor unserer Zeit. Er hatte übrigens auch mal eine Freundin, die aber aufs Mittelalter stand – eine Verbindung, die trotz allem mühelos den Abstand von Jahrhunderten überwinden konnte.

So leben inzwischen Leute aus so ziemlich allen Epochen der Vergangenheit unter uns – vornehmlich an den Wochenenden. Ihre Zeitalter können noch so finster gewesen sein: Je weiter sie zurück liegen, desto besser sind sie anscheinend geeignet für eine Flucht ins schurwollene, plastikfreie Alternativdisneyland.[ds_preview]

Das Verklären der Vergangenheit scheint irgendwie tief in der Natur des Menschen verankert zu sein. Ich gebe zu, dass ich mit dem Ganzen nichts anfangen kann, und befürchte deshalb langsam, dass ich nicht richtig ticke. Ich würde nie freiwillig auf Mittelaltermärkte, Völkerschlachtbiwaks oder Ostalgiepartys gehen. Diese Vergangenheitstümelei kann ganz gut ohne mich stattfinden. Dass Mittelaltermärkte „die Furunkel am Arsch der Menschheit“ sind, haben aber andere behauptet.

Neben Kelten, Wikingern, Irokesen und fahrendem Volk aus dem Mittelalter ist mir vor kurzem auch ein Anhänger der guten alten Kaiserzeit untergekommen. In einem Regionalblatt beklagte er den kulturellen Niedergang unserer Heimatstadt und schwärmte von vergangenen, großartigen Zeiten, von Zeiten, als die letzten Kaiser, der mit dem Bart und der ohne, noch in Preußen das Sagen hatten. Damals gab es nämlich noch Männer, die für ihre Stadt brannten, die sie voranbringen wollten und sich für Halles Glanz und Gloria aufopferten. Aber heute? Alles vorbei und vergessen. Die Lebens‑, Leistungs- und Hochkultur der Vergangenheit – ja, der ganze Kapitalismus – ist verkümmert.

Von ihren Gipfeln herab ging die Fahrt in das Tal einer tristen Gegenwart, das offenbar nun von Verächtern der Hochkultur und Verteidigern der Subkultur besiedelt wird.

Schlimm!

Ja unterm Kaiser, da gab es noch ein Bürgertum, das diesen Namen verdiente. Der unwichtige Rest der Stadtbevölkerung hatte damals gottseidank noch nichts zu melden.

Wie gesagt: Wahrscheinlich ticke ich nicht richtig ewiggestrig. Als der unvergessene Oberbürgermeister Rive im Jahr 1906 in Halle das Ruder übernahm, gab es im Rat gerade mal fünf Sozialdemokraten. (Das war damals der ganz linke Rand.) Dies lag aber nicht daran, dass die kaum jemand wählen wollte. Es lag am preußischen Dreiklassenwahlrecht, das dafür sorgte, dass die besseren Vertreter des Volkes fürs Regieren immer eine satte Mehrheit einfahren konnten. Auch Spinner, die sich mit Gaga-Wahlkampf einen Sitz im Rat hätten erobern wollen, wären damals ohne Chance gewesen.

Heute dagegen gibt es keine reichen Bürger mehr, die für das Wahre und Schöne auch mal tiefer in ihre gut gefüllten Taschen greifen könnten. Und beim Verteilen des Geldes der Stadt haben jetzt sogar Leistungsverweigerer und kulturlose Misanthropen ein Mitspracherecht. Wo also soll das alles noch hinführen?

Hallenser, Halloren, Halunken: Fragt nicht, was eure Stadt für euch tun kann. Fragt, was ihr für eure Stadt tun könnt!

Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ich persönlich gehöre zum Beispiel zu den größten Kleinspendern unserer Stadtbibliothek. Von meinen Versäumnisgebühren konnten dort schon einige Werke der Welt- und Trivialliteratur in den Bestand eingefügt werden. Wenn in der Zukunft jeder Einzelne seinen Beitrag zu leisten gewillt wäre, müsste unser kaisertreuer Freund seine Tage nicht mehr mit dem Blasen von Trübsal verbringen, was mich übrigens auch persönlich sehr freuen würde.

Zum Abschluss hänge ich hier – zur Verbesserung der schlechten Laune – noch Worte der Hoffnung von einem großen deutschen Kleinkünstler der Jetztzeit an:


Peace!

PS: Verachtet mir bloß die Kleinkünstler nicht!

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