Fehlt eigentlich was?

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StäZ-Kolumnist Arne Moritz, Foto: Simone Henninger

Ein Mann geht um die Ecke.

Was fehlt?

– Der Witz.

Diese Anti-Scherzfrage brachte eine meiner schulpflichtigen Töchter vor Jahren mit nach Hause. Mir gefällt so etwas. Manchen hingegen mag dabei der Witz fehlen. Ihnen sei entgegnet, dass der Anti-Witz mit diesem Mangel ja zumindest nicht hinter dem Berg hält.

Mit dem Fehlen haben wir es ständig zu tun. Mich ereilt das Fehlen zum Beispiel immer, wenn ich zur Erleichterung der haushaltlichen Verrichtungen die Küchenmaschine zu benutzen versuche. Dann fehlt regelmäßig das Kunststoffteil, das die Drehung des Antriebs der Küchenmaschine auf die metallenen Raspelscheiben überträgt.

Dieses Plastikteil fehlt manchmal. Skizze: Arne Moritz

Während ich das schreibe, fällt mir auf, dass jenem unverzichtbaren Plastikteil, welches immer abgängig ist, wohl auch ein passender Name fehlt. Und offenkundig ein fester Platz in meiner Küche.

Einer der Witze beim Fehlen ist, dass es nicht einfach da ist. Jedenfalls ist es nicht so da wie etwas, von dem wir sagen, dass es da ist. Es fehlt ja eben etwas. Das haben findige Theologen schon immer gerne genutzt, um den göttlichen Schöpfer von dem Vorwurf zu entlasten, er habe eine böse Welt geschaffen. Das Böse, so sagten diese Theologen, ist gar nicht etwas. Es ist nur das Fehlen von etwas, nämlich das Fehlen des Guten bei denen, die das Böse tun. Der weltmachende Gott hat also das Böse nicht gemacht, weil ein Fehlen gar nicht etwas ist, was man macht.[ds_preview]

Offensichtlich kann diese Verteidigung Gott aber nur begrenzt weiter helfen. Man kann nun einmal etwas wegnehmen, so dass es dann fehlt. Und diese Art der Produktion des Fehlens muss man sich gewöhnlich durchaus anlasten lassen. Und selbst wenn man die schlechten Handlungen in dieser Welt nicht als etwas ansehen wollte, sondern nur als das Fehlen von etwas: es lässt sich doch fragen, warum ein Gott es zulässt, dass jemand – wer eigentlich im Einzelfall? – das Gute aus denen wegnehmen kann, die schlecht handeln, sodass das Gute dann fehlt.

Dennoch ist der Zusammenhang zwischen Gutem und Fehlendem, den die fraglichen Gottesgelehrten herstellten, aufschlussreich für die Art und Weise, wie es das Fehlen gibt. Vom Fehlen von etwas sprechen wir nämlich dann, wenn wir denken, dass etwas da sein sollte: z.B. das Gute, oder das Plastikteil der Küchenmaschine, mit der wir effizient Kartoffeln zerreiben wollen. Ein Fehlen gibt es also im Zusammenhang unserer Erwartungen, Wünsche, Ziele. So existiert es oft auch im Zusammenhang unserer Erinnerungen daran, wie etwas einmal gewesen ist und demnach, so denken wir jedenfalls häufig, noch immer sein sollte.

Deshalb haben wir es, siehe oben, auch dauernd mit dem Fehlen zu tun – weil wir einerseits auf die Zukunft ausgerichtete, ambitionierte, aber andererseits auch recht konservative Wesen sind, die sich wünschen, dass die Welt bleibt, wie wir sie kennen. Mit dem, was es gibt, verhält es sich diesbezüglich grundsätzlich anders als mit dem Fehlen. Es richtet sich recht häufig gerade nicht danach, was wir erwarten, wünschen, erreichen wollen oder erinnernd über den Zustand der Welt voraussetzen.

Und hier zeigt sich ein weiterer Witz des Fehlens. Wir können das Fehlen zum Beispiel dadurch beseitigen, dass wir unsere Wünsche ändern. Ich kann ja die Kartoffelpuffermasse auch von Hand reiben. Dann fehlt mir das Plastikteil der Küchenmaschine nicht.

Aber natürlich ist das ein sehr gefährlicher Spielzug. Das Fehlen der Trauben im eigenen Leben lässt sich zwar vergessen, indem wir uns sagen, dass jene Trauben ohnehin sauer schmecken werden und wir sie uns gar nicht wünschen sollten. So macht das bekanntlich ein Fuchs in einer berühmten antiken Fabel. Wenn wir so vorgehen, fehlt aber etwas an unserem Leben. Jedenfalls bei vielen Wünschen, die wir hier für den Wunsch nach Trauben im eigenen Leben einsetzen können. Wünsche, Erwartungen, Ziele und Erinnerungen an die Welt, die unser Leben besser machen, sollten wir nicht aufgeben, auch wenn wir uns dadurch entlasten könnten.

Aus dieser Einsicht ist folgende philosophische Übung zu gewinnen. Sie ist leicht zu erproben in den derzeit häufiger werdenden Momenten der jahresendzeitlichen Einkehr:

Gehe alle Wünsche, Erwartungen, Ziele und Erinnerungen an den Zustand der Welt durch, die du nicht hast – oder nicht mehr hast. Prüfe, ob sie dir fehlen, also ob dein Leben besser wäre, wenn du sie hättest.

Hat man genug von dieser Art Gedankenyoga kann man sich im Sinne des vorweg Gesagten sogleich noch an folgende, gegenläufige Übung machen:

Gehe alles durch, was Dir zu fehlen scheint. Prüfe, ob sich deine Wünsche, Erwartungen, Ziele und Erinnerungen an den Zustand der Welt ändern lassen, sodass dieses Fehlen verschwindet und dein Leben doch gleich gut bleibt.

Mit letzterer Übung können all diejenigen anfangen, die trotz meiner aufrichtigen Anstrengungen finden, dass all diesen Überlegungen zum Fehlen vor allem eines fehlt – na klar –

der Witz.

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