Zwei Menschen als Molekül

Am Neuen Theater hat am vergangenen Freitag Heisenberg Premiere gehabt. Das Zweipersonenstück könnte der Geheimtipp der Theatersaison werden.

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Eine Tragikomödie, das ist, so könnte man meinen, nichts Halbes und nichts Ganzes. Traurig und komisch zugleich, das muss man erstmal hinbekommen, als Dramatiker, als Regisseur und natürlich auch als Schauspieler. Wer wissen will, wie eine gelungene Tragikomödie aussieht, der sollte sich „Heisenberg“ anschauen, das am vergangenen Freitag am Neuen Theater Premiere hatte. Das Stück des Briten Simon Stephens, Jahrgang 1971 und einer der angesagtesten zeitgenössischen Theaterautoren der Insel, ist in der Regie von Dietmar Rahnefeld sehr kurzfristig auf den Spielplan des nt gekommen, nachdem das Projekt Maritim geplatzt war. Ein Notstück ist es jedoch keineswegs. In Düsseldorf hat es voriges Jahr mit Burkhart Klausner und Caroline Peters Erfolg gehabt. Mit Petra Ehlert und Hilmar Eichhorn in zwei starken Rollen hat „Heisenberg“ nun auch am nt das Zeug, zum Geheimtipp der Theatersaison zu werden. Denn man kann hier dem leisen Liebesdrama zweier sehr trauriger Menschen zusehen – und sich dabei köstlich amüsieren.

Alex (Hilmar Eichhorn) und Georgie (Petra Ehlert) treffen sich zufällig am Bahnhof und sind beide überrascht über das, was sich da anbahnt. Fotos: Anna Kolata/TOOH
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Alex Priest – treffender Name – ist Fleischer, Ende 60, vielleicht auch Mitte 70, Einzelgänger seit Jahrzehnten, still und verschlossen, aber mit heimlichen Leidenschaften. Sie, Georgie Burns, ist 20 Jahre jünger, und wie der Name schon sagt, brennt sie noch. Sie ist die Plappertasche, die viel erzählt, vielleicht um ihre tiefen Probleme, ihre Lebenskrise zu kaschieren – nur um dann doch alles auszuplaudern. Eine Romantisch-Verzweifelte, vom Kindsvater verlassen und vom erwachsenen Sohn noch dazu – so erzählt sie es jedenfalls. Aber egal, welche Geschichte stimmt: Auf der Suche nach ihrem Leben ist sie ohne Zweifel. Und findet Alex.

Alles beginnt auf einem Bahnhof, wo Alex einfach mal so herumsitzt, man weiß nicht, warum. Man weiß auch nicht, warum Georgie ihn, von hinten kommend, in den Nacken küsst. Eine Verwechslung? Ein verweifelter Versuch, kurz vor 50 noch einmal jemanden kennenzulernen? „Du bist noch langweiliger, als Du im wahren Leben wirkst“, sagt Georgie, die Lebenshungrige, zu Alex, als sie sich eine Weile kennen und beide gleichermaßen überrascht sind, über das, was sich da anbahnt. Fast das ganze Stück lang scheinen sie sich zu fragen, warum sie dieser Anziehung trotz nicht ausbleibender Enttäuschungen nicht widerstehen können.

Der theatrale Anwendungsfall der Heisenbergschen Unschärferelation: zwei Elemetarteilchen in seelischer Bewegung.

Was ist die Chemie – oder vielleicht auch die Physik – die zwei so unterschiedliche Menschen sich einander nähern lässt? Was bewirkt, dass sie sich binden und letztlich aneinanderketten wie zu einem neuen Molekül? Kann man das ergründen? Wissenschaftlich gar?

„Die Persönlichkeit – sie existiert nicht“, sagt Alex Priest im Stück. „Das wird immer missverstanden. Sie ist bloß die Summe dessen, was der Mensch im Einzelnen tut. Sie bedeutet nichts.“ Was wäre dann der Mensch? Wie kann er aufrecht stehen in einem sich rasant drehenden Universum, als klitzekleines Teilchen? Und kann man ihn dann noch verstehen, indem man ihn wie ein Elementarteilchen beobachtet? „Wenn man etwas intensiv genug beobachtet, begreift man, dass man unmöglich sagen kann, wohin es sich bewegt und wie schnell es dorthin gelangt“, sagt Georgie an anderer Stelle.

„Du bist noch langweiliger, als Du im wahren Leben wirkst.“ (Georgie zu Alex)

Alex und Georgie sind der theatrale Anwendungsfall der Heisenbergschen Unschärferelation, mit der der Quantenmechaniker Werner Heisenberg den Glauben an letztdeutige Naturwissenschaft erschüttert hat. Die Zukunft, so eine der Deutungen, lasse sich nicht wissenschaftlich exakt voraussagen, weil man schon allein bei der Beobachtung Einfluss auf das Ergebnis nimmt. Die Zukunft lässt sich also nicht erklären. Auch nicht der Mensch und auch nicht die Liebe. Wenn nach der Chaostheorie der Schmetterling am Amazonas am anderen Ende der Welt einen Sturm auslösen kann, was können dann die Schmetterlinge im Bauch?

Es braucht diesen eigenartigen Exkurs, um überhaupt zu verstehen, warum das Stück Heisenberg heißt. Der spröde, erklärungsbedürftige Titel ist aber die einzige, im Grunde lässliche Schwäche des Stücks, das ansonsten vor allem durch einen sehr gut austarierten Text besticht. Weltsinn und Komik, das geht nicht oft so einträchtig Hand in Hand wie hier. Denn Simon Stephens und der deutschen Übersetzung von Barbara Christ gelingt es vorzüglich, den Grat zwischen abstrakter Philosophie und dramatischer Kurzweil zu beschreiten. Trotz all der tiefgründigen Passagen lacht das Publikum fast im Minutentakt.

Und da sind natürlich zwei großartige Schauspieler. Wie Petra Ehlert und Hilmar Eichhorn das spielen, die lange Annäherung der beiden Charaktere, dieser Elementarteilchen in seelischer Bewegung, in individueller Verzweiflung, aber auch mit der magischen Anziehungskraft der Körper, das ist sehr berührend und gleichzeitig eben immer wieder brüllend komisch.

Mag sein, dass es für das Leben und die Liebe in der Wissenschaft keine Formel gibt. Das Theater hat sie manchmal. Hier ist man gerne lachender Beobachter dieser tragikomischen Gestalten.

Berührend und gleichzeitig immer wieder brüllend komisch: Petra Ehlert und Hilmar Eichhorn.

„Heisenberg“ von Simon Stephens läuft das nächste Mal am Sonntag, 5. November, in der Kammer des nt.
Spieldauer: 2 Stunden, 15 Minuten, eine Pause.

Alex Priest: Hilmar Eichhorn
Georgie Burns: Petra Ehlert

Regie: Dietmar Rahnefeld
Bühne und Kostüme: Sabine Pommerening
Dramaturgie: Henriette Hörnigk
Inspizienz: Matthias Hlady
Regieassistenz: Miriam Schmid

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