Driften durch Halle – Werkleitz stellt Arbeiten vor

In diesem Jahr stand "Stadtbeobachtung" im Mittelpunkt des Kunstfestivals. Doch auch in die Debatte um Kulturprojekte wie das "Hasi" mischt es sich ein.

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Seit gut einer Woche ist wieder Werkleitz-Zeit in Halle. Das Festival, das sich immer im Herbst mit seiner markanten Mischung aus Medienkunst und Einmischung zu Wort meldet, hat am Sonnabend erste Ergebnisse der diesjährigen Arbeit vorgestellt. Arbeit, die in drei Workshops zum allgemeinen Thema Stadtbeobachtung und unter dem Motto „Nicht mehr, noch nicht“ stattgefunden hat.[ds_preview]

Ausstellung der Beobachtungsworkshops des Werkleitz-Festivals 2017, Fotos: StäZ

Am Sonnabend läuft also nun zum Beispiel auf einem Monitor in einem Schaufenster in der Großen Ulrichstraße ein etwas anderes Video. Wer näher hinsieht, erkennt das Nordbad in Trotha. Die Bilder sind bekannt, doch die Video-Künstlerin war, so erfährt man später, nie selbst vor Ort, sondern hat sie aus 360-Grad-Bildern aus dem Internet zusammengeschnitten. So erklärt sich die doch deutlich andere Bildästhetik. Stadtbeobachtung der neuen Art.

Trotha ist einer der drei Stadtteile, die Werkleitz in den Mittelpunkt des Interesses gestellt hat. Der Südpark in Neustadt und der Rossplatz sind die anderen. In drei Workshops haben sich dann in der vergangenen Woche Studenten aus Hamburg, Stuttgart und Halle mit dem Festivalort Halle beschäftigt, das „Nicht mehr“ und das „Noch nicht“ in den drei Stadtteilen ausgelotet. Mancher kannte Halle, die allermeisten jedoch noch nicht. Was hier nun im zentralen Ort des Festivals in der Großen Ulrichstraße 12 ausgestellt ist, sind die Ergebnisse der Arbeit. Beobachtungswerke.

Auf dem Boden im Festivalzentrum steht ein Monitor, auf dem ein kurzer Film in Endlosschleife läuft. Darin ein Mann in Guerilla-Manier, der Extrem-Schaumfestiger auf Trothas Gehwegen verteilt und dann die Reaktionen der Menschen und Tiere filmt. Weiter hinten im Raum hängen ein Dutzend Klemmbretter an der Wand. Sie stehen für verschiedene Methoden der Beobachtung des Südparks, die die Studierenden selbst entwickelt haben. Kontaktaufnahme per E‑Bay-Kleinanzeigen ist eine, Beobachten eines Wohnhofes eine andere.

„Anspruchsloser Kaffee“: Am Café Tannert war ein Driftweg durch Trotha zu Ende.

Zwischendrin, an den Pfeilern der niedrigen Ausstellungshalle, hängen Notizzettel über Orte in Trotha. Es soll eine psycho-geografische Karte sein, eine von mehreren, die in einem der Workshops entstanden sind. Einen Tag lang sollten die Studierenden durch Halle „driften“, sich auf Halle einlassen und die Beobachtungen, ihre subjektiven Daten, dann kartografieren. Die Studentinnen, die die Notizzettel erstellt haben, gingen so vor, dass sie protokollierten, wodurch sie aufgehalten wurden, wenn sie einfach geradeaus gegangen waren: ein Baum, ein Zaun, eine Kindergärtnerin. Jeder Barriere widmeten sie dann noch einen Vers.

Es geht in allen Arbeiten um das Subjektive, die Aneignung, das vielfältige Sehen. Für Halle ist dabei immer interessant, den unverstellten Blick von außen zu erhalten und in die innerstädtische Selbstreflexion einzubringen. Für die Studenten wiederum „sind es wichtige Impulse für die weitere Arbeit in ihren Fachrichtungen an ihren Hochschulen“, sagt Werkleitz-Direktor Daniel Herrmann im Gespräch mit der Städtischen Zeitung. Halle kennenzulernen, ist dabei inklusive.

„Man sieht immer zuerst das, was man sehen will“, sagt Daniel Herrmann dann zur Präsentationsveranstaltung der Workshops. „Wenn man das dann dreht und wendet, wird man frei.“ Beobachtung, next level.

Werkleitz-Direktor Daniel Herrmann

Was ist nicht mehr, was noch nicht: Natürlich fungiert das Werkleitz-Festival, das neben den Workshops für Studierende auch wieder mit einem großen Filmprogramm aufwartet, auch in diesem Jahr wieder als Resonanzboden für aktuelle Kontroversen in der Stadt. Diesmal forciert es beispielsweise die Debatte um freie kulturelle Räume. Bei der Vorführung von Ausschnitten des bisher unveröffentlichten Films „Abgefärbt“, der sich um die Entwicklung des Stadtteils Freiimfelde dreht, entspann sich die Diskussion schnell um Aktuelles wie die Schließung des La Bim oder das heiß diskutierte alternative Projekt in der Hafenstraße 7, „Hasi“. Auch Vertreter des Stadtplanungsamts der Stadt waren dabei. „Es ging natürlich auch um die Frage, ob die Stadt, also die Exekutive, nicht auch die Aufgabe hat, so etwas zu unterstützen“, berichtet Daniel Herrmann. „Man kann sich nicht als Kulturhauptstadt verstehen und bewerben wollen und dann solche Netzwerke der Off-Kultur nicht fördern“, findet er.

Methoden der Stadtbeobachtung, erklärt auf Klemmbrettern

Das „Hasi“-Projekt, das das Haus zuerst besetzt hatte, wird derzeit von der HWG, der das Haus gehört, per Nutzungsvereinbarung geduldet. Doch eine Verlängerung muss immer wieder erkämpft werden. Die Stadt ist prinzipiell wohlwollend, aber vor allem von der CDU kommt auch harsche Kritik, auch HWG-intern im Aufsichtsrat. „Dass die HWG als kommunale Wohnungsgesellschaft, die Halle anderswo gerade sehr stark gentrifiziert, so eine Graswurzel wie das ‚Hasi‘ nicht unterstützt, geht nicht“, sagt Herrmann dazu. Wie die Debatte in Halle ausgeht, ist derzeit offen. Zum „Hasi“, dessen Haus von der Stadt gekauft werden könnte, um das Projekt weiter zu ermöglichen, wird in den nächsten Wochen intensiv im Stadtrat debattiert.

Zurück in die Werkleitz-Ausstellung. Studentin Fulya Cimen aus Österreich steht vor einem Aufsteller, auf dem hintereinander weg Gesprächsfetzen gedruckt sind. Cimen hat die Chat-App Jodel ausgedruckt, auch das eine psycho-geografische Karte, diesmal von der Gegend rund um den Rossplatz. Jodel ist bei Studenten beliebt und funktioniert anonym. Jeder kann irgendetwas posten und erhält die Nachrichten anderer Nutzer, die sich gerade in seiner Nähe aufhalten. Cimens Aufgabe für eine Art teilnehmende Stadtbeobachtung war es, sich mittels Jodel an einem Tag bei irgendjemandem zum Kaffee einzuladen oder selbst jemanden zum Kaffee einzuladen. Geklappt hat das nicht so richtig. Gerade mal ein Kaffeeplausch sei so zustande gekommen, erzählt sie. Die Anonymität der App ist eben doch nicht ohne Weiteres zu überwinden. Trotzdem ist aus dem Versuch der Ausdruck der Nachrichten entstanden, die sie an diesem Tag empfangen hat, ein digitaler Bewusstseinsstrom aus Halle auf Papier, der ihre Drifttour rund um den Rossplatz versinnbildlicht. „Man hat besonders in der Nähe des Steintorcampus gemerkt, dass hier Leben ist“, sagt sie. Cimen hat Halle so als „spannende Stadt“ kennengelernt, die unglaublich vielfältig sei. „Ich glaube, ich komme wieder“, sagt sie, „aber dann ohne Handy.“

Das Werkleitz-Festival geht noch bis zum 3. November. Die Ausstellung in der Großen Ulrichstraße 12 hat von Dienstag bis Sonntag von 14 bis 20 Uhr geöffnet. Zum Programm geht es hier.

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