Waisenhausring: Welcome-Treff und Freie Spielstätte müssen ausziehen

Zum Jahreswechsel schließen sich am Waisenhausring zwei wichtige Türen -- und gehen woanders wieder auf.

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Welcome-Treff und Freie Spielstätte unter einem Dach: Der Waisenhausring 2 hat zum Jahreswechsel geschlossen. (Foto: xkn/Archiv)

Halle/StäZ – Bislang war der Waisenhausring 2 eine wichtige Adresse in Halle. Seit 2015 gibt es hier den Welcome-Treff, das wohl wichtigste Integrationsprojekt in der Stadt. Betrieben von der Freiwilligen-Agentur, ist es ein Ort interkultureller, vor allem aber zwischenmenschlicher Begegnung. Im Frühjahr 2019 zog in den Saal der ehemaligen Theatrale auch die „Freie Spielstätte“ ein, eine Vereinigung freier Theater, die hier proben und aufführen konnten. Doch zum Jahresende ist für beide Einrichtungen Schluss am Waisenhausring. Die Verträge sind gekündigt. Die Baufirma Papenburg, der das Haus gehört, möchte, so ist zu hören, das Gebäude anderweitig vermieten. Doch während der Welcome-Treff schon eine andere Bleibe gefunden hat, ist für die Theaterleute vorerst nur eine Zwischenlösung realistisch.[ds_preview]

Christine Sattler und Julia Burghardt (v.l.) von der Freiwilligen-Agentur Halle im ehemaligen Welcome-Treff am Waisenhausring. (Foto: xkn)

Besuch noch im alten Jahr, ein paar Wochen vor dem Ende am Waisenhausring: Im Erdgeschoss sind ein paar Menschen zu Gange. Ein Spieletreff für den Abend wird vorbereitet. Es riecht nach Falafel. Christine Sattler und Julia Burghardt sind auch gekommen. Sie wollen mit der StäZ über die letzten vier Jahre sprechen und über den Neuanfang des Welcome-Treffs an anderer Stelle. Christine Sattler ist die stellvertretende Geschäftsführerin der Freiwilligen-Agentur Halle, Julia Burghardt ist die Leiterin des Welcome-Treffs. Sie erzählen von den Anfängen 2015. Am 6. Dezember jenes Jahres, nur wenige Wochen nachdem auch nach Halle viel mehr Flüchtlinge gekommen war als in den Vorjahren, öffnete der Treff seine Türen. Er war gedacht als erste Anlaufstelle und Treffpunkt für die Menschen, die in das zur Aufnahmeeinrichtung umfunktionierte ehemalige Maritim-Hotel am Riebeckplatz einquartiert worden waren. Die Freiwilligen-Agentur fand dafür in der ehemaligen Theatrale eine gute und, dank dem Entgegenkommen des Vermieters, der großen halleschen Baufirma Papenburg, vor allem auch günstige Örtlichkeit.

Interkultureller Notausgang. Zum Jahreswechsel zieht der Welcome-Treff in ein neues Domizil. (Foto: xkn)

„Am Anfang war die Laufnähe zum Maritim wichtig, weil die Neuankömmlinge sich in Halle natürlich nicht gut auskannten. Und es war wichtig für die Leute dort, auch mal aus dem Maritim rauszukommen“, erzählt Christine Sattler. Renoviert wurden die Räume damals in Eigenleistung, eine Firmen arbeiteten pro bono. An den Bühnen Halle traten die Künstler bei den Vorstellungen auf die Bühne und warben um Spenden. Der Name Welcome-Treff stand damals wie heute für offenen Arme, für hallesche Willkommenskultur gegenüber aus Not und Krieg Geflüchteten.

„Falafel&Games“: Programmtafel im Welcome-Treff. (Foto: xkn)

Es sind vier Jahre Erfolgsgeschichte. Aus dem Welcome-Treff ist inzwischen ein auch in anderen Städten beachtetes Erfolgsmodell geworden, auch weil sich der Treff nie nur als Club für Flüchtlinge verstand, sondern als Begegnungsstätte zwischen Nicht-Deutschen und Deutschen. „Integration ist keine Einbahnstraße“, sagt Julia Burghardt. „Alle müssen sich bewegen und alle Kulturen sich kennenlernen. Dafür ist der Welcome-Treff der Ort.“ Miteinander reden, voneinander lernen, sich gegenseitig helfen. Dass die sogenannte Flüchtlingskrise in Halle eben keine Krise wurde, hat auch viel mit dem Welcome-Treff zu tun.

Frauencafé im Welcome-Treff: „Schauen, was entsteht.“ (Foto: Freiwilligen-Agentur Halle)

Das Maritim ist inzwischen geschlossen, die meisten Flüchtlinge werden heute dezentral im Stadtgebiet untergebracht. Der Welcome-Treff ist dennoch als wichtiger Anlaufpunkt geblieben. Unter seinem Dach finden sich täglich rund 50 Menschen zusammen. Auch das Angebot entwickelt sich. Fanden hier anfangs vor allem Deutschkurse für Flüchtlinge statt, gibt es nun auch Arabisch- oder Farsi-Kurse für Deutsche. Montags gibt es ein Frauen-Café mit Kinderbetreuung, mittwochabends „Falafel&Games“. Es ist auch immer Platz für Neues: „Wir freuen uns über jeden, der etwas organisieren möchte. Dann schauen wir, was entsteht“, sagt Julia Burghardt. Und es ist viel entstanden, eine Struktur. Deutsche und bereits gut Integrierte leisten im Welcome-Treff unter anderem auch Bundesfreiwilligendienst. In einem anderen Projekt, das im Welcome-Treff seinen Anfang nahm, unterstützen Geflüchtete mit Halle-Erfahrung als Integrationslotsen Neuankömmlinge dabei, sich bei Behördengängen oder beim Arzt zurechtzufinden. „Der Welcome-Treff ist ein gutes Beispiel für Engagementförderung im Integrationsbereich“, sagt Christine Sattler. „Es braucht diesen Ort“, so Julia Burghardt, „hier kommen viele verschiedene Communities zusammen.“

Es riecht nach Falafel: Der Welcome-Treff war vier Jahre lang eine wichtige Anlaufstelle für den interkulturellen Austausch. (Foto: xkn)

Dass nun nach vier Jahren Schluss ist, hängt offenbar mit einer Neuorientierung des Vermieters zusammen. Genaues ist nicht zu erfahren, außer dass Papenburg die Verträge gekündigt hat. Papenburg selbst hat eine StäZ-Anfrage unbeantwortet gelassen. Fakt ist aber, dass das gesamt Haus leergezogen wird. Zwar kommt die Nachricht für den Welcome-Treff nicht aus heiterem Himmel. Dennoch ist so ein Umzug durchaus ein Wagnis. Aber Christine Sattler und Julia Burghardt sind überzeugt, dass der Ortswechsel gelingen wird.

Neues Domizil des Welcome-Treffs in Räumen der HWG in der Geiststraße. (Foto: xkn)

Der neue Welcome-Treff wird in der Geiststraße öffnen, an der Ecke zur Neumarktstraße. Es ist eine belebte Gegend. Hier kommen viele Menschen vorbei. In einem Plattenbau der HWG mietet der Welcome-Treff das ganze Erdgeschoss. Die Betreiber sind froh über die Partnerschaft mit dem kommunalen Vermieter, und auch die HWG ist froh, helfen zu können. In den Räumen war früher ein orientalischer Supermarkt. „Dass wir der Freiwilligen-Agentur mit dem neuen ‚Domizil‘ helfen konnten, freut uns natürlich“, sagt HWG-Sprecher Steffen Schier. „Immerhin bleibt damit eine wichtige Anlaufstelle erhalten, bei der Geflüchtete und Engagierte einander kennenlernen können.“ HWG und Freiwilligen-Agentur arbeiteten seit Jahren eng zusammen, so Schier. „Davon profitieren auch unsere Mieterinnen und Mieter.“ Am 13. Januar soll der Welcome-Treff das erste Mal in der Geiststraße öffnen.

So viel Erfolg mit der Suche nach einer neuen Bleibe hatte die Freie Spielstätte nicht. Erst im April war die neugegründete Initiative aus mehreren freien Theatergruppen der Stadt in die frühere Theatrale ein Stockwerk über dem Welcome-Treff eingezogen. Eine urige Location, aber eine mit Haken: „Uns war zwar immer klar, dass der Mietvertrag nur bis Ende des Jahres laufen würde. Wir hatten aber immer die Hoffnung, ihn noch verlängern zu können“, sagt Oliver Rank vom Trägerverein der Freien Spielstätte. Auch er ist an jenem Abend vor Ort, um mit der StäZ über den Abschied vom Waisenhausring zu sprechen. Die Hoffnung, die die Theatermacher lange hatten, ist gestorben. Die Theatergruppen ziehen übergangsweise in die Goldene Rose in der Rannischen Straße, so der Plan. Sie haben dort aber nicht mehr den großen Raum zur Verfügung. „Tanztheater, wie wir sie oft hier hatten, werden dort nicht mehr spielen können“, sagt Oliver Rank. Auch mit Blick auf das Haus am Waisenhausring ist das Aus für ihn schmerzlich: „Das hier war viele Jahre lang eine Theaterstätte. Es ist ein etablierter Kulturort, der nun einfach verloren geht.“

„Ausziehen“ – die Improtheatergruppen „Stabile Seitenlage“ aus Halle und „Yes oder Nie“ aus Dresden performen das Aus für die Theaterspielstätte. (Foto: xkn)

Im ersten Stock steht an diesem Abend eines der letzten Stücke an: ein gemeinsamer Abend des halleschen Improviationstheaters „Stabile Seitenlage“ mit der Dresdner Theatergruppe „Yes oder Nie“. Die Schauspielerinnen und Schauspieler wärmen sich gerade auf mit leichten Improvisationen im Kreis. Die Stimmung ist gelöst, auch wenn hier bald Schluss ist. Man scherzt und ist spontan kreativ. Und dann gibt es am Ende noch einmal ein gemeinsames Bild in der Freien Spielstätte: Thema „Ausziehen“. Einen Vorhang, der fallen könnte, gibt es nicht.

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