Volksbegehren gegen Lehrermangel: Königsdisziplin des Unterschriftensammelns

Mit der Unterschriftensammlung soll ein Volksgesetz auf den Weg gebracht werden, das Mindestzahlen für Lehrer an Schulen festschreibt.

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Stand des Volksbegehrens gegen den Lehrermangel an den Franckeschen Stiftungen. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Das Interesse ist einigermaßen groß vorige Woche vor den Franckeschen Stiftungen: Immer wieder lassen sich Studierende und Passanten an einem kleinen Stand der Volksinitiative gegen den Lehrermangel ansprechen und bleiben stehen. Ein Autofahrer lässt sogar die Scheibe herunter und sich ein Klemmbrett in den Wagen reichen. Schnell wird klar: Hier geht es um Unterschriften, und zwar nicht für irgendeine Petition, sondern für ein Volksbegehren. Das gibt es nicht oft, und es ist so etwas wie die Königsdisziplin des Unterschriftensammelns. Den Lehrermangel in Sachsen-Anhalt beenden, das ist das erklärte Ziel der Sammler.[ds_preview]

Petitionen sind Eingaben, Bitten an die Regierung. Diese kann den Bitten zuhören, muss es aber nicht. Ein Volksbegehren dagegen ist direkte Demokratie: Kommen genug Unterschriften für einen konkreten Vorschlag zusammen und stellen sich Regierung und Landtag trotzdem stur, dann kommt es zum Volksentscheid. Das Volk macht dann das Gesetz, egal was Landtag und Regierung dazu sagen. Und Landtag und Regierung müssen sich daran halten. In Sachsen-Anhalt hat das noch kein einziges Mal geklappt. Rund ein halbes Jahr lang hat die Volksinitiative nun Zeit, um über zehn Prozent aller Sachsen-Anhalter zur Unterschrift zu bewegen. Vorige Woche hat die Sammlung begonnen, auch in Halle.

Unterschriftensammlung durchs Autofenster (Foto: xkn)

Und darum geht es konkret: Die Initiative möchte erreichen, dass das Schulgesetz des Landes geändert wird. Sie hat dazu einen eigenen Gesetzestext entworfen. Darin sind unter anderem erstmals konkrete Personalschlüssel für die Schulen vorgesehen. In Sachsen-Anhalt gibt es solche Schlüssel bisher nur aus den Kitas. In Zukunft sollen an den Schulen je nach Schulform zwischen 1,68 (Grundschulen) und 4,7 (Förderschulen für Geistigbehinderte) Mindestlehrerwochenstunden pro Schüler ins Gesetz geschrieben werden, so der Vorschlag der Volksinitiative. Danach ließe sich eine feste Mindestlehrerzahl für jede Schule errechnen. Hinzu sollen auch noch feste Kontingente für pädagogische Mitarbeiter und Schulsozialarbeiter kommen.

Statistik zum Lehrermangel. (Grafik und Quelle: Volksinitiative „Den Mangel beenden“)

Käme das Volksgesetz durch, würde die Landesregierung gesetzesbrüchig, wenn Lehrer fehlen. Sie müsste sich also wesentlich mehr anstrengen, um Lehrer zu bekommen, so das Kalkül der Initiative. Derzeit fehlen nach Angaben der Initiative rund 2.000 Vollzeitlehrer in Sachsen-Anhalt. Zu ihr gehören unter anderem die Gewerkschaft GEW, der Verband Bildung und Erziehung, die Elterninitiative „Bildung in Not“, der Landeselternrat, der Landesschülerrat, der Grundschulverband, der Schulleiterverband und – als einzige politische Partei – die Linke. So sind es in der vorigen Woche vor den Franckeschen Stiftungen auch Vertreter der Linken, die die Unterschriften sammeln, darunter der neue Stadtvorsitzende Jan Rötzschke und Ex-Stadtrat Dirk Gernhardt.

Bei der Vorstellung des Volksbegehrens sagte GEW-Landes vorsitzende Eva Gerth, der Lehrermangel liege unter anderem daran, dass es keine verlässlich vorgegebenen Zahlen für Lehrkräfte gebe. „Das ermöglicht dem Bildungsminister und der Landesregierung, die Bedarfe willkürlich zu kürzen, den Mangel umzuverteilen sowie zukünftige Ausbildungs- und Einstellungszahlen kleinzurechnen. Unser Gesetzentwurf macht mit diesen unverantwortlichen Spielereien Schluss. Er schreibt feste Größen für das so dringend benötigte Personal vor. Davon werden zukünftige Schülergenerationen deutlich profitieren“, so Gerth. Annette Kirstein, Mitinitiatorin der Elternrat-Initiative „Bildung in Not“ und Vertreterin des Bündnisses, ergänzte: „Seit zehn Jahren steigen in Sachsen-Anhalt die Schülerzahlen. Seit fünf Jahren stehen immer weniger Lehrer vor immer mehr Schülern.“ Verbindliche Personalschlüssel im Schulgesetz hätten diesen gravierenden Lehrermangel rechtzeitig verhindert. Aus Sicht des Landeseternrates ist die Grenze des Zumutbaren seit langem erreicht: „Turnhallenpädagogik, Zusammenlegungs- und Beaufsichtigungsmanagement in unseren Schulen sowie durch Unterrichtsausfall durchlöcherte Stundenpläne müssen wieder ein Tabu werden“, so Thomas Jaeger vom Landeselternrat Sachsen-Anhalt. Vertreter des Bündnisses äußerten sich zudem optimistisch, die geforderte Zahl an Unterschriften zu erreichen.

Stand des Volksbegehrens gegen den Lehrermangel an den Franckeschen Stiftungen am Mittwoch. (Foto: xkn)

Insgesamt sind das rund 163.000 und damit neun Prozent der Wahlberechtigten ab 18 Jahre. Kommen die Unterschriften bis zum 7. Juli zusammen, dann wird das Volksgesetz im Landtag in zwei Lesungen behandelt. Vertreter der Initiative dürften dann auch im Landtag sprechen. Stimmt der Landtag dem Volksgesetz nicht in unveränderter Form zu, dann kommt es zum Volksentscheid, also alle Bürger müssen an die Urne gehen. Nach den Zeitplänen der Initiative könnte das parallel zur Landtags- oder zur Bundestagswahl 2021 stattfinden. So ist eine hohe Wahlbeteiligung möglich. Die letzte Hürde, die ein Volksgesetz nehmen muss, wartet nämlich im nötigen Quorum: Stimmen weniger als 25 Prozent aller Wahlberechtigten – nicht der tatsächlichen Wähler – mit Ja, ist der Volksentscheid gescheitert. Natürlich müssen die Ja-Stimmen zusätzlich die Nein-Stimmen überwiegen.

Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hat sich bisher stets kritisch zum Volksbegehren geäußert. Im November sagte er gegenüber dem MDR, dass auch Schulschließungen möglich wären, wenn die verlangten Mindestlehrerzahlen für Schulen kommen. Zudem würde die Unterrichtsqualität leiden, wenn mehr Lehrer notfalls im Quereinstieg eingestellt werden müssten. Das Problem, so Tullners Haltung, seien nicht die vorhandenen Stellen, sondern die geringe Zahl der Bewerber. Zudem dauere es mehrere Jahre, Lehrer an den Hochschulen auszubilden. Das Volksbegehren könnte Mehrausgaben von 167 bis 208 Millionen Euro hervorrufen, heißt es in einem Bericht der Magdeburger Volksstimme.

Angesichts der neuesten, nach wie vor alarmierenden Zahlen über die Unterrichtsversorgung im Land kritisierte die Linksfraktion im Landtag wiederum erneut die Regierung. Tullner gelinge es nicht, „das Ausschreibungs- und Bewerbungssystem in den Schulbehörden auf die neuen Anforderungen einzustellen und flexibel auf die Bewerbersituation zu reagieren“, so Linksfraktionschef Thomas Lippmann. Der aktive Lehrkräftebestand liege derzeit um 100 Stellen niedriger als zum Amtsantritt Tullners.

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siggivonderheide@me.com
4 Jahre her

Haben die Volksbegehrer*innen auch mal überlegt dass es darum geht Menschen davon zu überzeugen Lehrer*in zu werden… Oder planen wir im Bereich Pädagogik demnächst wieder im 5‑Jahres-Rhythmus? Eine lobenswerte Initiative, allerdings ist die Tragweite etwas zu groß um einem „Volksentscheid“ alle Macht zu geben. Die persönliche Entscheidung zur Berufswahl ist in diesem Land frei. Andere Bundesländer haben ebenso Lehrer*innenmangel und Sachsen-Anhalt ist nicht das attraktivste Bundesland. Es geht um alternative Lösungen ohne den Verlust an pädagogischer Kompetenz. Das erfordert Expertise und die ist wohl kaum im „gesunden Volksempfinden“ der breiten Masse angesiedelt.