Holocaust-Gedenktag: „Jüdische Deutsche tragen Verantwortung mit“

Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde tritt für nachhaltige Erinnerungskultur ein.

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Der Vositzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle Max Privorozki spricht zum Holocaust-Gedenktag in der Gedenkstätte Roter Ochse. (Foto: xkn)

Halle/StäZ – Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle Max Privorozki hat am Holocaust-Gedenktag eine nachhaltige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den Juden angemahnt. Insbesondere hält Privorozki eine weitere Forschung nach den Gründen für nötig, warum im 20. Jahrhundert innerhalb weniger Jahre in Deutschland eine so drastischer Verfall der gesellschaftlichen Werte stattfinden konnte, der den Nationalsozialismus und den Holocaust ermöglicht habe. „Das sind uns die Historiker bis heute schuldig geblieben – zu erklären, wie die Leute dazu gekommen sind“, sagte Privorozki bei einer Veranstaltung in der Gedenkstätte Roter Ochse. Privorozki betonte zugleich die Verantwortung Deutschlands, weiter an den Völkermord zu erinnern, seine Ursachen zu erforschen und aktuellem gesellschaftlichem Hass zu begegnen. „Wir tragen als deutsche Juden diese Verantwortung mit“, so Privorozki.

Urgroßmutter starb in Babi Jar

„Als deutsche Juden sind wir nicht etwa Objekt der Verantwortung der deutschen Nicht-Juden“, so Privorozki weiter. „Wir alle tragen diese Verantwortung gemeinsam.“ Privorozki bekannte, früher der Meinung gewesen zu sein, dass die Fakten über den Genozid an den Juden bereits seit langem allgemein bekannt seien, weswegen er es – auch um einer Ritualisierung vorzubeugen – wichtiger gefunden habe, den Blick auf die Ursachenforschung zu lenken. Angesichts neuer Umfrageergebnisse, wonach die Zahl derer in Deutschland und Europa steige, die über kein oder nur wenig Wissen über den Holocaust verfügen, habe er jedoch umdenken müssen: „Diese Zahlen, dass so viele Menschen keine Ahnung haben, was Auschwitz ist und was der Holocaust war, sind schrecklich“, so Privorozki. Auch der Attentäter vom 9. Oktober in Halle habe behauptet, den Holocaust habe es nicht gegeben. Auch angesichts dessen sei es „weiter wichtig und nie genug, darüber zu sprechen.“

Rede vor Schülerinnen und Schülern: „Es ist weiter wichtig und nie genug, über den Holocaust zu sprechen.“ (Foto: xkn)

Der aus Kiew stammende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde erinnert in seiner Rede, die er zuvorderst an anwesende Schülerinnen und Schüler des Hans-Dietrich-Genscher Gymnasiums richtete, auch an seine eigene Familiengeschichte. Er sei in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eng verbunden mit seiner Großmutter aufgewachsen. Diese habe ihm erzählt, dass ihre Mutter beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1941 in Kiew keinerlei Befürchtungen hatte. Denn zuvor, am Ende des Ersten Weltkriegs, seien die deutschen Besatzer „anständige Menschen“ und die einzigen Truppen gewesen, die keine antisemitischen Pogrome verübt hätten. Deswegen sei die Familie 1941 nicht aus Kiew geflohen. Diese Urgroßmutter und weitere Familienmitglieder seien dann beim Massaker von Babi Jar gestorben, bei dem am 29. und 30 September 1941 über 33.000 Kiewer Juden von deutschen Einsatzgruppen erschossen worden waren.

Auch vor diesem Hintergrund treibe ihn weiter die Frage um, „wie sich in nur sehr kurzer Zeit von 25 Jahren Menschen so stark verändern können“, so Privorozki. Heute existiere Hass fast wieder überall. Menschen sei die Fähigkeit abhanden gekommen, eine Auseinandersetzung nur mit Argumenten zu führen. Sofort – und nicht nur im Internet – kämen Aggressionen hinzu. „Das macht mich krank“, so Privorozki.

Kritik an deutscher Israel-Politik

Privorozki erinnerte zudem an die besondere Verantwortung für Israel. „Ich bin Deutscher und kein Israeli. Und dennoch ist Israel auch für uns deutsche Juden sehr wichtig. Israel ist die Lebensversicherung für alle Juden weltweit. Hätte es damals schon den Staat Israel gegeben, hätte es nicht sechs Millionen Tote gegeben“, so Privorozki. Der Staat Israel, der sich gegen Gegner verteidigen können müsse, benötige die Unterstützung aller. Deswegen beschäme es ihn, wenn die deutsche Regierung bei Abstimmungen im UNO-Sicherheitsrat gegen Israel abstimme, so Privorozki. „Es ist nicht möglich, über die Verantwortung für den Holocaust zu reden und gleichzeitig antiisraelische Politik zu machen.“ Er habe das auch dem deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD) bei seinem Besuch in Halle so gesagt.

Privorozkis Rede war Teil der Gedenkveranstaltung von Stadt und sachsen-anhaltischer Gedenkstättenstiftung zum Holocaust-Gedenktag in der Gedenkstätte Roter Ochse. In diesem Rahmen eröffnete die Gedenkstätte eine Ausstellung von Schülerinnen und Schülern des halleschen Genscher-Gymnasiums, in der diese ihre Besuche im KZ Auschwitz verarbeiten.

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